Project Description

25. Nacht

Dinarsade säumte nicht, die Sultanin am Ende
dieser Nacht aufzuwecken: „Meine liebe Schwester,“ sagte sie zu ihr,
„ich bitte dich, uns zu erzählen, was sich in dem schönen Schlosse
zutrug, in welchem du uns gestern ließest.“

Scheherasade nahm sogleich das gestrige
Märchen wieder auf, wandte sich zu Schachriar und sprach:

„Herr, als der Sultan in dem Hofe, worin
er sich befand, niemand erblickte, so trat er in große Säle, deren
Fußteppiche von Seide waren, der Estrich und die Sofas bedeckt mit Stoffen von
Mekka, und die Türvorhänge von den reichsten Indischen Stoffen, reich mit Gold
und Silber gestickt.

Er kam weiter in einen wundervollen Saal, in
dessen Mitte ein großes Becken stand mit einem Löwen aus gediegenem Golde auf
jeder Ecke. Die vier Löwen spieen Wasser aus ihrem Rachen, welches in Diamanten
und Perlen niederfiel, und harmonisch ein Wasserstrahl begleitete, welcher, aus
der Mitte des Beckens empor springend, fast die Decke der Kuppel berührte,
deren Wände bemalt waren.

Das Schloss war auf drei Seiten von einem
Garten umgeben, welchen Blumenstücke, Teiche, Luftwäldchen und tausend andere
Annehmlichkeiten um die Wette verzierten, und was diesen Ort vollends wonnevoll
machte, war eine zahllose Menge von Vögeln, welche die Luft mit ihrem
wohllautenden Gesange erfüllten, und stets dort bleiben, weil die über Bäume
und den Palast gespannten Netze sie verhinderten, wegzufliegen.

Der Sultan wandelte lange von Zimmer zu
Zimmer, wo alles groß und prächtig erschien. Als er müde war weiter zu gehen,
setzte er sich in einem offenen Gemache, welches die Aussicht über den Garten
hatte; und hier, erfüllt von allem, was er schon gesehen hatte, und noch sah,
stellte er allerlei Betrachtungen an über alle diese verschiedenen
Gegenstände, als auf einmal eine klagende Stimme sein Ohr traf und er
vernehmlich diese traurigen Worte hörte.

„O Schicksal, lass nicht länger mich
leben, und schone mein nicht mehr! Denn mein Dasein schwebt zwischen Unglück
und Gefahr.

Hast du nicht Mitleid, o Gattin, mit einem
Manne von hoher Abkunft, der unter die Herrschaft der Liebe erniedrigt wurde?
Nicht mit einem der Reichsten, der verarmte?

Ja, ich gestehe es; ich beneide die Luft, die
dich umwehte: aber ich bedachte nicht, dass, beim Willen des Schicksals, auch
der hellste Blick nichts sieht.

Welche Kunst könnte auch den Bogenschützen
noch retten, wenn ihm, im Begriff loszudrücken, die Senne zerreißt?

Wenn feindliche Haufen sich dann auf ihn
stürzen, wohin kann er da fliehen vor dem Geschick! Wohin kann er da
fliehen!“

Der Sultan, gerührt von diesen Klagen, stand
auf und ging nach der Seite, woher sie ertönten. Er kam an die Tür eines
großen Saales, öffnete den Vorhang, und erblickte einen wohl gebildeten und
sehr reich gekleideten Mann, welcher auf einem etwas über den Boden erhabenen
Throne saß. Die Traurigkeit malte sich in seinem Antlitze, welches übrigens
von einer vollkommenen Schönheit, und durch ein kleines schwarzes Mal auf der
Wange bezeichnet war. Der Dichter beschreibt auf folgende Weise die Schönheit
eines solchen jungen Mannes:

Sein Wuchs war schlank; sein schwarzes Haar,
wenn man es anblickte, versetzte alles um ihn her in Dunkelheit, so wie die
blendende Weiße seiner Stirne alles wieder in das Licht setzte.

Aber das schwarze Mal auf der Wange, dieses
tadelt nur ja nicht! Ist euch nicht bekannt, dass das Blatt der schönen Anemone
auch mit einem schwarzen Punkte geschmückt ist? –

Der Sultan näherte sich ihm, und grüßte
ihn. Der junge Mann erwiderte seinen Gruß, indem er ihm mit dem Kopfe eine sehr
tiefe Verbeugung machte, ohne jedoch aufzustehen. Deshalb sagte er zu dem
Sultan: „Mein Herr, ich erkenne wohl, dass ihr es verdient, dass ich
aufstehe, um euch zu empfangen und alle mögliche Ehre zu erzeigen; aber eine so
schwere Ursache verhindert mich daran, dass ihr es mir nicht übel deuten müsst.“
– „Mein Herr,“ antwortete der Sultan, „ich bin euch sehr
verbunden für die gute Meinung, welche ihr von mir heget. In Betreff der
Ursache, welche euch verhindert aufzustehen, nehme ich von Herzen gern jede
beliebige Entschuldigung von euch an. Angezogen von euren Klagen, durchdrungen
von eurem Leiden, komme ich, euch meine Hülfe darzubieten. Wollte Gott, dass es
von mir abhinge euren Leiden Erleichterung zu verschaffen, ich würde all mein
Vermögen dazu anwenden. Ich schmeichle mir, dass ihr mir wohl die Geschichte
eurer Unfälle erzählen wollte: aber, ich bitte euch, belehrt mich zuvor: was
dieser Teich hier in der Nähe bedeutet, in welchem man Fische von vier
verschiedenen Farben sieht; was dieses für ein Schloss ist; weshalb ihr euch
darin befindet, und woher er kömmt, dass ihr so allein darin seid?“

Anstatt auf diese Fragen zu antworten, fing
der junge Mann bitterlich an zu weinen: „Wie unbeständig ist das
Glück!“ rief er aus: “ es gefällt sich darin, diejenigen zu
stürzen, welche es erhoben hat. Wo sind diejenigen, welche ruhig der von ihm
gewährten Glückseligkeit genießen, und deren Tage immer hell und heiter
sind?“

Der Sultan, von Mitleid bewegt, hat ihn sehr
inständig, ihm die Ursache eines so großen Schmerzes zu sagen. „Ach! Mein
Herr,“ antwortete ihm der junge Mann, „wie sollte ich nicht betrübt
sein; und warum sollten meine Augen nicht zwei unversiegliche Tränenquellen
sein?“

Bei diesen Worten hub er sein Kleid auf, und
ließ den Sultan sehen, dass er nur vom Kopf bis zum Gürtel ein Mensch war, die
andere Hälfte seines Leibes aber von schwarzem Marmor war.“

An dieser Stelle unterbrach Scheherasade ihre
Rede, und machte dem Sultan bemerkbar, dass der Tag anbräche.

Schachriar war dermaßen von dem bezaubert,
was er so eben gehört hatte, und fühlte sich so sehr zu Gunsten der Sultanin
erweicht, dass er beschloss, sie einen ganzen Monat lang leben zu lassen. Er
stand jedoch wie gewöhnlich auf, ohne ihr von seinem Entschlusse etwas zu
sagen.