Project Description

245. Nacht

Fortsetzung
der Geschichte des Prinzen Assad

Assad war unterdessen stets in dem Loch gefesselt, worin
er durch die Gewandtheit des arglistigen Greises versperrt worden. Bostane und
Kavame, die Töchter des Alten, misshandelten ihn fortwährend mit derselben
Grausamkeit und Unmenschlichkeit.

So nahte das große Fest der Feueranbeter heran. Man
rüstete das Schiff aus, welches gewöhnlich die Fahrt nach dem Feuerberg
machte. Man belud es mit Waren, unter der Leitung eines Hauptmanns, Namens
Behram1),
eines großen Eiferers für die Religion der Magier. Als es in Bereitschaft war
unter Segel zu gehen, ließ Behram auch Assad einschiffen, und zwar in einer
halb mit Waren angefüllten Kiste, deren Bretter öffnungen genug hatten, um die
ihm zum Atemholen nötige Luft einzulassen. So ließ er die Kiste in den
untersten Schiffsraum hinabsenken.

Ehe das Schiff unter Segel ging, wollte der Großwesir
Amgiad, Assads Bruder, es untersuchen, weil er Kunde hatte, dass die
Feueranbeter jedes Jahr einen Muselmann auf dem Feuerberg zu opfern pflegten,
und dass Assad, der vielleicht in ihre Hände gefallen war, wohl zu dieser
blutigen Feier bestimmt sein könnte. Er ging also selber hin, ließ alle
Matrosen und Reisenden auf das Verdeck treten, während seine Leute das ganze
Schiff durchsuchten: Aber Assad wurde nicht gefunden, er war zu gut versteckt.

Nach geschehener Durchsuchung verließ das Schiff den
Hafen. Als es auf offener See war, befahl Behram den Prinzen Assad aus der Kiste
zu ziehen, und ließ ihn an eine Kette legen, um sich seiner zu versichern, aus
Furcht, er möchte sich, weil er wohl wusste, dass man ihn opfern wollte,
verzweiflungsvoll ins Meer stürzen.

Nach einigen Tagen ward der günstige Wind widrig, und
zwar auf eine Weise, dass er zum wütendsten Sturm anwuchs. Das Schiff verlor
nicht allein ganz seine Richtung, sondern Behram und sein Steuermann wussten
auch selbst nicht mehr, wo sie waren, und sie fürchteten jeden Augenblick auf
eine Klippe zu stoßen und daran zu scheitern. Als der Sturm am heftigsten war,
entdeckten sie Land, und Behram erkannte es für die Gegend, wo der Hafen und
die Hauptstadt der Königin Margiane2)
lag, und war darüber sehr bestürzt. Denn die Königin Margiane war Muselmann,
und tödliche Feindin der Feueranbeter. Nicht allein duldete sie keinen in ihren
Staaten, sondern sie erlaubte sogar keinem ihrer Schiffe, darin zu landen.

Unterdessen stand es nicht mehr in Behrams Gewalt, den
Hafen ihrer Hauptstadt zu vermeiden, wenn er nicht gegen die Küste laufen und
daran zerschellen wollte, da sie von furchtbaren Felsen umstarrt war. In dieser
äußersten Not ging er mit seinem Steuermann und seinen Matrosen zu Rate.
„Kinder,“ sprach er, „ihr seht die Not, worin wir uns befinden.
Wir haben nur zwischen zwei Dingen zu wählen: Entweder müssen wir uns von den
Wellen verschlingen lassen, oder uns bei der Königin Margiane retten. Aber ihr
unversöhnlicher Hass gegen unsere Religion und alle Bekenner derselben ist euch
bekannt. Sie wird nicht verfehlen, sich unsers Schiffes zu bemächtigen und uns
alle erbarmungslos umbringen zu lassen. Ich sehe nur ein einziges Mittel, das
uns vielleicht retten kann. Ich meine, dass wir den Muselmann, den wir hier an
der Kette haben, losmachen und ihn als Sklaven ankleiden. Wenn nun die Königin
Margiane mich vor sich kommen lässt und mich nach meinem Gewerbe fragt, so will
ich ihr antworten, ich sei ein Sklavenhändler und habe alle schon verkauft, die
ich gehabt, bis auf einen, dessen ich mich als Schreiber bediene, weil er lesen
und schreiben könne. Sie wird ihn sehen wollen. Da er wohl gebildet und
überdies von ihrer Religion ist, so wird sie, von Mitleid gerührt, nicht
unterlassen, mir anzumuten, dass ich ihn ihr verkaufe, und sich dafür erbieten,
uns in ihrem Hafen zu dulden, bis zum nächsten günstigen Wetter. Wisst ihr
etwas Besseres, so sagt es mir, ich werde es gern hören.“

Der Steuermann und die Matrosen stimmten seinem Vorschlag
bei, der auch sogleich ausgeführt wurde …“

Die Sultanin Scheherasade war genötigt, bei diesen
letzten Worten stehen zu bleiben, weil der Tag sich schon blicken ließ. Sie
nahm dieselbe Erzählung in der folgenden Nacht wieder auf, und sprach zu dem
Sultan von Indien:


1)
Behram heißt der persische Mars.