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239. Nacht

„Herr, wir ließen gestern die beiden unnatürlichen
Königinnen in dem abscheulichen Vorsatz, die beiden Prinzen, ihre Söhne, zu
verderben.

Als am folgenden Morgen der König Kamaralsaman von der
Jagd zurückkam, war er sehr erstaunt, sie in einem Bett liegen zu finden, ganz
verweint, und in einem so gut verstellten Zustand, dass er zum Mitleid bewegt
wurde. Er fragte sie hastig, was ihnen geschehen wäre.

Auf diese Frage verdoppelten die treulosen Königinnen ihr
Seufzen und Schluchzen, und nachdem sie sich genug hatten bitten lassen, nahm
endlich die Königin Badur das Wort. „Herr,“ sagte sie, „der
gerechte Schmerz, der uns ergriffen hat, ist so groß, dass wir das Tageslicht
nicht mehr erblicken sollten, nach der Schmach, welche die Prinzen, eure Söhne,
uns durch eine Zügellosigkeit ohne gleichen angetan haben. In Gemeinschaft
haben sie, ihrer Geburt unwürdig, in eurer Abwesenheit die Frechheit und
Schamlosigkeit gehabt, unsere Ehre anzutasten. Euer Majestät erlasse uns, mehr
davon zu sagen. Unsere Betrübnis wird euch genügend das übrige erraten
lassen.“

Der König ließ sogleich die beiden Prinzen rufen, und er
hätte ihnen mit seiner eigenen Hand das Leben genommen, wenn der alte König
Armanos, sein Schwäher, der gegenwärtig war, seinen Arm nicht zurückgehalten
hätte. „Mein Sohn,“ sagte er zu ihm, „was willst du tun? Willst
du deine Hände und deinen Palast mit deinem eigenen Blut beflecken? Es gibt ja
noch andere Mittel, sie zu bestrafen, wenn sie wirklich schuldig sind.“ Er
bemühte sich, ihn zu besänftigen, und bat ihn, ja genau zu untersuchen, ob sie
wirklich das Verbrechen begangen hätten, dessen man sie anklagte.

Kamaralsaman konnte es wohl über sich gewinnen, nicht
selber der Scharfrichter seiner Kinder zu sein. Aber, nachdem er sie hatte
verhaften lassen, ließ er am Abend einen Emir, Namens Giandar kommen, und trug
ihm auf, ihnen außerhalb der Stadt, auf welcher Seite und so weit ab, als er
wollte, das Leben zu nehmen und nicht ohne ihre Kleider, zum Zeugnisse des
vollzogenen Befehls zurückzukommen.

Giandar ritt die ganze Nacht hindurch mit den beiden
Prinzen fort. Am Morgen früh stieg er ab, und machte ihnen, mit Tränen in den
Augen, den erhaltenen Befehl bekannt. „Prinzen,“ sagte er zu ihnen,
„dieser Befehl ist sehr hart, und es ist für mich ein grausamer Schmerz,
zum Vollstrecker desselben erwählt zu sein: Wollte Gott, dass ich mich dessen
überheben könnte!“ – „Tut eure Pflicht,“ erwiderten die
Prinzen. „Wir wissen, dass ihr nicht die Ursache unsres Todes seid: Wir
verzeihen ihn euch von ganzem Herzen.“

Mit diesen Worten umarmten sich die Prinzen und sagten
sich das letzte Lebewohl mit solcher Zärtlichkeit, dass sie sich lange nicht
voneinander losreißen konnten. Der Prinz Assad bot sich zuerst dar, den
Todesstreich zu empfangen. „Beginne mit mir,“ sprach er zu Giandar,
damit ich nicht den Schmerz habe, meinen lieben Bruder Amgiad sterben zu
sehen.“ Amgiad wollte es nicht zugeben, und Giandar konnte nicht, ohne noch
mehr Tränen zu vergießen, als zuvor, Zeuge ihres Wettstreits sein, welcher
bewies, wie aufrichtig und vollkommen ihre Freundschaft war.

Sie schlichteten endlich diesen rührenden Streit, und
baten Giandar, sie zusammen zu binden und sie in die bequemste Lage zu setzen,
dass er ihnen beiden zugleich den Todesstreich geben könnte. „Verweigert
nicht,“ fügten sie hinzu, „diesen Trost, zusammen zu sterben, zwei
unglücklichen Brüdern, welche, auch bis auf ihre Unschuld, alles gemein gehabt
haben, so lange sie auf der Welt sind.“

Giandar gewährte den beiden Prinzen ihren Wunsch: Er band
sie, und als er ihnen die, wie er glaubte, angemessenste Stellung gegeben hatte,
um ihnen, ohne zu fehlen, mit einem Streich die Häupter abzuschlagen, fragte er
sie, ob sie vor ihrem Tod ihm noch etwas aufzutragen hätten.

„Wir bitten euch nur noch um eins,“ antworteten
die beiden Prinzen, „nämlich, bei eurer Rückkehr den König, unsern Vater
fest zu versichern, dass wir unschuldig sterben, ihm jedoch nicht die
Vergießung unseres Blutes zurechnen. Denn wir wissen, dass er von der Wahrheit
des uns angeschuldigten Verbrechens nicht recht unterrichtet ist.“

Giandar versprach ihnen, es nicht zu unterlassen, und zog
zugleich seinen Säbel. Sein an einen Baum neben ihm gebundenes Pferd ward von
dieser Bewegung und dem Blinken des Säbels scheu, zerriss den Zaum, sprang
fort, und lief, was es laufen konnte, über das Feld dahin.

Es war ein kostbares und reich aufgeschirrtes Ross,
welches Giandar ungern verlieren wollte. Verwirrt durch diesen Zufall warf er,
anstatt den Prinzen den Kopf abzuhauen, den Säbel weg, und lief seinem Pferd
nach, um es wieder zu fangen.

Das mutige Ross machte vor Giandar mehrere Seitensprünge,
führte ihn so bis zu einem Wald, und lief hinein. Giandar folgte ihm auch hier:
Das Wiehern des Rosses erweckte einen schlafenden Löwen, der Löwe lief hervor,
und anstatt auf das Ross loszugehen, kam er gerade auf Giandar zu, sobald er ihn
erblickte.

Giandar dachte nun nicht mehr an sein Ross: Er war jetzt
in größerer Sorge für die Erhaltung seines Lebens, und musste dem Angriff des
Löwen ausweichen, der ihn nicht aus dem Gesicht verlor, sondern ihn durch die
Bäume nahe verfolgte. In dieser höchsten Not sprach er bei sich selber:
„Gott würde mir nicht diese Strafe zuschicken, wenn die Prinzen, deren Tod
mir befohlen ist, nicht unschuldig wären: Zu meinem Unglück habe ich nicht
einmal meinen Säbel, mich zu verteidigen.“

Während Giandars Entfernung empfanden die beiden Prinzen
einen gleich brennenden Durst, den die Todesangst ihnen verursachte, ungeachtet
ihrer edelmütigen Ergebung in den grausamen Befehl ihres Vaters: Der Prinz
Amgiad machte seinem Bruder Assad bemerkbar, dass nicht weit von ihnen eine
Quelle wäre, und schlug ihm vor, sich loszubinden, um hinzugehen und zu
trinken. „Mein Bruder,“ erwiderte der Prinz Assad, „für die
kurze Zeit, die wir noch zu leben haben, verlohnt es sich nicht der Mühe,
unsern Durst zu stillen: Wir können ihn wohl noch einige Augenblicke
aushalten.“

Ungeachtet dieser Einwendung, band Amgiad sich los, und
auch seinen Bruder wider dessen Willen. Sie gingen zu der Quelle, und nachdem
sie sich erfrischt hatten, hörten sie in dem Wald, wohin Giandar seinem Ross
gefolgt war, das Gebrüll des Löwen und lautes Geschrei. Amgiad ergriff
sogleich den Säbel, den Giandar weggeworfen hatte, und sagte zu Assad:
„Mein Bruder, lass uns dem unglücklichen Giandar zu Hilfe eilen:
Vielleicht kommen wir noch zeitig genug, ihn aus der Gefahr, worin er ist, zu
befreien.“

Die beiden Prinzen verloren keine Zeit, und kamen in
demselben Augenblick an, da der Löwe den Giandar niedergeworfen hatte. Als der
Löwe den Prinzen Amgiad mit geschwungenem Säbel auf sich zukommen sah, ließ
er seine Beute fahren, und sprang wütend gerade auf ihn los. Der Prinz
erwartete ihn unerschrocken, und versetzte ihm einen so gewaltigen und
geschickten Schlag, dass er tot niederstürzte.

Sobald Giandar erkannte, dass er den beiden Prinzen das
Leben verdankte, warf er sich ihnen zu Füßen, und dankte ihnen für die große
Verpflichtung, die er ihnen hatte, in Ausdrücken, die seine vollkommen
Erkenntlichkeit bezeigten. „Prinzen,“ sprach er zu ihnen, indem er
wieder aufstand und ihnen mit Tränen in den Augen die Hand küsste, „Gott
behüte mich, dass ich noch euer Leben fordern sollte, nach einer so großen und
glänzenden Hilfe, als ihr mir jetzt geleistet habt! Nimmer soll man dem Emir
Giandar vorwerfen, dass er einer so großen Undankbarkeit fähig gewesen
sei.“

„Der Dienst, den wir euch geleistet haben,“
erwiderten die Prinzen, „darf euch nicht abhalten, euren Befehl zu
vollziehen. Wir wollen erst euer Pferd wieder fangen, und dann nach dem Orte
zurückkehren, wo ihr uns verlassen hattet.“

Sie hatten nicht viel Mühe, das Ross wieder zu fangen,
nachdem seine Wildheit vergangen und es stehen geblieben war.

Aber als sie wieder bei der Quelle waren, konnten sie
durch all ihr Bitten und Zureden den Emir Giandar doch nimmer dahin bringen, sie
zu töten. „Das Einzige, was ich mir die Freiheit nehme, von euch zu
fordern,“ sagte er zu ihnen, „und um dessen Bewilligung ich euch
bitte, ist, dass ihr euch mit dem behelft, was ich euch von meinen Kleidern
anbieten kann, mir dagegen die eurigen gebt, und so weit weg geht, dass der
König, euer Vater, nimmer von euch reden höre.“

Die Prinzen waren gezwungen, sich seinem Willen zu fügen.
Nachdem sie ihm ihre Kleider gegeben, und sich mit dem bedeckt hatten, was er
ihnen von den seinigen gab, nötigte sie der Emir Giandar, alles anzunehmen, was
er an Gold und Silber bei sich hatte, und nahm Abschied von ihnen.

Als der Emir Giandar sich von den Prinzen getrennt hatte,
ritt er durch den Wald, färbte dort ihre Kleider mit dem Blut des Löwen, und
setzte seinen Weg nach der Hauptstadt der Ebenholzinsel fort.

Bei seiner Ankunft fragte ihn der König Kamaralsaman, ob
er treulich den ihm gegebenen Befehl vollzogen hätte. „Herr,“
antwortete Giandar, indem er ihm die Kleider der Prinzen überreichte,
„hier sind die Zeugnisse davon.“

„Sage mir,“ fragte der König weiter, „auf
welche Weise empfingen sie die Strafe, die ich ihnen antun ließ?“

„Herr,“ erwiderte Giandar, „sie empfingen
sie mit bewunderungswürdiger Standhaftigkeit, und mit einer Hingebung in den
Willen Gottes, welche die Aufrichtigkeit ihres Glaubensbekenntnisses bezeugte.
Vorzüglich aber mit großer Ehrfurcht für Euer Majestät, und mit einer
unbegreiflichen Unterwerfung bei ihrem Todesurteil. „Wir sterben
unschuldig,“ sagten sie, „aber wir murren deshalb nicht. Wir empfangen
unsern Tod von der Hand Gottes, und verzeihen ihn dem König, unserm Vater: Wir
wissen sehr wohl, dass er nicht recht von der Wahrheit
unterrichtet ist.“

Kamaralsaman, innig gerührt über diesen Bericht des
Emirs Giandar, fiel darauf, die Taschen in den Kleidern der beiden Prinzen zu
durchsuchen, und begann bei denen Amgiads. Er fand darin einen Brief, öffnete
ihn und las ihn. Er erkannte bald, dass die Königin Ha