Project Description

235. Nacht

Fortsetzung
der Geschichte des Prinzen Kamaralsaman seit seiner Trennung von der Prinzessin
Badur

„Herr, während die Dinge auf der Ebenholzinsel
zwischen der Prinzessin Badur, der Prinzessin Haïat-al-nefus und dem König
Armanos, der Königin, dem Hofe und dem ganzen Königreich vorgingen, war der
Prinz Kamaralsaman noch immer in der Stadt der Götzendiener bei dem Gärtner,
der ihm einen Aufenthalt gegeben hatte.

Eines Tages, früh Morgens, als der Prinz sich anschickte,
seiner Gewohnheit nach, im Garten zu arbeiten, hielt der Gärtner ihn davon ab.
„Die Götzendiener,“ sagte er zu ihm, „haben heute ein großes
Fest: Und da sie sich aller Arbeit enthalten, um es mit geselligen und
öffentlichen Ergötzlichkeiten zu begehen, so wollen sie, dass auch die
Muselmänner nicht arbeiten. Diese, um sich in ihrer Freundschaft zu erhalten,
machen sich eine Lustbarkeit daraus, ihren Schauspielen beizuwohnen, welche
sehenswert sind. Deshalb müsst ihr heute feiern. Ich lasse euch hier. Da die
Zeit herannaht, dass das Schiff, von welchem ich euch gesagt habe, die Fahrt
nach der Ebenholzinsel machen wird, so gehe ich zu einigen Freunden, um mich bei
ihnen nach dem Tag seiner Abfahrt zu erkundigen, und zu gleicher Zeit will ich
eure Mitfahrt besorgen.“ Der Gärtner legte sein bestes Kleid an, und ging
aus.

Als der Prinz Kamaralsaman sich allein sah, so rief die
Müßigkeit, worin er sich befand, anstatt ihn an der allgemeinen Freude, die in
der ganzen Stadt herrschte, teilnehmen zu lassen, das traurige Andenken an seine
geliebte Prinzessin stärker als jemals zurück. In sich gekehrt wandelte er
seufzend durch den Garten: Das Geschrei zweier Vögel auf einem Baum bewog ihn
endlich, das Haupt emporzuheben und still zu stehen.

Kamaralsaman sah mit Erstaunen, wie die beiden Vögel sich
grausam mit ihren Schnäbeln hackten, so dass in wenigen Augenblicken der eine
von ihnen tot vom Baum herab fiel. Der Vogel, der gesiegt hatte, schwang sich
wieder empor, und verschwand.

Im Augenblick kamen von einer anderen Seite zwei größere
Vögel, die den Kampf von fern gesehen hatten, daher, setzten sich, der eine zu
dem Haupt, der andere zu den Füßen des Toten, betrachteten ihn eine Weile,
indem sie den Kopf auf eine Weise bewegten, die ihre Trauer ausdrückte, dann
kratzten sie ihm mit ihren Klauen ein Grab, und beerdigten ihn darin.

Sobald die beiden Vögel das Grab wieder mit Erde
gefüllt, welche sie daraus hervorgescharrt hatten, flogen sie weg. Bald darauf
kamen sie wieder, und hielten mit ihren Schnäbeln, der eine bei einem Flügel,
der andere bei einem Fuß, den mörderischen Vogel, der fürchterlich schrie und
sich gewaltig anstrengte zu entkommen. Sie schleppten ihn auf das Grab des
Vogels, den er seiner Wut aufgeopfert hatte. Hier opferten sie ihn der gerechten
Rache für den begangenen Mord, und zerhackten ihn mit ihren Schnäbeln, bis er
starb. Zuletzt rissen sie ihm den Bauch auf, zogen die Eingeweide heraus,
ließen den Leichnam auf dem Platz liegen, und flogen davon.

Kamaralsaman stand die ganze Zeit über, dass dieses
überraschende Schauspiel dauerte, in großer Verwunderung. Er näherte sich dem
Baum, wo der Auftritt vorgegangen war, und indem er die Augen auf die
zerstreuten Eingeweide warf, sah er etwas rotes aus dem Magen hervorragen,
welchen die rächerischen Vögel zerrissen hatten. Er hob den Magen auf, zog das
bemerkte rote heraus, und fand, dass es der Talisman seiner vielgeliebten
Prinzessin Badur war, der ihm so viel Kummer, Tränen und Seufzer gekostet,
seitdem dieser Vogel ihm denselben entführt hatte. „Grausamer,“ rief
er sogleich aus, indem er den Vogel betrachtete, „es war deine Lust, Böses
zu tun! Aber, so viel Böses du mir getan hast, so viel Gutes wünsche ich
denjenigen, die mich an dir gerächt haben, indem sie den Tod ihres Genossen
rächten.“

Es ist nicht möglich, die überschwängliche Freude des
Prinzen Kamaralsaman auszudrücken. „Teure Prinzessin,“ rief er aus,
„dieser glückselige Augenblick, der mir wiedergibt, was dir so teuer war,
ist ohne Zweifel ein Vorbote, der mir verkündigt, dass ich dich ebenfalls
wieder sehen werde, und vielleicht eher, als ich denke! Dem Himmel sei Dank, der
mir dieses Glück sendet, und zugleich mir die Hoffnung des höchsten Glücks
gibt, das ich nur wünschen kann!

Nach diesen Worten küsste Kamaralsaman den Talisman,
wickelte ihn ein, und band ihn sorgfältig um seinen Arm.

In seiner tiefen Betrübnis hatte er fast alle Nächte in
quälenden Gedanken, ohne ein Auge zu schließen, hingebracht: Diese aber, die
auf ein so glückliches Abenteuer folgte, schlief er sanft, und am folgenden
Morgen, als er sein Arbeitskleid angelegt hatte, ging er zum Gärtner, und
fragte ihn, was es zu tun gäbe. Dieser bat ihn, einen alten Baum, der keine
Früchte mehr trug, umzuhauen und zu entwurzeln.

Kamaralsaman nahm eine Axt, und ging, Hand ans Werk zu
legen. Als er nun einen Ast der Wurzel durchhieb, traf er auf etwas, das
Widerstand leistete und einen hellen Klang gab. Er räumte die Erde weg, und
entdeckte eine große eherne Platte, unter welcher er eine Treppe von zehn
Stufen fand. Er stieg sogleich hinab, und als er unten war, sah er ein Gewölbe
von zwei bis drei Klaftern ins Gevierte, worin er fünfzig große eherne
Gefäße zählte, die rings umher standen, jedes mit einem Deckel. Er öffnete
sie alle, eins nach dem andern, und es war keines, das nicht voll Goldstaub
gewesen wäre. äußerst vergnügt über die Entdeckung eines so reichen
Schatzes, stieg er aus dem Gewölbe, deckte die Platte wieder auf die Treppe,
und entwurzelte vollends den Bau, indem er die Rückkunft des Gärtners
erwartete.

Der Gärtner hatte den vorigen Tag erfahren, dass das
Schiff, welches alljährlich die Fahrt nach der Ebenholzinsel machte, binnen
sehr wenigen Tagen abgehen würde, doch hatte man ihm nicht genau den Tag sagen
können, und ihn deshalb auf den andern Morgen beschieden. Er war dahin
gegangen, und kam nun mit einem Gesicht zurück, welches schon die gute
Nachricht verkündigte, die er Kamaralsaman zu bringen hatte. „Mein
Sohn,“ sagte er zu ihm (denn vermöge des Vorrechts seines hohen Alters,
pflegte er ihn so zu nennen), „freue dich, und mache dich bereit, in drei
Tagen abzureisen. Das Schiff wird unfehlbar dann abgehen, und ich bin wegen
deiner Einschiffung und überfahrt mit dem Schiffshauptmann schon einig
geworden.“

„In dem Zustand, worin ich mich befinde,“
erwiderte Kamaralsaman, „könnt ihr mir nichts angenehmeres ankündigen.
Zur Vergeltung habe ich auch eine Neuigkeit euch mitzuteilen, die euch erfreuen
wird. Bemüht euch, mit mir zu kommen, und ihr werdet das gute Glück sehen,
welches der Himmel euch beschert hat.“

Kamaralsaman führte den Gärtner nach dem Ort, wo er den
Baum entwurzelt hatte, und ließ ihn in das Gewölbe hinabsteigen. Hier zeigte
er ihm die Menge der mit Goldstaub gefüllten Gefäße, und bezeigte ihm seine
Freude, dass Gott endlich seine Tugend und all die Mühseligkeiten belohnte, die
er seit so langen Jahren bestanden hätte.

„Wie meinst du das?“, erwiderte der Gärtner.
„Denkst du denn, dass ich mir diesen Schatz zueignen werde? Er ist ganz
dein, und ich habe keinen Anspruch daran. Seit achtzig Jahren, dass mein Vater
tot ist, habe ich nichts anderes getan, als die Erde dieses Gartens umzuwühlen,
ohne ihn entdeckt zu haben. Das ist ein Beweis, dass er dir bestimmt war, da
Gott vergönnte, dass du ihn fändest. Er ziemt einem Prinzen, wie du bist, auch
besser, als mir, der ich am Rand des Grabes stehe, und nichts mehr brauche. Gott
beschert ihn dir zur rechten Zeit, gerade da du in das Reich zurückkehrst,
welches dir einst gehört, und wo du einen guten Gebrauch davon machen
wirst.“

Der Prinz Kamaralsaman wollte dem Gärtner an Edelmut
nicht nachstehen, und beide hatten einen großen Wettstreit darüber. Der Prinz
beteuerte endlich, dass er durchaus nichts davon nehmen würde, wenn der
Gärtner nicht die Hälfte für sein Anteil behielte. Der Gärtner gab nach, und
sie teilten sich jeder fünfundzwanzig Gefäße zu.

Nach geschehener Teilung sagte der Gärtner zu
Kamaralsaman: „Mein Sohn, damit ist’s noch nicht abgetan. Es kommt
gegenwärtig darauf an, diese Reichtümer einzuschiffen, und sie so heimlich mit
dir zu führen, dass niemand Kunde davon habe, sonst läufst du Gefahr sie zu
verlieren. Es gibt auf der Ebenholzinsel keine Oliven, und die von hier dorthin
gebrachten sind sehr gesucht: Wie du weißt, habe ich einen guten Vorrat davon
aus meinem Garten gesammelt. Du musst also fünfzig Krüge nehmen, sie zur
Hälfte mit Goldstaub füllen, und den übrigen Raum mit Oliven oben drauf. So
wollen wir sie aufs Schiff bringen lassen, wenn du dich einschiffst.“

Kamaralsaman folgte diesem guten Rat, und verwandte den
übrigen Teil des Tages darauf, die fünfzig Krüge zu verpacken und weil er
fürchtete, dass der Talisman der Prinzessin Badur, den er am Arm trug, ihm
entgleiten möchte, so gebrauchte er die Vorsicht, ihn in einen der Krüge zu
tun, und daran ein Kennzeichen zu machen.

Als er die Arbeit vollendet und die Krüge so weit fertig
gemacht hatte, dass sie fortgebracht werden konnten, und die Nacht herannahte,
so begab er sich mit dem Gärtner zur Ruhe. In ihrer Unterhaltung miteinander
erzählte er ihm den Kampf der beiden Vögel und die Umstände dieses
Abenteuers, welches ihn den Talisman der Prinzessin Badur wiederfinden ließ,
was ihm nicht weniger Freude als Verwunderung erregte.

Sei es nun wegen seines hohen Alters, oder weil er sich
diesen Tag zu sehr angestrengt hatte, genug, der Gärtner hatte eine böse
Nacht. Sein übel vermehrte sich den folgenden Tag, und den nächsten Morgen
befand er sich noch schlechter.

Mit Anbruch des Tages kam der Schiffshauptmann selber mit
mehreren Matrosen und klopfte an die Gartentüre. Sie fragten Kamaralsaman, der
ihnen öffnete, wo der Mann wäre, der sich mit einschiffen wollte. „Ich
bin es selber,“ antwortete er. „Der Gärtner, der die überfahrt für
mich besorgt hat, liegt krank und kann euch nicht sprechen. Kommt nur herein,
ich bitte euch, und tragt diese Krüge mit Oliven nebst meinem Gepäck voraus:
Ich folge euch, sobald ich Abschied von ihm genommen habe.“

Die Matrosen trugen die Krüge und das Gepäck fort, und
der Hauptmann sagte beim Weggehen zu Kamaralsaman: „Verfehlt nicht,
unverzüglich nachzukommen. Der Wind ist günstig, und ich warte nur noch auf
euch, um unter Segel zu gehen.“

Sobald der Hauptmann und die Matrosen weg waren, ging
Kamaralsaman wieder zu dem Gärtner hinein, um Abschied von ihm zu nehmen und
ihm für alle die Liebesdienste zu danken, die er ihm geleistet hatte: Aber er
fand ihn in den letzten Zügen, und kaum hatte er ihn noch, nach Weise der
frommen Muselmänner in der Todesstunde, sein Glaubensbekenntnis hersagen
lassen, so sah er ihn verscheiden.

Da der Prinz Kamaralsaman sich alsbald einschiffen sollte,
so beeilte er sich so viel als möglich, dem Verstorbenen die letzte Pflicht zu
erweisen. Er wusch den Leichnam, kleidete ihn ein, und nachdem er im Garten eine
Grube gemacht hatte (denn weil die Mohammedaner in dieser Stadt der
Götzendiener nur geduldet waren, so hatten sie keinen öffentlichen
Begräbnisort) beerdigte er allein ihn. Erst gegen Abend war er damit fertig.

Er ging nun ohne Zeitverlust hin, sich einzuschiffen. Er
nahm in der Eile selbst den Gartenschlüssel mit, in der Absicht, ihn dem
Eigentümer zu überbringen, wenn er noch Zeit dazu hätte, oder ihn irgend
einem sicheren Menschen in Gegenwart von Zeugen zu geben, der ihn überliefern
sollte.

Aber als er an den Hafen kam, vernahm er, dass das Schiff
längst abgesegelt und sogar schon aus dem Gesichtsfeld war. Man fügte hinzu,
dass es erst unter Segel gegangen wäre, nachdem es drei volle Stunden auf ihn
gewartet hätte.“

Scheherasade wollte fortfahren, aber das Tageslicht, das
sie erblickte, nötigte sie, aufzuhören. Sie nahm die Geschichte Kamaralsamans
in der folgenden Nacht wieder auf, und sprach zu dem Sultan von Indien: