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246. Nacht

„Herr, Behram ließ den Prinzen Assad von der Kette
losmachen, ihn sehr sauber in Sklaventracht kleiden, wie es seinem
Schiffschreiber geziemte, als welchen er ihn der Königin Margiane vorstellen
wollte. Er hatte kaum alles so eingerichtet, wie er wünschte, als das Schiff in
den Hafen einlief, wo er Anker werfen ließ.

Sobald die Königin Margiane, deren Palast am Meer gelegen
war, so dass der Garten sich bis ans Gestade erstreckte, das Schiff anlegen sah,
sandte sie nach dem Hauptmann desselben, dass er zu ihr kommen sollte, und um
desto eher ihre Neugier zu befriedigen, ging sie in den Garten, ihn dort zu
erwarten.

Behram, der sich dieser Aufforderung wohl versehen hatte,
schiffte sich mit dem Prinzen Assad aus, nachdem er ihm eingeschärft hatte, zu
bestätigen, dass er sein Sklave und Schreiber wäre, und wurde vor die Königin
Margiane geführt.

Er warf sich ihr zu Füßen und nachdem er ihr die
Notwendigkeit vorgestellt hatte, die ihn gezwungen, in ihrem Hafen eine Zuflucht
zu suchen, sagte er ihr, er wäre ein Sklavenhändler, und Assad, den er
mitgebracht, wäre der einzige ihm noch übrige Sklave, den er behielte, um sich
seiner als Schreiber zu bedienen.

Assad hatte der Königin Margiane gleich beim ersten
Anblick gefallen, und sie freute sich, zu vernehmen, dass er ein Sklave wäre.
Entschlossen, ihn für jeden Preis zu kaufen, fragte sie Assad, wie er hieße.

„Erhabene Königin,“ antwortete Assad, mit
Tränen im Auge, „fragt Euer Majestät nach dem Namen, den ich vormals
führte, oder nach dem, den ich jetzt führe?“

„Wie!“, versetzte die Königin, „habt ihr
denn zwei Namen?“

„Ach, leider verhält es sich so!“, antwortete
Assad. „Ehemals hieß ich Assad, jetzt aber heiße ich Motar.“1)

Margiane, die den wahren Sinn dieser Worte nicht
durchschauen konnte, bezog in auf seinen Sklavenstand, und erkannte zugleich,
dass er viel Geist hatte.

„Da ihr Schreiber seid,“ sagte sie hierauf zu
ihm, „so werdet ihr ohne Zweifel gut schreiben können: Lasst mich eure
Handschrift sehen.“

Assad war mit Papier und einem Schreibzeug an seinem
Gürtel durch Behrams Sorgfalt versehen, der diesen Zubehör nicht vergessen
hatte, um die Königin von seinem Vorgeben zu überzeugen, – und schrieb
sogleich folgende Sprüche:

„Oft entgeht der Blinde einer Grube, in welche der
Hellsehende hinab stürzt.

Oft gereicht ein Wort dem Thoren zum Gewinne, welches den
Weisen in Unglück bringt.

Oft wird der Rechtgläubige in seinem Lebensunterhalt
beengt, während der Ungläubige im überfluss schwelgt.

Der Klügste kann in solchen Lagen sich nicht helfen, denn
der Allmächtige hat dieses alles so geordnet.“

Assad überreichte das Blatt der Königin Margiane, die
nicht weniger das Sinnvolle der Sprüche, als die Schönheit der Schriftzüge
bewunderte. Es bedurfte nichts mehr, um ihr Herz vollends zu entzünden und sie
zum innigen Mitleid mit ihm zu rühren.

Sobald sie alles gelesen hatte, wandte sie sich zu Behram
und sprach: „Ihr habt die Wahl, mir diesen Sklaven zu verkaufen, oder mir
ein Geschenk damit zu machen, vielleicht werdet ihr besser eure Rechnung dabei
finden, wenn ihr das letzte wählt.“

Behram erwiderte unverschämt genug, dass er hier nicht zu
wählen hätte, sondern seinen Sklaven selber gebrauchte, und ihn also behalten
wollte.

Die Königin Margiane, erzürnt über diese Dreistigkeit,
wollte nicht weiter mit Behram sprechen. Sie nahm den Prinzen Assad beim Arm,
ließ ihn vor sich hergehen und führte ihn in ihren Palast. An Behram aber
ließ sie sagen: Sie würde alle seine Waren in Beschlag nehmen und sein Schiff
mitten im Hafen in Brand stecken lassen, wenn er die Nacht dort bliebe.

Behram war genötigt, sehr verdrießlich nach seinem
Schiff zurückzukehren, und alle Vorbereitungen zu treffen, um wieder unter
Segel zu gehen, obgleich der Sturm sich noch nicht völlig gelegt hatte.

„Die Königin Margiane, die beim Eintritt in ihren
Palast befohlen hatte, schleunig das Abendessen aufzutragen, führte Assad in
ihr Zimmer, wo sie ihn neben sich sitzen ließ. Assad sträubte sich, indem er
sagte, dass diese Ehre einem Sklaven nicht gebührte.

„Einem Sklaven!“, erwiderte die Königin,
„vor einem Augenblick noch Art ihr es, aber jetzt seid ihr es nicht mehr.
Setzt euch neben mich, sage ich, und erzählt mir eure Geschichte, denn was ihr
mir da geschrieen habt, um mir eure Handschrift zu zeigen, und die
Unverschämtheit dieses Sklavenhändlers, gibt mir zu erkennen, dass sie
außerordentlich sein muss.“

Der Prinz Assad gehorchte und als er sich gesetzt hatte,
sagte er: „Mächtige Königin, Euer Majestät täuscht sich nicht. Meine
Geschichte ist in der Tat außerordentlich, und mehr als man sich vorstellen
kann. Die Leiden, die unglaublichen Qualen, die ich ausgestanden habe, und die
Todesart, zu welcher ich bestimmt war, und wovon eure wahrhaft königliche
Großmut mich befreit hat, werden euch die Größe einer Wohltat ermessen
lassen, die ich niemals vergessen werde. Aber bevor ich auf diese schauderhafte
Erzählung komme, muss ich vom Ursprung meines Unglücks ausholen.“

Nach diesem Eingang, welcher die Neugier der Königin
Margiane noch vermehrte, begann Assad und erzählte ihr von seiner und seines
Bruders königlicher Geburt, von ihrer gegenseitigen Freundschaft, von der
sträflichen Liebe ihrer Stiefmütter, die sich in den wütendsten Hass
verwandelte und die Quelle ihres seltsamen Schicksals war. Er kam dann auf den
Zorn des Königs, seines Vaters, auf die fast wunderbare Weise ihrer
Lebensrettung, und endlich auf den Verlust seines Bruders, und auf sein so
langes und qualvolles Gefängnis, aus welchem man ihn nur gezogen hatte, um ihn
auf dem Feuerberg zu opfern.

Als Assad seine Erzählung beendigt hatte, sagte die
Königin Margiane, dadurch noch mehr als jemals gegen die Feueranbeter
aufgeregt: „Prinz, ungeachtet des Abscheus, den ich stets gegen die
Feueranbeter gehabt, habe ich ihnen doch immer noch viel Menschlichkeit
bewiesen. Aber nach der unmenschlichen Behandlung, die ihr von ihnen erlitten
habt, und der abscheulichen Absicht, euch selber zum Schlachtopfer darzubringen,
erkläre ich ihnen von nun an eine unversöhnliche Feindschaft.“

Sie wollte sich noch weiter hierüber verbreiten, aber es
wurde aufgetragen, und sie setzte sich mit dem Prinzen Assad zu Tisch, bezaubert
von seinem Anblick und von seinen Reden, und schon durch eine Leidenschaft für
ihn eingenommen, zu deren Mitteilung sie bald eine Gelegenheit zu finden hoffte.

„Prinz,“ sprach sie zu ihm, „man muss euch
die langen Fasten und die bösen Mahlzeiten, zu welchen die erbarmungslosen
Feueranbeter euch genötigt haben, vergüten: Nach so langen Leiden bedürft ihr
der Erquickung.“ Und mit diesen und mehreren ähnlichen Worten legte sie
ihm zu essen vor, und ließ ihm eine Schale nach der andern einschenken. Die
Mahlzeit dauerte lange, und der Prinz trank etwas mehr als er vertragen konnte.

Als die Tafel aufgehoben war, hatte Assad nötig hinaus zu
gehen, und nahm die Zeit so gut wahr, dass es die Königin nicht bemerkte. Er
stieg in den Hof hinab, und da er die Gartentüre offen sah, trat er hinein.
Angezogen durch die mannigfaltigen Schönheiten des Gartens, wandelte er darin
eine Weile umher, und ging endlich zu einem Springbrunnen, der den Garten
höchst anmutig machte. Hier wusch er sich die Hände und das Gesicht, um sich
zu erfrischen, und indem er sich auf dem Rasen, der das Wasserbecken umgab,
ausruhen wollte, schlief er ein.

Die Nacht brach jetzt an, und Behram, der die Drohung der
Königin Margiane nicht wollte zur Vollstreckung kommen lassen, hatte schon die
Anker gelichtet, sehr verdrießlich über den Verlust Assads und über die
getäuschte Hoffnung, ihn zum Schlachtopfer darzubringen. Er suchte sich
gleichwohl zu trösten, da der Sturm sich gelegt hatte und ein Wind vom Land her
seine Abfahrt begünstigte.

Sobald er sich mit Hilfe seines Bootes aus dem Hafen
bugsiert hatte, sagte er, bevor er es in das Schiff hinaufziehen ließ, zu den
Matrosen darin: „Kinder, steigt noch nicht herauf, ich will euch Fässer
geben lassen, um Wasser einzunehmen, und euch hier an der Küste erwarten.“
Die Matrosen wussten nicht, wo sie Wasser schöpfen könnten, und machten
Schwierigkeit, aber da Behram bei dem Gespräch mit der Königin im Garten den
Springbrunnen bemerkt hatte, fuhr er fort: „Landet nur bei dem Garten am
Palast, steigt über die Mauer, die nur so hoch als eine Lehne ist, und ihr
werdet Wasser genug in dem Wasserbecken mitten im Garten finden.“

Die Matrosen ruderten hin und landeten, wo Behram sie
angewiesen hatte. Nachdem jeder beim Aussteigen ein Fass auf die Schulter
genommen, stiegen sie gemächlich über die Mauer. Indem sie sich dem
Wasserbecken näherten, sahen sie am Rand desselben einen Mann liegen und
schlafen, traten heran, und erkannten ihn für Assad. Sie teilten sich sogleich.
Während die einen ihre Wasserfässer mit so wenig Geräusch als möglich
füllten, umringten die andern Assad, und beobachteten ihn, um ihn festzuhalten,
wenn er etwa erwachte. Er ließ ihnen volle Zeit zu allem. Sobald jene die
Fässer gefüllt und wieder auf die Schultern geladen hatten, bemächtigten die
andern sich seiner, und schleppten ihn, ohne ihm Zeit zur Besinnung zu lassen,
mit fort. Sie stiegen mit ihm über die Mauer, schifften ihn mit ihren Tonnen
ein, und ruderten aus aller Macht nach dem Schiff. Als sie nahe am Bord waren,
riefen sie mit Freudengeschrei aus: „Hauptmann, lasst euer Pfeifen und
Trommeln aufspielen, wir bringen euch euren Sklaven wieder!“

Behram, der nicht begreifen konnte, wie seine Matrosen den
Assad wieder finden und fangen konnten, und ihn wegen der Dunkelheit der Nacht
auch nicht in dem Boot sehen konnte, erwartete mit Ungeduld, bis sie wieder aufs
Schiff gestiegen waren, um sie zu fragen, was sie damit meinten. Aber als er ihn
vor seinen Augen sah, konnte er sich vor Freuden nicht halten. Ohne sich zu
erkundigen, wie sie es angestellt hätten, einen so guten Fang zu tun, ließ er
ihn wieder an die Kette legen. Und nachdem sie das Boot eilig wieder ins Schiff
gezogen hatten, ließ er alle Segel anspannen, und steuerte wieder nach dem
Feuerberg zu …“

Die Sultanin Scheherasade erzählte diese Nacht nicht
weiter. In der folgenden fuhr sie aber fort, und sagte zu dem Sultan von Indien:


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