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247. Nacht

„Herr, ich schloss gestern damit, dass ich Euer
Majestät erzählte, wie Behram wieder dem Feuerberg zusteuerte, sehr vergnügt,
dass seine Matrosen ihm den Prinzen Assad wiedergebracht hatten.

Die Königin Margiane war unterdessen in großer
Besorgnis. Anfangs beunruhigte sie sich nicht, als sie gewahrte, dass Assad
hinausgegangen war. Da sie nicht zweifelte, dass er bald zurückkommen würde,
so erwartete sie ihn mit Geduld. Als sie aber nach einiger Zeit sah, dass er
nicht wieder erschien, fing sie an unruhig zu werden. Sie befahl ihren Frauen,
zu sehen, wo er wäre. Diese suchten ihn, brachten ihr aber keine Kunde von ihm.
Sie ließ ihn nun mit Lichtern suchen, aber ebenso vergeblich.

In ihrer Ungeduld und Besorgnis ging die Königin Margiane
selber hin und suchte beim Fackelschein. Da sie die Gartentüre offen sah, trat
sie hinein und durchstreifte ihn mit ihren Frauen. Im Vorbeigehen sah sie an dem
Wasserbecken auf dem Rasen einen Schuh, ließ ihn aufheben, und erkannte ihn
für einen von den Babuschen1)
des Prinzen. Dies, in Verbindung mit dem am Rand des Beckens verschütteten
Wasser, brachten sie auf den Gedanken, dass Behram ihn wohl entführt haben
könnte.

Sie schickte auf der Stelle hin, zu erfahren, ob er noch
im Hafen wäre. Als sie vernahm, dass er kurz vor Nacht unter Segel gegangen,
sich noch eine Weile an der Küste aufgehalten, und sein Boot nach dem Garten
gerudert und Wasser eingenommen hätte, sandte sie dem Befehlshaber der zehn
Kriegsschiffe, welche in ihrem Hafen stets ausgerüstet und auf den ersten Wink
zur Abfahrt bereit lagen, die Weisung, dass sie sich am nächsten Morgen, früh
um ein Uhr, selber einschiffen würde.

Der Befehlshaber machte sich schleunig fertig. Er rief die
Hauptleute und übrigen Offiziere, die Matrosen und Soldaten zusammen und alles
war zu der bestimmten Stunde eingeschifft.

Die Königin schiffte sich nun auch ein. Als ihr
Geschwader aus dem Hafen und unter Segel war, eröffnete sie dem Anführer ihre
Absicht. „Ich will,“ sagte sie, „dass du alle Segel aufspannst
und dem Kauffahrer nachjagst, der gestern Abend diesen Hafen verließ. Ich gebe
ihn dir preis, wenn du ihn fängst: Fängst du ihn aber nicht, so musst du mir’s
mit dem Leben bezahlen.“

Die zehn Schiffe jagten nun dem Schiff Behrams zwei volle
Tage nach, und sahen nichts. Endlich am dritten, mit Anbruch des Tages,
entdeckten sie es, und gegen Mittag umringten sie es dergestalt, dass es nicht
mehr entschlüpfen konnte.

Sobald der grausame Behram die zehn Schiffe bemerkte,
zweifelte er nicht, dass es das Geschwader der Königin Margiane wäre, die ihn
verfolgte. Zur selbigen Stunde gab er dem Assad die Bastonade, denn seit seiner
Einschiffung im Hafen der Stadt der Magier, hatte er keinen Tag ermangelt ihm
diese Behandlung widerfahren zu lassen: Dies bewirkte nun, dass er ihn mehr als
sonst misshandelte.

Er war aber in großer Verlegenheit, als er sah, dass er
bald umringt sein würde. Wenn er Assad bewahrte, so hätte er sich für
schuldig erklärt, wenn er ihn tötete, so fürchtete er, dass irgend Spuren
davon nachblieben. Er ließ ihn losketten und als man ihn aus dem untersten
Schiffsraum, wo er lag, herauf geholt und ihm vorgeführt hatte, sprach er zu
ihm: „Du bist Schuld, dass man uns verfolgt.“ Und mit diesen Worten
stürzte er ihn ins Meer.

Der Prinz Assad konnte schwimmen, und gebrauchte seine
Hände und Füße so rüstig, dass er mit Hilfe der Wogen, die ihn fort trugen,
sich über dem Wasser zu erhalten vermochte und das Ufer erreichte. Hier am
Lande war das erste, was er tat, dass er Gott dankte, ihn aus einer so großen
Gefahr befreit und noch einmal den Händen der Feueranbeter entrissen zu haben.
Hierauf zog er sich aus und nachdem er das Wasser aus seinen Kleidern gedrückt
hatte, breitete er sie auf einem Felsen aus, wo sie von den Strahlen der Sonne
und dem dadurch erhitzten Felsen bald trocken wurden.

Unterdessen ruhte er sich aus, und beweinte sein
Schicksal: Er wusste weder, in welchem Land er war, noch, wohin er sich wenden
sollte. Er legte endlich seine Kleider wieder an, und wanderte fort, ohne sich
zu weit von dem Meer zu entfernen, bis er einen Weg fand, welchen er einschlug.
Er wanderte mehr als zehn Tage durch ein ganz unbewohntes Land, wo er nichts als
wilde Früchte und an den Bächen einige Kräuter fand, von denen er lebte.

Er gelangte endlich an eine Stadt, welche er wieder für
jene der Magier erkannte, wo er so sehr misshandelt worden und wo sein Bruder
Großwesir war. Er freute sich darüber, aber er nahm sich fest vor, keinem der
Feueranbeter zu nahen, sondern nur den Muselmännern, denn er erinnerte sich,
einige von diesen bemerkt zu haben, als er das erste Mal in die Stadt kam. Da es
spät war, und er wohl wusste, dass die Läden schon geschlossen waren, und dass
er nur noch wenig Leute in den Straßen antreffen würde, fasste er den
Entschluss, auf dem Begräbnisplatz vor der Stadt zu bleiben, wo mehrere
Grabmäler mit Kuppeln standen. Er suchte, bis er eins fand, dessen Tür offen
war, und trat hinein, um die Nacht darin zuzubringen.

Wir wollen jetzt wieder auf Behrams Schiff zurückkommen.

Es währte nicht lange, nachdem er den Prinzen Assad ins
Meer gestürzt hatte, so war er auf allen Seiten von den Schiffen der Königin
Margiane umringt. Das Schiff, auf welchem die Königin sich befand, nahte sich
ihm, und da er nicht im Stande war, Widerstand zu leisten, so ließ er die Segel
einziehen, zum Zeichen, dass er sich ergebe.

Die Königin Margiane bestieg selber sein Schiff, und
fragte Behram, wo der Schreiber wäre, welchen er die Verwegenheit gehabt
hätte, aus ihrem Palast zu entführen, oder entführen zu lassen.
„Königin,“ antwortete Behram, „ich schwöre Euer Majestät, dass
er nicht in meinem Schiff ist. Ihr mögt es durchsuchen lassen und euch von
meiner Unschuld überzeugen.“

Margiane ließ die Durchsuchung des Schiffes mit aller
möglichen Genauigkeit vornehmen, aber man fand denjenigen nicht, den zu finden
sie so sehnlich wünschte, sowohl weil sie ihn liebte, als aus angeborenem
Edelmut.

Sie war schon im Begriff, dem Behram mit eigenen Händen
das Leben zu nehmen, aber sie hielt sich zurück. Sie begnügte sich, sein
Schiff und seine ganze Ladung in Beschlag zu nehmen, und ihn mit allen seinen
Matrosen zu Lande heimzuschicken, indem sie ihm das Boot zur überfahrt bis ans
Ufer ließ.

Behram, in Begleitung seiner Matrosen, erreichte die Stadt
der Magier in derselben Nacht, da Assad auf dem Begräbnisplatz geblieben, und
sich in das Grabmal begeben hatte. Weil das Tor schon geschlossen war, so sah er
sich ebenfalls genötigt, auf dem Begräbnisplatz ein Grabmal zu suchen, um
darin den Tag und die Eröffnung des Tores zu erwarten.

Unglücklicherweise kam Behram an dasselbe Grabmal, worin
Assad war. Er trat hinein, und sah einen Mann, der schlief und sein Haupt mit
seinem Kleid verhüllt hatte. Assad erwachte von dem Geräusch, hub den Kopf
empor, und frage, wer da wäre.

Behram erkannte ihn sogleich: „Ha, ha,“ rief er
aus, „da bist du ja, der Schuld ist, dass ich für mein ganzes übriges
Leben zu Grunde gerichtet bin! Du bist dieses Jahr nicht geopfert worden, aber
du sollst das nächste Jahr nicht wieder ebenso entschlüpfen.“

Mit diesen Worten warf er sich über ihn her, stopfte ihm
sein Schnupftuch in den Mund, um ihn am Schreien zu verhindern, und ließ ihn
durch seine Matrosen binden.

Am folgenden Morgen früh, sobald das Tor geöffnet war,
ward es Behram leicht, durch abgelegene Straßen, wo noch niemand aufgestanden
war, Assad wieder zu dem Alten zu bringen, der ihn so boshaft überlistet hatte.
Sobald er hier eintraf, ließ er ihn wieder in dasselbe Loch werfen, aus welchem
er ihn heraufgezogen hatte, und unterrichtete den Alten von der traurigen
Ursache seiner Rückkehr und dem unglücklichen Erfolg seiner Fahrt. Der
boshafte Alte vergaß nicht, seinen Töchtern einzuschärfen, dass sie den
unglücklichen Prinzen wo möglich noch mehr als zuvor misshandeln sollten.

Assad war äußerst bestürzt, sich wieder an demselben
Ort zu befinden, wo er schon so viel gelitten hatte. In Erwartung derselben
Qualen, von welchen er für immer befreit zu sein gewähnt hatte, beweinte er
die Härte seines Schicksals, als er Bostane mit einem Stock, einem Brot und
einem Krug Wasser eintreten sah. Ihn schauderte bei dem Anblick dieser
Erbarmungslosen, und bei dem bloßen Gedanken an die täglichen Martern, welche
er noch ein ganzes Jahr auszustehen hatte, um am Ende auf eine grauenvolle Weise
zu sterben …“

Aber der Tag, welchen die Sultanin Scheherasade bei diesen
letzten Worten anbrechen sah, nötigte sie, abzubrechen. Sie nahm dieselbe
Erzählung in der folgenden Nacht wieder auf, und sprach zu dem Sultan von
Indien:


1)
Babuschen sind die morgenländischen Schuhe, unsern Schuh-Pantoffeln ähnlich.
Das Wort ist türkisch.