Project Description

241. Nacht

Der
Prinz Assad in der Stadt der Magier

Der Prinz Assad nahm Geld aus dem Beutel, welchen Amgiad
trug, und setzte seinen Weg bis in die Stadt fort. Er hatte kaum einige Schritte
in der ersten Straße getan, als er einen ehrwürdigen Greis antraf, der
wohl gekleidet war, und ein Rohr in der Hand trug. Da er ihn unbedenklich für
einen bedeutenden Mann hielt, der ihn nicht täuschen würde, so nahte er sich
ihm, und redete ihn an, „Herr, ich bitte euch, mir den Weg nach dem
öffentlichen Platze zu zeigen.“

Der Greis betrachtete den Prinzen lachend, und sagte zu
ihm: „Mein Sohn, vermutlich bist du ein Fremder. Du würdest mir nicht
diese Frage tun, wenn dem nicht so wäre.“

„Ja, Herr,“ antwortete Assad, „ich bin ein
Fremder.“

„Sei willkommen,“ sagte der Greis hierauf.
„Unser Land ist sehr geehrt, dass ein wohl gebildeter Jüngling, wie du,
sich bemüht, es zu besuchen. Sage mir, was du auf dem öffentlichen Platze zu
tun hast.“

„Herr,“ antwortete Assad, „es sind beinahe
zwei Monate, dass ich mit meinem Bruder aus einem sehr weit von hier entlegenen
Land abreiste. Während dieser Zeit sind wir unaufhörlich fortgewandert, und
wir kommen eben heute erst an. mein Bruder, von der so langen Reise ermüdet,
ist am Fuße des Berges geblieben, und ich komme, Lebensmittel für ihn und für
mich zu holen.“

„Mein Sohn,“ sagte hierauf wieder der Greis,
„du bist gerade zur gelegensten Zeit gekommen, und ich freue mich für dich
und deinen Bruder darüber. Ich habe heute mehreren meiner Freunde ein großes
Gastmahl gegeben, von welchem eine Menge Gerichte, noch unberührt, übrig
geblieben sind. Komm mit mir, ich will dir davon zu essen geben. Wenn du
gesättigt bist, will ich dir davon noch für dich und deinen Bruder auf mehrere
Tage Vorrat geben. Du hast also nicht nötig, dein Geld auf dem Markt
auszugeben: Reisende haben nie zu viel Geld. Zugleich kann ich dich, während du
ißt, von den Besonderheiten unserer Stadt besser unterrichten, als irgend
jemand. Ein Mann wie ich, der die höchsten ämter mit Ehren bekleidet hat, muss
sie wohl kennen. Du darfst dich auch wohl freuen, dass du dich eher an mich, als
an jemand anders gewandt hast. Denn ich muss dir im Vorbeigehen sagen, dass
nicht alle unsere Bürger so gesonnen sind, wie ich. Ich versichere dir, es gibt
darunter recht boshafte. Komm also, ich will dich kennen lehren, welch ein
Unterschied ist zwischen einem ehrlichen Mann, wie ich bin, und so vielen
Leuten, die sich dessen rühmen, aber es nicht sind.“

„Ich bin euch unendlich verpflichtet,“ erwiderte
der Prinz Assad, „für den guten Willen, welchen ihr mir bezeugt: Ich
überlasse mich ganz euch, und bin bereit, euch zu folgen, wohin es euch
beliebt.“

Der Greis, der nun mit Assad an seiner Seite weiter ging,
lachte in seinen Bart, und aus Furcht, dass Assad es bemerkte, unterhielt er ihn
von mancherlei Dingen, damit er die gute Meinung behielte, welche er von ihm
gefasst hatte. „Man muss gestehen,“ sagte er zu ihm, „du hast
großes Glück, dass du dich früher an mich, als an einen andern gewandt hast.
Ich preise Gott dafür, dass du mir begegnet bist: Du wirst erfahren, warum ich
dies sage, wenn du in mein Haus kommst.“

Der Greis erreichte endlich sein Haus, und führte Assad
in einen großen Saal, wo er vierzig Greise sah, welche im Kreis um ein Feuer
saßen, das sie anbeteten.

Bei diesem Schauspiel empfand Assad nicht minder Abscheu
vor dem Anblick so sinnloser Menschen, dass sie dem Geschöpf, anstatt dem
Schöpfer selber, ihre Verehrung widmeten, als er von Schreck ergriffen wurde,
so betrogen zu sein und sich an einem so scheußlichen Ort zu befinden.

Während Assad noch erstarrt dastand, grüßte der
arglistige Greis die vierzig Greise und sprach zu ihnen: „Andächtige
Verehrer des Feuers, heute ist ein glücklicher Tag für uns. – wo ist
Gasban?“1)
setzte er hinzu, „man rufe ihn her.“

Auf diese laut genug ausgesprochene Worte erschien ein
Schwarzer, der sie unter dem Saal gehört hatte. Kaum hatte dieser Schwarze, der
Gasban war, den trostlosen Assad erblickt, so verstand er, weshalb er gerufen
war. Er lief auf ihn zu, stürzte ihn durch eine Maulschelle zu Boden, und band
ihm die Arme mit bewundernswürdiger Geschwindigkeit. Als er fertig war, befahl
ihm der Greis: „Führ‘ ihn hinunter, und vergiss nicht, meinen Töchtern
Bostane und Kavame2)
zu sagen, dass sie ihm alle Tage tüchtig die Bastonade geben, dabei ein Brot am
Morgen, und eins am Abend, zur ganzen Nahrung: Das reicht hin, um ihn am Leben
zu erhalten, bis zur Abfahrt des Schiffes nach dem Blauen Meere und dem
Feuer-Berge. Wir wollen ihn unserer Gottheit zum angenehmen Opfer bringen
…“

Die Sultanin Scheherasade erzählte diese Nacht nicht
weiter, weil der Tag schon anbrach. In der folgenden Nacht fuhr sie fort, und
sprach zu dem Sultan von Indien:


1)
Gasban bedeutet der Gezwungene.