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243. Nacht

„Herr, als Bahader und der Prinz Amgiad in dem Hof
waren, fragte Bahader den Prinzen, durch welches Abenteuer er sich mit dem
Fräulein in seinem Haus befände, und warum sie die Tür desselben erbrochen
hätten?

„Herr,“ antwortete Amgiad, „ich muss euch
sehr strafbar erscheinen, aber wenn ihr die Gütigkeit haben wollt, mich
anzuhören, so hoffe ich, ihr werdet mich entschuldigen.“ Er fuhr hierauf
fort, und erzählte ihm in wenig Worten, wie die Sache zusammenhinge, ohne etwas
zu verschweigen. Um ihn völlig zu überzeugen, dass er einer solchen
unwürdigen Handlung, wie die Erbrechung eines Hauses, nicht fähig wäre,
verhehlte er ihm auch nicht, dass er ein Prinz wäre, und sagte ihm die Ursache,
warum er sich in der Stadt der Magier befände.

Bahader, der von Natur ein Freund der Fremden war, freute
sich über die Gelegenheit, einem von dem Stande und Range Amgiads zu dienen.
Denn nach seinem Wesen, seinem edlen Anstand, seinen Reden und seinen gewählten
Ausdrücken, zweifelte er keineswegs an seiner Aufrichtigkeit.

„Prinz,“ sprach er zu ihm, „ich bin
äußerst erfreut, Gelegenheit gefunden zu haben, euch in einem so lustigen
Abenteuer, wie das mir von euch erzählte ist, zu dienen. Weit entfernt, euer
Fest zu stören, mache ich mir ein großes Vergnügen daraus, zu euer Lust
beizutragen. Ich bin der Oberstallmeister des Königs, und heiße Bahader. Ich
habe einen Palast zu meiner eigentlichen Wohnung, und dieses Haus habe ich dazu,
um manchmal mit meinen Freunden gemächlicher zusammenzukommen. Ihr habt eurer
Schönen eingebildet, ihr habt einen Sklaven, obwohl ihr keinen habt. Ich will
dieser Sklave sein. Damit ihr euch darüber kein Bedenken macht und euch nicht
entschuldigt, so wiederhole ich euch, dass ich es durchaus sein will. Ihr sollt
bald die Ursache davon hören. Geht also und setzt euch wieder auf euren Platz,
fahrt fort euch zu erlustigen: Wenn ich nach einiger Zeit hereinkomme und im
Sklavenkleid vor euch trete, so scheltet mich tüchtig aus. Ja, scheut euch
selbst nicht, mich zu schlagen: Ich werde euch bedienen, so lange ihr bei Tisch
sitzt, bis in die Nacht. Ihr schlaft mit der Schönen hier, und morgen früh
entlasse ich euch mit Ehren. Danach werde ich mich bemühen, euch noch andere
wichtigere Dienste zu leisten. Geht also, und verliert keine Zeit.“

Amgiad wollte etwas einwenden, aber der Oberstallmeister
ließ es nicht zu, sondern zwang ihn, zu dem Fräulein zurückzukehren.

Kaum war Amgiad wieder in den Saal gegangen, als die
eingeladenen Freunde des Oberstallmeisters ankamen. Er bat sie freundlich, ihn
zu entschuldigen, dass er sie diesen Tag nicht bewirte, indem er ihnen zu
verstehen gab, sie würden gewiss die Ursache davon billigen, wenn er sie ihnen
am nächsten Tag sagen würde. Sobald sie sich wieder entfernt hatten, ging er
hin und legte ein Sklavenkleid an.

Der Prinz Amgiad kam wieder zu der Schönen, sehr
vergnügten Herzens, dass der Zufall ihn in ein Haus geführt hatte, dessen Herr
ein so ausgezeichneter Mann war, und sich so artig gegen ihn benahm. Indem er
sich wieder an den Tisch setzte, sagte er zu ihr: „Schöne Frau, ich bitte
euch tausend Mal um Vergebung wegen meiner Unhöflichkeit und wegen meiner
verdrießlichen Laune, worin die Abwesenheit meines Sklaven mich versetzt: Der
Schlingel soll’s mir bezahlen. Ich will ihm zeigen, ob er so lange ausbleiben
darf.“

„Lasst euch das nicht beunruhigen,“ versetzte
die Schöne, „desto schlimmer für ihn: Macht er Streiche, so soll er sie
büßen. Denken wir nicht mehr daran, sondern nur, uns zu erfreuen.“

Sie fuhren nun fort zu tafeln, und mit desto mehr
Annehmlichkeit, da Amgiad nicht mehr, wie bisher, besorgt war, was aus dem
übermut der Schönen entstehen würde, welche die Türe des Hauses doch nicht
hätte erbrechen sollen, wenn selbst das Haus Amgiad gehört hätte. Sie war in
der heitersten Laune, und beide wechselten tausend Scherzreden, indem sie mehr
tranken als aßen, bis Bahader, als Sklave verkleidet, ankam.

Der Sklave war sehr betreten, als er seinen Herrn schon in
Gesellschaft sah, und dass er so spät zurückkam. Er warf sich ihm zu Füßen
und küsste den Boden, um seine Gnade anzuflehen. Als er sich wieder
aufgerichtet hatte, stand er mit niedergeschlagenen Augen und gekreuzten Armen
und erwartete seine Befehle.

„Nichtswürdiger Sklave,“ sprach Amgiad zu ihm,
mit Zorn im Auge und im Tone, „sage mir, gibt’s noch einen schändlicheren
Sklaven, als du bist! Wo bist du gewesen? Was hast du gemacht, dass du jetzt
erst zurückkommst?“

„Herr,“ antwortete Bahader, „ich bitte euch
um Verzeihung: Ich habe die mir von euch gegebenen Aufträge ausgerichtet. Ich
glaubte nicht, dass ihr so bald zurückkommen würdet.“

„Du bist ein Taugenichts,“ fuhr Amgiad fort,
„und mit derben Streichen will ich dich lügen und deine Schuldigkeit
versäumen lehren.“

Zugleich stand er auf, ergriff einen Stock und gab ihm
damit zwei oder drei ziemlich leichte Schläge, worauf er sich wieder an den
Tisch setzte.

Die Schöne war aber mit dieser Strafe nicht zufrieden.
Sie stand ebenfalls auf, nahm den Stock und bedeckte Bahader schonungslos mit so
viel Schlägen, dass ihm die Tränen in die Augen traten. Amgiad, äußerst
betreten über die Freiheit, welche sie sich nahm, und einen königlichen
Beamten von dieser Bedeutung so misshandelte, mochte schreien was er wollte,
dass es genug wäre, sie schlug immer zu. „Lasst mich gewähren,“
sagte sie, „ich will mir Genugtuung verschaffen, und ihn lehren, ein
andermal so lange ausbleiben.“ Sie fuhr fort mit solcher Wut zu schlagen,
dass er genötigt war, aufzustehen und ihr den Stock zu entreißen, den sie nur
nach heftigem Widerstand fahren ließ. Und als sie nun den Bahader nicht mehr
schlagen konnte, setzte sie sich wieder auf ihren Platz und schimpfte ihn noch
tüchtig aus.

Bahader trocknete seine Tränen, bediente sie dann, und
schenkte ihnen ein. Als er sah, dass sie nicht mehr tranken und aßen, deckte er
ab, säuberte den Saal, stelle alles wieder an seinen Platz, und als es Nacht
ward, zündete er die Wachskerzen an. So oft er hinausging oder herein kam,
unterließ die Schöne nicht, auf ihn zu grollen, ihm zu drohen und ihn zu
schimpfen: Zum Missvergnügen Amgiads, der ihn gern schonen wollte und ihm
nichts zu sagen wagte.

Als es Zeit war, sich niederzulegen, bereitete Bahader
ihnen ein Bett auf dem Sofa, und zog sich in ein Gemach zurück, wo er, nach
einer so langen Anstrengung, bald einschlief.

Amgiad und die Schöne unterhielten sich noch eine starke
halbe Stunde. Die Schöne musste, bevor sie sich niederlegte, noch einmal
hinausgehen. Da sie auf dem Gang durch die Vorhalle Bahader schon schnarchen
gehört, und im Saal einen Säbel bemerkt hatte, so sprach sie, als sie wieder
hereinkam, zu Amgiad: „Herr, ich bitte euch, mir zu Liebe ein Ding zu
tun.“ – „Was steht zu euren Diensten?“, fragte Amgiad. „Tut
mir den Gefallen,“ fuhr sie fort, „nehmt diesen Säbel, und geht hin
und haut eurem Sklaven den Kopf ab.“

Amgiad war höchst erstaunt über diese Anmutung, welche,
wie er nicht zweifelt, der Wein dem Weib eingab. „Schöne Frau,“ sagte
er darauf, „lassen wir den Sklaven in Ruhe. Er verdient nicht, dass ihr an
ihn noch denkt: Ich habe ihn bestraft, und ihr selber habt ihn gezüchtigt, das
ist genug. übrigens bin ich sehr zufrieden mit ihm und er ist sonst frei von
diesem Fehler.“

„Ich begnüge mich nicht damit,“ versetzte das
wütende Weib. „Ich will den Tod dieses Spitzbuben, und wenn er nicht von
eurer Hand stirbt, so soll er von der meinen sterben.“

Mit diesen Worten ergreift sie den Säbel, zieht ihn aus
der Scheide, und schlüpft hinaus, ihren mörderischen Vorsatz zu vollbringen.

Amgiad ereilte sie in der Vorhalle, trat ihr in den Weg
und sagte zu ihr: „Schöne Frau, ich muss euch schon genug tun, weil ihr es
durchaus wollte: Es würde mir leid tun, wenn ein anderer als ich, meinem
Sklaven das Leben nähme.“

Als sie ihm hierauf den Säbel gegeben hatte, fuhr er
fort: „Kommt, folgt mir, und macht kein Geräusch, damit er nicht
aufwache.“

Sie traten nun in das Zimmer, wo Bahader schlief: Aber
anstatt ihn zu töten, schwang Amgiad den Säbel gegen das Weib, und schlug ihr
den Kopf ab, der auf Bahader hinflog …“

Der Tag war schon angebrochen, als Scheherasade diese
Worte aussprach: Sie bemerkte es, und schwieg. In der folgenden Nacht nahm sie
ihre Erzählung wieder auf, und sagte zu dem Sultan von Indien: