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249. Nacht

Amgiad verstand den Wink des Königs: Er stieg zu Pferd,
und sprengte mit verhängten Zügeln diesem neuen Heer entgegen. Er sagte zu den
ersten, denen er begegnete, dass er mit ihrem Anführer zu sprechen verlangte,
und man führte ihn vor einen König, wie er an der Krone, die er auf dem Haupt
trug, erkannte. Sobald er ihn in der Ferne erblickte, stieg er ab, und als er in
der Nähe war, und sich mit dem Angesicht zur Erde geworfen hatte, fragte er
ihn, was er von dem König, seinem Herrn, verlangte.

„Ich heiße Ghïaur,“ erwiderte der König,
„und bin König von China. Das Verlangen nach Kunde von meiner Tochter,
namens Badur, die ich vor langen Jahren dem Prinzen Kamaralsaman, Sohn
Schachsamans, des Königs der Inseln Chaledan, vermählt habe, hat mich bewogen,
meine Staaten zu verlassen. Ich hatte diesem Prinzen erlaubt, seinen Vater zu
besuchen, unter der Bedingung, von Jahr zu Jahr mit meiner Tochter wieder zu mir
zu kommen. Seit so langer Zeit habe ich indessen nichts wieder von ihnen
vernommen. Euer König würde einen bekümmerten Vater sehr verpflichten, wenn
er ihm mitteilte, was er etwa davon weiß.“

Der Prinz Amgiad, der an dieser Rede seinen Großvater
erkannte, küsste ihm zärtlich die Hand, und sprach. „Herr, Euer Majestät
verzeihe mir diese Freiheit, die ich mir nehme, um euch meine Ehrfurcht zu
bezeigen, als meinem Großvater. Ich bin ein Sohn Kamaralsamans, gegenwärtig
König der Ebenholzinsel, und der Königin Badur. Ich zweifle nicht, dass beide
im vollkommenen Wohlsein in ihrem Reiche sind.“

Der König von China, entzückt, seinen Enkel zu sehen,
umarmte ihn sogleich sehr zärtlich. Dieses so glückliche und so unerwartete
Zusammentreffen entlockte ihnen von beiden Seiten Tränen.

Auf die Frage, welcher Anlass ihn in dieses fremde Land
geführt hätte, erzählte ihm der Prinz Amgiad seine und seines Bruders Assad
Geschichte. Als er geendigt hatte, sagte der König von China: „Es ist
nicht recht, dass zwei so unschuldige Prinzen, wie ihr, noch länger im Elende
seien. Tröste dich, ich werde dich und deinen Bruder heimführen und Sühne
stiften. Eile jetzt zurück, und melde deinem Bruder meine Ankunft.“

Während der König von China auf der Stelle lagerte, wo
der Prinz Amgiad ihn getroffen hatte, kehrte dieser zurück, um dem König der
Magier, der ihn mit großer Ungeduld erwartete, Antwort zu bringen. Der König
war höchst überrascht, zu vernehmen, dass ein so mächtiger König, als der
von China, eine so lange und mühselige Reise unternommen hatte, aus Verlangen,
seine Tochter wieder zu sehen, und dass er so nahe bei seiner Hauptstadt war. Er
gab sogleich Befehl zu seinem würdigen Empfang, und bereitete sich, ihm
entgegen zu gehen.

In dieser Zwischenzeit sah man aber von einer andern Seite
der Stadt abermals einen großen Staub aufsteigen, und man vernahm bald, dass es
ein drittes Herr war, welches heranzog. Dies nötigte den König, zu bleiben,
und den Prinzen Amgiad zu bitten, dass er noch einmal hinginge, zu sehen, was
das Heer wollte.

Amgiad ritt hinaus, und der Prinz Assad begleitete ihn
diesmal. Sie fanden, dass es das Heer Kamaralsamans, ihres Vaters, war, der sie
zu suchen kam. Er hatte über ihren Verlust einen so großen Schmerz bezeigt,
dass der Emir Giandar ihm endlich entdeckte, auf welche Weise er ihnen das Leben
erhalten. Was ihn zu dem Entschluss gebracht hatte, sie aufzusuchen, in welchem
Land sie auch sein möchten.

Dieser bekümmerte Vater umarmte seine beiden Söhne mit
Freudentränen, welche nun die so lange vergossenen Tränen der Trauer angenehm
beendigten.

Sobald die Prinzen ihn benachrichtigt hatten, dass auch
der König von China, sein Schwiegervater, eben denselben Tag angekommen wäre,
so machte er sich mit ihnen und einem kleinen Gefolge auf, um ihn in seinem
Lager zu besuchen.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie ein viertes
Heer erblickten, welches in schönster Ordnung anrückte und von der Seite von
Persien her zu ziehen schien.

Kamaralsaman hieß die Prinzen, seine Söhne, hinreiten,
zu sehen, was für ein Heer es wäre, und wollte sie dort erwarten.

Beide ritten sogleich hin, und bei ihrer Ankunft wurden
sie dem König, dem das Heer gehörte, vorgestellt. Nachdem sie ihn ehrerbietig
begrüßt hatten, fragten sie ihn, in welcher Absicht er so nahe gegen die
Hauptstadt des Königs der Magier heranzöge.

Der Großwesir, der gegenwärtig war, nahm das Wort, und
sagte ihnen: „Der König, zu dem ihr redet, ist Schachsaman, König der
Inseln Chaledan, der schon lange in dem Aufzuge, welchen ihr hier seht, umher
reist, um den Prinzen Kamaralsaman, seinen Sohn, zu suchen, der vor langen
Jahren seine Staaten verlassen hat. Wenn ihr irgend etwas von ihm wisst, so
werdet ihr ihm das größte Vergnügen von der Welt machen, es ihm
mitzuteilen.“

Die Prinzen antworteten nichts weiter, als dass sie binnen
kurzer Zeit Antwort bringen würden, und sprengten mit verhängten Zügeln
zurück, um Kamaralsaman die Nachricht zu bringen, das zuletzt angekommen Heer
wäre das des Königs Schachsaman, und der König, sein Vater, selber dabei.

Das Erstaunen, die überraschung, die Freude, und das
Leid, seinen Vater ohne Abschied verlassen zu haben, machten einen so gewaltigen
Eindruck auf den König Kamaralsaman, dass er in Ohnmacht sank, sobald er
vernahm, dass er ihm so nahe wäre. Er kam endlich durch die Sorgfalt und Hilfe
der Prinzen Amgiad und Assad wieder zu sich, und sobald er sich stark genug
fühlte, eilte er hin, sich dem König Schachsaman zu Füßen zu werfen.

In langer Zeit war kein so zärtliches Wiedersehen
zwischen einem Vater und einem Sohn erfolgt. Schachsaman machte dem König
Kamaralsaman zärtliche Vorwürfe über seine Grausamkeit, ihn auf eine so
schmerzliche Weise zu verlassen. Kamaralsaman bezeugte ihm seine innige Reue
über das Vergehen, zu welchem die Liebe ihn verleitet hatte.

Die drei Könige und die Königin Margiane blieben drei
Tage am Hof des Königs der Magier, welcher sie prachtvoll bewirtete. Diese drei
Tage wurden auch sehr verherrlicht durch die Vermählung des Prinzen Assad mit
der Königin Margiane, und des Prinzen Amgiad mit Bostane zur Belohnung des
Dienstes, welchen sie dem Prinzen Assad geleistet hatte.

Endlich begaben die drei Könige und die Königin Margiane
sich wieder jedes nach seinem Reich. Was Amgiad betrifft, so setzte ihm der
König der Magier, der ihn sehr lieb gewonnen hatte und schon sehr bejahrt war,
seine Krone auf das Haupt. Amgiad wandte all seinen Fleiß daran, den
Feuerdienst zu zerstören und die muselmännische Religion in seinen Staaten
einzuführen.