Project Description

250. Nacht

Geschichte
Nureddins und der schönen Perserin

Die Stadt Balsora war lange Zeit die Hauptstadt eines den
Kalifen zinspflichtigen Reiches. Der König, der zur Zeit des Kalifen Harun
Arreschyd in demselben herrschte, hieß Muhammed Sulyman Arrussy. Beide waren
Vettern, Söhne zweier Brüder.

„Es war ein König, der, wenn die feindliche Reiterei
gegen ihn eindrang, sie mit jeder Art schneidender oder stechender Waffen
befriedigte1).

Wenn er Schlachten lieferte, schien er zu schreiben, indem
er auf die Linien2)
der Feinde Vokale3)
und Punkte hinzufügte.

Die Vokale schrieb er auf die Feinde mit Säbelhieben, die
Punkte mit Lanzenstichen oder mit Pfeilschüssen.

In einem Meer aus Blut, entquollen den Kopfwunden der
Feinde, schwimmt seine Reiterei.

Dieses Meer von weitem anzusehen scheint mit Schiffen
übersät: Aber, was man für Mastbäume hält, sind seine Lanzen. Was man für
Segel ansieht, sind seine Fahnen, und die kleinen Wellen sind die Helme seiner
Krieger.

Die Zeit hatte sich verpflichtet, einen ähnlichen König
hervorzubringen: Allein, o Zeit! Du wirst deinen Schwur nicht halten können.
Bereue es nur, ihn getan zu haben!“

Muhammed hatte es nicht für rätlich erachtet, die
Verwaltung seiner Staaten einem einzigen Wesir anzuvertrauen. Er hatte sich
deren zwei erwählt, nämlich Chakan und Sawy4).

Chakan war sanft, zuvorkommend, freigebig und machte sich
ein Vergnügen daraus, denjenigen, die mit ihm zu tun hatten, gefällig zu sein,
in allem, was von seiner Macht abhing, ohne der Gerechtigkeit Eintrag zu tun,
welche er pflichtgemäß handhaben musste. Es war auch niemand, weder am Hof von
Balsora, noch in der Stadt, noch in dem ganzen Königreich, der ihn nicht
verehrte und sein verdientes Lob verkündigte:

„Er war redlicher Freund. Sein Gewand war
Gottesfurcht und Hoheit: Unter seinem Einfluss genoss man das Leben mit Frohsinn
und Behaglichkeit.

Nie nahte sich ihm ein Unglücklicher mit seinen Seufzern
oder Bitten, der nicht an den Pforten seines Palastes Erhörung fand.“

Sawy war von einer ganz anderen Gemütsart. Er war stets
mürrisch, und scheuchte auf gleiche Weise zurück, ohne Unterschied des Ranges
und Standes. Dabei war er weit entfernt, sich der großen Reichtümer, die er
besaß, würdig zu machen, von dem schmutzigsten Geize, so dass er sogar sich
selber die nötigsten Dinge versagte. Niemand konnte ihn leiden, und niemals
hatte man ihn etwas anders als Böses sagen gehört. Was ihn noch verhasster
machte, war sein großer Abscheu gegen Chakan, und dass er, indem er alle guten
Handlungen dieses würdigen Ministers übel auslegte, nicht aufhörte, ihn bei
dem König schlechte Dienste zu leisten.

Von ihm galten die Verse:

„Sohn eines Geizhalses, eines, an dem kein Gutes war,
eines auf der Straße Gefundenen, eines Herumläufers, eines Landstreichers!
Kein Haar war an seinem Leib, welches nicht Spuren von einer dieser
Eigenschaften trug.“

Eines Tages, nach der Ratsversammlung, unterhielt sich der
König von Balsora, zur Gemütsergötzung, mit seinen beiden Wesiren und
mehreren andern Ratsmitgliedern. Das Gespräch fiel auf die gekauften
Sklavinnen, die bei uns fast denselben Rang einnehmen, wie die rechtmäßigen
Ehefrauen. Einige behaupteten, eine solche Sklavin bräuchte nur schön und
wohlgestaltet zu sein, um über die Frauen zu trösten, welche man wegen
Verbindungen oder Familienverhältnissen genötigt ist, zu nehmen, und die oft
weder mit großer Schönheit, noch mit andern Vollkommenheiten des Leibes
ausgestattet sind.

Andere behaupteten, und Chakan war dieser Meinung, die
Schönheit und alle schöne Eigenschaften des Leibes wären nicht die einzigen
Dinge, welche an einer Sklavin erforderlich wären, sondern dieselben müssten
auch mit viel Geist, Klugheit, Bescheidenheit, Anmut, und wenn es sein könnte,
mit mehreren schönen Kenntnissen begleitet sein. Der Grund, den sie dafür
anführten, war folgender: „Es geziemt, sagten sie, Männern, die große
Geschäfte zu verwalten haben, nichts mehr, als am Ende eines so mühseligen
Tagewerkes daheim eine Gefährtin zu finden, deren Unterhaltung gleich
lehrreich, anmutig und ergötzlich ist: Denn am Ende,“ fügten sie hinzu,
„unterscheidet man sich nicht von den Tieren, wenn man eine Sklavin bloß
dazu hat, sie anzusehen und einen Trieb zu befriedigen, welchen wir mit den
Tieren gemein haben.“

Der König trat dieser Meinung bei, und gab es dadurch zu
erkennen: Dass er Chakan befahl, ihm eine Sklavin zu kaufen, von vollkommener
Schönheit und mit allen den Eigenschaften begabt, die man soeben genannt hatte,
und vor allem sollte sie höchst gebildet sein.

Sawy war eifersüchtig auf die Ehre, welche der König
Chakan erzeigte. Da er der entgegen gesetzten Meinung gewesen war, so wandte er
ein: „Herr, es wird sehr schwer halten, eine so vollkommene Sklavin zu
finden, wie Euer Majestät sie verlangt. Findet sich aber auch eine solche, wie
ich kaum glaube, so wird man noch einen wohlfeilen Kauf tun, wenn sie nicht mehr
als zehntausend Goldstücke kostet.“

„Sawy,“ erwiderte der König, „ihr findet
vermutlich die Summe zu hoch: Für euch mag sie es sein, sie ist es aber nicht
für mich.“ Zu gleicher Zeit befahl der König seinem Großschatzmeister,
die zehntausend Goldstücke Chakan ins Haus zu schicken.

Sobald Chakan nach Hause kam, ließ er alle Unterhändler
rufen, die sich mit dem Sklavinnenhandel befassten, und trug ihnen auf, sobald
sie eine solche Sklavin fänden, wie er sie ihnen beschrieb, ihm davon Nachricht
zu geben.

Die Unterhändler, sowohl um sich dem Wesir Chakan zu
verbinden, als ihres eigenen Vorteils wegen, versprachen ihm, all ihre Sorgfalt
anzuwenden, um eine solche aufzufinden, wie er sie wünschte.

Es verging nun fast kein Tag, dass ihm nicht eine
zugeführt wurde: Aber er fand immer einen oder den anderen Fehler an ihnen.

Eines Tages, früh Morgens, als Chakan nach dem Palast des
Königs ritt, trat ein Unterhändler mit großer Hast an den Steigbügel seines
Pferdes, und verkündigte ihm, ein persischer Kaufmann, der gestern sehr spät
angekommen, hätte eine Sklavin zu verkaufen von vollendeter Schönheit, weit
über alle, die er noch gesehen haben möchte. „In Ansehung ihres Geistes
und ihrer Kenntnisse,“ fügte er hinzu, „so verbürgt er sich, dass
sie es mit allem aufnehmen könne, was es von schönen Geistern und Gelehrten
auf der Welt gibt.“

Chakan, erfreut über diese Neuigkeit, welche ihm Hoffnung
gab, sich dem König gefällig zu machen, trug dem Unterhändler auf, ihm nach
der Rückkehr aus dem Palast die Sklavin zuzuführen, und setzte seinen Weg
fort.

Der Unterhändler verfehlte nicht, sich zur bestimmten Stunde bei dem Wesir
einzustellen. Chakan fand die Sklavin so schön und so weit über seiner
Erwartung, dass er ihr von Stund an den Namen der Schönen Perserin beilegte.
Ein Dichter, der sie beschreibt, sagt folgendes von ihr:

„Sie war ein Wunder der Schönheit. Ihr Antlitz glich
dem Vollmond. Sie war ihrem Stamm wert und teuer, wie es ein Kind seiner Mutter
ist.
Der Besitzer des Himmelsthrones hatte ihr Adel und Würde des Gemüts zugeteilt,
aber auch zugleich Anmut im Ausdruck und im Betragen, so wie einen schönen
Wuchs.
An dem Himmel ihres Antlitzes glänzten sieben Gestirne5),
gleich Schutzengeln ihrer Wangen gegen jeden Verwegenen.
Wenn ein Mensch durch sehnsüchtiges Anschauen ihr einen Blick ablocken wollte,
so verbrannte sie ihn mit Liebesfeuer durch eines dieser Gestirne.“

Da der Wesir selber viel Geist hatte und sehr gelehrt war,
so erkannte er aus der Unterhaltung mit ihr sehr bald, dass er vergeblich noch
eine andere Sklavin suchen würde, welche sie in irgend einer der vom Könige
gewünschten Eigenschaften überträfe. Er fragte den Unterhändler, welchen
Preis der persische Kaufmann auf sie gesetzt hätte.

„Herr,“ antwortete der Unterhändler, „es
ist ein Mann, der nicht vorschlägt: Er beteuert, dass er sie, mit einem Worte,
nicht geringer lassen kann, als für zehntausend Goldstücke. Er hat mir selbst
zugeschworen, das, ungerechnet seine Sorgfalt, Mühe und Zeit, die er auf ihre
Erziehung verwandt, er beinahe dieselbe Summe für sie ausgegeben habe, teils an
Lehrmeister in den Leibesübungen und in geistigem Unterricht und Bildung, teils
für Kleidung und Unterhalt. Da er sie, gleich beim Kauf in ihrer frühsten
Kindheit, eines Königs würdig erkannte, so hat er nichts gespart, was dazu
beitragen kann, sie zu diesem hohen Range emporzuheben. Sie spielt allerlei
Instrumente, sie singt, sie tanzt, sie schreibt schöner, als die geschicktesten
Schreibmeister. Sie macht Verse. Es gibt keine Bücher, die sie nicht gelesen
hat. Kurz, man hat noch niemals gehört, dass irgend eine Sklavin so viele Dinge
gewusst, als sie weiß.“

Der Wesir Chakan, der den Wert der schönen Perserin viel
besser erkannte, als der Unterhändler, der nur nachsprach, was der Kaufmann ihm
von ihr gesagt hatte, wollte den Handel nicht aufschieben, und ließ sogleich
den Kaufmann rufen.

Dieser kam. Er war schon hoch bejahrt, und es galten von
ihm folgende Worte eines Dichters, der von sich selber spricht:

„Die Zeit hat mich gewaltig mitgenommen und zitternd
gemacht. Sie ist es, die Kräfte gibt, aber auch raubt.
Einst sprang und lief ich, ohne zu ermüden: Heute bin ich müde, ohne mich vom
Fleck gerührt zu haben.“

Der Wesir Chakan sprach zu ihm: „Nicht für mich will
ich diese Sklavin kaufen, sondern für den König, aber ihr müsst sie ihm für
einen billigeren Preis lassen, als der, welchen ihr auf sie gesetzt habt.“

„Herr,“ antwortete der Kaufmann, „ich
würde mir eine große Ehre daraus machen, sie Seiner Majestät zum Geschenk
darzubieten, wenn es einem Kaufmann, wie ich bin, anstünde, Geschenke von
solchem Wert zu machen. Ich verlange nur das Geld, welches ich aufgewendet habe,
sie zu erziehen und so auszustatten, wie sie da ist. So viel kann ich sagen,
dass Seine Majestät einen Kauf macht, womit sie sehr zufrieden sein wird.

Chakan wollte nicht markten, und ließ dem Kaufmann die
Summe auszahlen. Vor dem Weggehen sagte der Kaufmann noch zu dem Wesir:
„Herr, da die Sklavin für den König bestimmt ist, so vergönnt, dass ich
die Ehre habe, euch zu sagen, dass sie von der langen Reise, die ich mit ihr, um
sie hierher zu führen, gemacht habe, äußerst ermüdet ist. Obwohl sie eine
Schönheit ohne Gleichen ist, so wird sie dennoch ganz anders erscheinen, wenn
ihr sie nur ein vierzehn Tage bei euch behaltet, und dafür Sorge tragt, sie gut
pflegen zu lassen. Wenn ihr sie nach Verlauf dieser Zeit dem König vorstellt,
so wird sie euch eine solche Ehre und ein solches Verdienst bei ihm erwerben,
das ich hoffe, ihr werdet es mir einigen Dank wissen. Ihr seht selbst, dass die
Sonne ihr ein wenig die Haut verdorben hat. Sobald sie aber zwei- oder dreimal
im Bade gewesen ist und ihr sie so habt kleiden lassen, wie ihr es für
anständig erachtet, so wird sie dergestalt verändert sein, dass ihr sie noch
unendlich viel schöner finden werdet.“

Chakan nahm den Rat des Kaufmanns mit Dank an, und
beschloss, ihn zu befolgen. Er gab der schönen Perserin ein besonderes Zimmer,
neben dem seiner Gemahlin, die er bat, sie mit ihr essen zu lassen und sie als
eine Frau anzusehen, welche dem König gehörte. Er bat sie ferner, ihr
verschiedene Kleider machen zu lassen, so prächtig als möglich, und wie sie
ihr am schönsten stünden.

Bevor er hier die schöne Perserin verließ, sagte er zu
ihr: „Es kann kein größeres Glück für euch geben, als das, welches ich
euch verschaffen will. Urteilt selber davon. Es ist für den König, das ich
euch gekauft habe, und ich hoffe, er wird noch viel zufriedener sein, euch zu
besitzen, als ich es bin, mich des Auftrages entledigt zu haben, welchen er mir
erteilt hat. Demnach muss ich euch noch benachrichtigen, dass ich einen Sohn
habe, dem es nicht an Geist fehlt, der aber jung, flatterhaft und unternehmend
ist: Hütet euch sorgfältig vor ihm, wenn er euch naht.“

Die schöne Perserin dankte ihm für diese Weisung, und
nachdem sie ihn fest versichert hatte, dass sie dieselbe beachten würde,
verließ er sie.


1) D.h.
bekämpfte.