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248. Nacht

„Herr, Bostane behandelte den unglücklichen Prinzen
Assad ebenso grausam, als bei seiner ersten Gefangenschaft. Das Jammern, die
Klagen, die dringenden Bitten Assads, doch seiner zu schonen, verbunden mit
seinen Tränen, waren aber so rührend, dass Bostane sich nicht erwehren konnte,
davon erweicht zu werden und mit ihm Tränen zu vergießen.

„Herr,“ sagte sie zu ihm, indem sie ihm die
Schultern wieder bedeckte, „ich bitte euch tausend Mal um Verzeihung für
die Grausamkeit, mit welcher ich euch vormals behandelt, und deren Wirkung ich
euch jetzt eben noch habe empfinden lassen. Bisher habe ich nicht vermocht,
einem Vater ungehorsam zu sein, der so ungerecht gegen euch erbittert und auf
euren Untergang ergrimmt ist: Aber endlich verabscheue ich diese
Unmenschlichkeit. Tröstet euch: Eure Leiden sind zu Ende und ich will alle
meine Verschuldungen, deren ungeheure Größe ich erkenne, durch bessere
Behandlung wieder gut machen. Ihr habt mich bis heute als eine Ungläubige
betrachtet, gegenwärtig betrachte ich mich als eine Gläubige. Ich habe schon
einigen Unterricht, welchen mir eine meiner Sklavinnen von eurer Religion
erteilt hat. Ich hoffe, ihr werdet gern vollenden, was sie begonnen hat. Um euch
meine gute Gesinnung zu bezeugen, so bitte ich den wahren Gott um Vergebung,
dass ich ihn durch die euch angetanen Misshandlungen so beleidigt habe. Ich lebe
des Vertrauens, dass er mich wird ein Mittel finden lassen, euch gänzlich in
Freiheit zu setzen.“

Diese Rede gewährte dem Prinzen Assad einen großen
Trost. Er dankte Gott, dass er das Herz Bostanes gerührt hatte. Nachdem er
dieser auch herzlich für ihre freundliche Gesinnung gegen ihn gedankt hatte,
vergaß er nicht, sie darin zu bestärken, indem er sie nicht nur in der
muselmännischen Religion vollends unterrichtete, sondern ihr sogar seine
Geschichte erzählte, mit allen den Unfällen, welche ihn ungeachtet seiner
hohen Geburt betroffen hatten. Als er gänzlich der Festigkeit ihres guten
Vorsatzes versichert war, fragte er sie, wie sie es anstellen wollte, dass ihre
Schwester Kavame nichts davon erführe und auch ihrerseits nicht ihn zu
misshandeln käme. „Lasst euch das nicht bekümmern,“ antwortete
Bostane, „ich werde es schon so einrichten, dass sie sich nicht mehr damit
befasst, euch heimzusuchen.“

In der Tat wusste Bostane Kavame immer zuvorzukommen, so
oft sie in das Loch hinabsteigen wollte. Sie unterdessen besuchte den Prinzen
Assad sehr häufig. Anstatt ihm nur Brot und Wasser zu bringen, brachte sie ihm
Wein und gute Gerichte, welche sie durch zwölf ihr dienende muselmännische
Sklavinnen zubereiten ließ. Sie aß selbst von Zeit zu Zeit mit ihm, und tat
alles, was in ihrer Macht stand, ihn zu trösten.

Einige Tage nach dieser Veränderung, stand Bostane an der
Haustüre, als sie einen öffentlichen Ausrufer etwas bekannt machen hörte. Da
sie nicht verstand, was es war, weil der Ausrufer zu entfernt stand, sich dann
aber ihrem Haus näherte, trat sie zurück, hielt die Türe halb offen, und sah,
dass er vor dem Großwesir Amgiad, Bruder des Prinzen Assad, einher ging, der
von mehreren Beamten und vielen seiner Leute, vor und hinter ihm, begleitet war.

Der Ausrufer blieb nur einige Schritte vor der Tür stehen
und wiederholte folgende Kundmachung mit lauter Stimme:

„Seine Exzellenz der erlauchte Großwesir, der selber
hier gegenwärtig ist, sucht seinen geliebten Bruder, der schon länger als ein
Jahr sich von ihm verloren hat. Er ist so und so gestaltet. Wenn jemand ihn bei
sich verwahrt, oder weiß, wo er ist, so befiehlt Seine Exzellenz, ihm denselben
zu bringen, oder Nachricht von ihm zu geben, unter Versprechen einer großen
Belohnung. Wenn aber jemand ihn verhehlt und man ihn entdeckt, so droht Seine
Exzellenz, ihn mit dem Tod zu bestrafen, ihn, sein Weib, seine Kinder und alle
die Seinigen, und sein Haus schleifen zu lassen.“

Bostane hatte nicht sobald diese Worte vernommen, als sie
eiligst die Türe zumachte und zu Assad in das Loch hinab stieg:
„Prinz,“ sprach sie zu ihm mit Freuden, „das Ende eurer Leiden
ist da, folgt mir und kommt schleunigst.“

Assad, dem sie gleich am ersten Tag, wo er in das Loch
zurückgebracht war, die Kette abgenommen hatte, folgte ihr auf die Straße
hinaus, wo sie ausrief: „Hier ist er, hier ist er!“

Der Großwesir, der noch nicht weit entfernt war, drehte
sich um. Assad erkannte in ihm seinen Bruder, lief auf ihn zu und umarmte ihn.
Amgiad, der ihn auch sogleich erkannte, umarmte ihn ebenfalls sehr herzlich,
ließ ihn das Pferd eines seiner Beamten, der absaß, besteigen, und führte ihn
im Triumph nach dem Palast, wo er ihn dem König vorstellte, der ihn zu einem
seiner Wesire machte.

Bostane, die nicht in das Haus ihres Vaters, das noch
denselben Tag geschleift wurde, zurückkehren wollte und den Prinzen Assad bis
zum Palast nicht aus den Augen verloren hatte, wurde zu der Königin gebracht.
Der Alte, ihr Vater, und Behram, mit den Ihrigen wurden vor den König geführt
und verurteilt, den Kopf zu verlieren. Sie warfen sich zu seinen Füßen und
flehten um Gnade. „Es gibt keine Gnade für euch,“ erwiderte der
König, „wenn ihr nicht dem Feuerdienst entsagt und die muselmännische
Religion annehmt.“ Sie retteten ihr Leben, indem sie sich hierzu bequemten,
ebenso wie Kavame, Bostans Schwester, samt den Ihrigen.

In Rücksicht darauf, dass Behram Muselmann geworden war,
machte ihn Amgiad, der ihm seinen vor der Begnadigung erlittenen Verlust
vergüten wollte, zu einem seiner vornehmsten Beamten, und ließ ihn bei sich
wohnen. Behram, in wenigen Tagen von der Geschichte Amgiads, seines Wohltäters,
und dessen Bruders Assad unterrichtet, machte ihnen den Vorschlag, ein Schiff
auszurüsten und sie zum König Kamaralsaman, ihrem Vater, zurückzuführen.
„Vermutlich,“ sprach er zu ihnen, „wird er eure Unschuld erkannt
haben und ungeduldig euch wieder zu sehen verlangen. Und sollte dies nicht sein,
so wird es jedoch nicht schwer halten, ihn vor eurer Ausschiffung davon zu
überzeugen, wenn er aber in seinem ungerechten Wahn beharrt, so habt ihr nur
die Mühe, wieder hierher zurückzukehren.“

Die beiden Brüder nahmen Behrams Erbieten an. Sie
sprachen von ihrer Absicht mit dem König, der sie billigte, und gaben Befehl,
ein Schiff auszurüsten. Behram war mit allem möglichen Eifer dabei
geschäftig, und als er fertig war, unter Segel zu gehen, gingen die Prinzen
eines Morgens hin, vom König Abschied zu nehmen.

In der Zeit, dass sie sich von ihm beurlaubten, und ihm
für seine Güte dankten, hörte man durch die ganze Stadt einen großen Lärm,
und zugleich erschien ein Offizier mit der Nachricht, dass ein großes
Kriegsheer heranzöge, und niemand wüsste, was für eins es wäre.

Bei der Unruhe, in welche diese verdrießliche Neuigkeit
den König versetzte, nahm Amgiad das Wort, und sprach zu ihm: „Herr,
obwohl ich soeben in die Hände Euer Majestät die Würde eures ersten
Ministers, womit ihr mich beehrt hattet, zurückgestellt habe, so bin ich nichts
desto weniger bereit, euch noch zu dienen. Ich bitte euch um die Erlaubnis,
hinzugehen, und zu sehen, wer dieser Feind ist, der euch in eurer Hauptstadt
anzugreifen kommt, ohne euch zuvor den Krieg erklärt zu haben.“ Der König
bat ihn darum, und er machte sich sogleich mit einem kleinen Gefolge auf.

Der Prinz Amgiad entdeckte bald das Kriegsheer, welches
ihm mächtig schien, und immer weiter vorrückte. Der Vortrab, der seine Befehle
hatte, nahm ihn freundlich in Empfang, und führte ihn vor ihre Fürstin, die
mit ihrem ganzen Heer anhielt, um mit ihm zu reden. Der Prinz Amgiad machte ihr
eine tiefe Verbeugung, und fragte sie, ob sie als Freundin oder Feindin käme
und wenn sie als Feindin käme, worüber sie sich gegen den König, seinen
Herrn, zu beklagen hätte.

„Ich komme als Freundin,“ antwortete die
Fürstin, „und habe keine Ursache zum Missvergnügen gegen den König der
Magier. Seine und meine Staaten haben eine solche Lage, dass wir schwerlich
einen Zwist miteinander haben können. Ich komme nur, um einen Sklaven, namens
Assad, zurückzufordern, der mir durch einen Schiffshauptmann aus dieser Stadt,
namens Behram, den unverschämtesten aller Menschen, ist entführt worden. Ich
hoffe, euer König wird mir die Genugtuung gewähren, wenn er erfährt, dass ich
Margiane bin.“

„Großmächtige Königin,“ erwiderte der Prinz
Amgiad, „ich bin der Bruder dieses Sklaven, den ihr mit so viel Mühe
sucht. Ich hatte ihn verloren, und habe ihn wieder gefunden. Kommt, ich selber
will ihn euch ausliefern, und werde die Ehre haben, euch von allem übrigen zu
unterrichten. Der König, mein Herr, wird sehr erfreut sein, euch zu
sehen.“

Während der Heer der Königin, nach ihrem Befehl, dort
auf der Stelle lagerte, begleitete der Prinz Amgiad sie in die Stadt und in den
Palast, wo er sie dem König vorstellte. Und nachdem der König sie nach Würden
empfangen hatte, begrüßte sie der Prinz Assad, der gegenwärtig war, und sie
sogleich bei ihrem Erscheinen erkannt hatte. Sie bezeugte ihm ihre Freude, ihn
wieder zu sehen, als dem König eine neue Botschaft kam, dass ein anderes noch
furchtbareres Heer auf der anderen Seite der Stadt erschiene.

Der König der Magier, noch mehr erschrocken, als das
erstemal, über die Ankunft eines zweiten noch zahlreicheren Heeres, als das
vorhergehende, wie er selber aus den Staubwolken erkannte, die dessen
Annäherung aufregte, und die schon den ganzen Himmel bedeckten, rief aus:
„Amgiad, was soll aus uns werden? Da ist abermals ein Kriegsheer, das uns
überzieht …“