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24. Nacht

„Meine liebe Schwester,“ rief
Dinarsade, wie gewöhnlich, „wenn du nicht schläfst, so bitte ich dich,
das schöne Märchen von dem Fischer fortzusetzen und zu vollenden.“

Die Sultanin nahm sogleich das Wort, und
sprach folgendermaßen:

„Herr, nachdem die vier Fische
geantwortet hatten, warf sie den Tiegel mit einem Rutenschlag um, und verschwand
an derselben Stelle in die Wand, wo sie herausgetreten war.

Der Großwesir, welcher Zeuge von allem
gewesen, was vorgegangen war, sagte: „Das ist zu erstaunlich und zu
außerordentlich, um dem Sultan ein Geheimnis davon zu machen; ich gehe, ihn von
diesem Wunder zu unterrichten.“ In der Tat ging er sogleich zu ihm, und
machte ihm einen treuen Bericht davon.

Der Sultan war sehr erstaunt, und bezeigte
großes Verlangen, dieses Wunder zu sehen. In dieser Absicht sandte er hin und
ließ den Fischer holen. „Mein Freund,“ sprach er zu ihm,
„könntest du mir nicht noch vier Fische von verschiedenen Farben
bringen?“ Der Fischer antwortete dem Sultan: Wenn Seine Majestät ihm zur
Erfüllung ihres Wunsches drei Tage Zeit geben wollte, so verspräche er, ihr zu
genügen.

Als ihm dies bewilligt war, ging er zum
dritten Mal nach dem Teich, und er war nicht minder glücklich, als die beiden
vorigen Male, denn auf den ersten Zug fing er vier Fische von verschiedenen
Farben. Er säumte nicht, sie sogleich dem König zu bringen, dessen Freude
darüber umso größer war, als er sie nicht so bald erwartet hatte, und der ihm
abermals vierhundert Goldstücke geben ließ.

Sobald der Sultan die Fische hatte, ließ er
sie in sein Zimmer bringen, samt allem, was zu ihrer Bereitung nötig war. Hier
schloss er sich mit seinem Großwesir ein, und dieser richtete die Fische zu,
setzte sie in einem Tiegel auf das Feuer, und als sie auf der einen Seite
gebraten waren, kehrte er sie auf die andere. Da öffnete sich die Wand des
Zimmers, aber anstatt des Fräuleins, trat ein Schwarzer daraus hervor.

Dieser Schwarze trug die Kleidung eines
Sklaven. Er war von riesenhafter Dicke und Größe, und hielt einen dicken
grünen Stock in der Hand. Er nahte sich dem Tiegel, berührte mit seinem Stock
einen der Fische, und sprach zu ihm mit furchtbarer Stimme: „Fisch, Fisch,
tust du deine Pflicht?“

Auf diese Worte hoben die Fische ihre Köpfe
empor, und antworteten: „Ja, ja, wir tun unsere Pflicht, wenn ihr rechnet,
so rechnen wir auch, wenn ihr eure Schulden bezahlt, so bezahlen wir auch die
unsrigen: wenn ihr flieht, so siegen wir und sind wir zufrieden.“

Kaum hatten die Fische diese Worte
ausgesprochen, als der Schwarze den Tiegel mitten im Zimmer umstieß, und die
Fische in Kohlen verwandelte. Als dies geschehen war, entfernte er sich stolz,
und trat in die geöffnete Wand zurück, welche sich wieder schloss und in
demselben Zustande erschien, wie zuvor.

„Nachdem, was ich soeben gesehen
habe,“ sprach der Sultan zu seinem Großwesir, „ist es mir unmöglich,
ruhig zu sein. Diese Fische bedeuten ohne Zweifel etwas außerordentliches,
worüber ich Aufklärung haben will.“

Er sandte abermals nach dem Fischer. Man
brachte ihn, und er sagte zu ihm: „Fischer, die Fische, welche du uns
gebracht hast, verursachen mir große Unruhe. An welchem Ort hast du sie
gefangen?“ – „Herr,“ antwortete er, „Ich habe sie in einem
Teich gefangen, welcher zwischen vier Hügeln liegt, jenseits des Berges, den
man von hier sieht.“

„Kennst du diesen Teich?“ fragte
der Sultan den Wesir. – „Nein, Herr,“ antwortete der Wesir, „ich
habe nie davon reden gehört, es sind gleichwohl schon sechzig Jahre, dass ich
in der Umgegend und jenseits dieses Berges jage.“

Der Sultan fragte nun den Fischer, wie weit
der Teich von seinem Palast entfernt wäre, und der Fischer versicherte, dass es
nicht mehr als drei Stunden Weges wäre.

auf diese Versicherung, und weil es noch hoch
genug am Tage war, um vor der Nacht dorthin zu gelangen, befahl der Sultan
seinem ganzen Hofe, zu Pferde zu steigen, und der Fischer diente ihm als
Führer.

Sie ritten den Berg hinauf, und beim
Hinabsteigen sahen sie, mit großer Verwunderung, eine weite Ebene, welche
niemand bisher bemerkt hatte. Endlich gelangten sie an den Teich, welchen sie
wirklich zwischen vier Hügeln liegen fanden, wie der Fischer berichtet hatte.
Das Wasser darin war so durchsichtig, dass sie bemerkten, wie alle Fische darin
denen ähnlich waren, welche der Fischer nach dem Palast gebracht hatte.

Der Sultan hielt am Ufer des Teiches still,
und nachdem er die Fische darin einige Zeit mit Verwunderung betrachtet hatte,
fragte er seine Emire und alle seine Hofleute, wie es möglich wäre, dass sie
diesen so nahe bei der Stadt gelegenen Teich noch nicht gesehen hätten. Sie
antworteten ihm, dass sie niemals auch nur davon reden gehört hätten.

„Weil ihr denn alle einstimmig
seid,“ sagte er darauf zu ihnen, „dass ihr nicht einmal davon reden
gehört habt, und da ich nicht minder als ihr über diese neue Erscheinung
erstaunt bin, so habe ich mich entschlossen, nicht eher in meinen Palast
zurückzukehren, als bis ich weiß, wie dieser Teich hierher kommt, und warum es
nur Fische von viererlei Farben darin gibt.“

Nachdem er dieses gesagt hatte, befahl er,
sich zu lagern, und alsbald wurde sein Zelt und die Zelte für seinen Hof am
Ufer des Teiches aufgeschlagen.

Bei Anbruch der Nacht begab der Sultan sich
in sein Zelt, besprach sich insgeheim mit seinem Großwesir, und sagte zu ihm:
„Wesir, ich fühle in mir eine große Unruhe, dieser an diesen Ort
versetzte Teich, dieser Schwarze, der uns in meinem Zimmer erschienen ist, diese
Fische, welche wir reden gehört haben: alles dies erregt meine Neugier
dermaßen, dass ich der Ungeduld nicht widerstehen kann, sie zu befriedigen. Zu
diesem Zweck habe ich einen Plan erdacht, welchen ich durchaus ausführen muss.
Ich werde mich allein aus dem Lager entfernen, und befehle dir, meine
Abwesenheit geheim zu halten: Bleib‘ unter meinem Zelt, und morgen früh, wenn
meine Emire und Hofleute sich vorzustellen kommen, weise sie ab, mit dem
Vorgeben, dass ich von einer leichten Unpässlichkeit befallen bin, und allein
sein will. Die folgenden Tage wiederhole ihnen dasselbe, bis ich wieder
zurückkomme.“

Der Großwesir machte dem Sultan mehrere
Vorstellungen, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Er erinnerte ihn an die
große Gefahr, der er sich aussetze, und dass er sich vielleicht eine
vergebliche Mühe gäbe. Aber wie er auch seine Beredsamkeit erschöpfte, der
Sultan ließ nicht ab von seinem Entschluss, sondern bereitete sich, ihn
auszuführen.

Er zog sich ein zum Wandern bequemes Kleid
an, versah sich mit einem Säbel, und sobald er sah, dass alles still war in
seinem Lager, machte er sich ohne irgend eine Begleitung auf den Weg.

Er richtete seine Schritte gegen einen der
vier Hügel, und bestieg ihn gemächlich. Noch leichter stieg er jenseits hinab,
und als er in der Ebene war, wanderte er bis Sonnenaufgang darauf fort.

Da erblickte er in der Ferne vor ihm ein
großes Gebäude, und freute sich in der Hoffnung, dort etwas von dem zu
erfahren, was er zu wissen wünschte. Als er nahe daran war, bemerkte er, dass
es ein prächtiger Palast war, oder vielmehr ein sehr festes Schloss, von
schönem schwarzen geschliffenen Marmor, mit einem Dach von feinem Stahl, so
glatt wie ein Spiegelglas. Erfreut, dass er nicht lange gehen durfte, ohne
wenigstens etwas Merkwürdiges anzutreffen, blieb er an der Vorderseite des
Schlosses stehen, und betrachtete sie mit großer Aufmerksamkeit.

Er näherte sich hierauf der Pforte, welche
zwei Flügeltüren hatte, deren eine offen stand. Obgleich er gerade
hineintreten konnte, so glaubte er doch anklopfen zu müssen. Er klopfe also
einmal, ziemlich leise, und wartete einige Zeit, da er niemand kommen sah,
wähnte er, man hätte ihn nicht gehört, deshalb klopfte er zum zweiten Male
etwas stärker, und als er niemand sah noch hörte, noch stärker: Aber immer
noch erschien niemand. Das verwunderte ihn höchlich, denn er konnte sich nicht
denken, dass ein so wohl unterhaltenes Schloss unbewohnt wäre. „Wenn
niemand darin ist,“ sagte er zu sich selber, „so habe ich nichts zu
fürchten, und ist jemand drinnen, so habe ich etwas, mich zu verteidigen.“

Kurz, der Sultan trat hinein, er ging weiter
in den Vorhof, und rief laut: „Ist niemand hier, einen Wanderer
aufzunehmen, der eine Erquickung bedarf?“ Er wiederholte dieselbe Frage
zwei- oder dreimal, aber, so laut er auch sprach, niemand antwortete ihm.

Dieses Stillschweigen vermehrte sein
Erstaunen. Er ging weiter in einen sehr geräumigen Hof, und blickte sich nach
allen Seiten um, ob er niemand entdecken könnte. Er erblickte aber nicht das
geringste lebende Wesen …

„Aber, Herr,“ sagte Scheherasade
bei dieser Stelle, „der anbrechende Tag legt mir Stillschweigen auf.“

„Ach, meine Schwester,“ sagte
Dinarsade, „du lässt uns gerade an der schönsten Stelle!“ – „Es
ist wahr,“ antwortete die Sultanin; „aber liebe Schwester, du siehst
die Notwendigkeit davon ein. Jedoch käme es nur auf den Sultan, meinen Herrn
an, dass du morgen auch das übrige hörtest.“

Es geschah nicht sowohl Dinarsade zu
Gefallen, dass Schachriar die Sultanin nochmals leben ließ, als um seine eigene
Neugier zu befriedigen und zu vernehmen, was sich in dem Schlosse zutragen
würde.