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232. Nacht

„Herr, der Verschnittene trat in das Zimmer der
Prinzessin von China, und indem er ihr das Päckchen überreichte, welches der
Prinz Kamaralsaman ihr sandte, sagte er: „Prinzessin, ein Sterndeuter, der
verwegener ist, als alle andere, wenn ich mich nicht irre, kommt soeben an, und
behauptet, ihr werdet geheilt sein, sobald ihr diesen Brief gelesen, und gesehen
habt, was darin ist. Ich wünsche, dass er weder ein Lügner noch ein Betrüger
sein möge.“

Die Prinzessin Badur nahm den Brief und öffnete ihn mit
großer Gleichgültigkeit, aber sobald sie ihren Ring erblickte, so nahm sie
sich kaum noch die Zeit, ihn durchzulesen. Sie sprang mit Ungestüm auf, zerriss
die Kette, die sie festhielt, lief nach der Türe und öffnete den Vorhang. Sie
erkannte den Prinzen, der Prinz erkannte sie, und beide stürzten aufeinander zu
und umarmten sich zärtlich. Im übermaße der Freude keiner Worte fähig,
blickten sie sich lange schweigend an, voll Verwunderung, wie sie sich nun nach
ihrer ersten Zusammenkunft wieder sahen, von welcher sie nichts begreifen
konnten.

Die Amme, die mit der Prinzessin herbei gelaufen war,
ließ beide in das Zimmer treten, wo Badur dem Prinzen ihren Ring zurückgab,
und dabei sagte: „Nehmt ihn wieder hin, ich könnte ihn nicht behalten,
ohne euch den eurigen zurückzugeben, den ich mein Leben lang behalten will:
Weder der eine noch der andere kann in besseren Händen sein.“

Der Verschnittene war unterdessen eilig hingegangen, dem
König von China den neuen Vorgang zu melden. „Herr,“ sagte er zu ihm,
„alle Sterndeuter, ärzte und andere, die bisher die Heilung der Prinzessin
unternommen haben, waren nur Unwissende. Der zuletzt angekommene hat sich weder
eines Zauberbuches bedient, noch Geisterbeschwörungen, noch Räucherwerks und
anderer Dinge: Er hat sie geheilt, ohne sie zu sehen.“

Hierauf erzählte er ihm die Art und Weise und der König,
so angenehm überrascht, kam sogleich in das Zimmer der Prinzessin, und umarmte
sie. Desgleichen umarmte er den Prinzen, nahm dessen Hand, und indem er sie in
die Hand seiner Tochter legte, sagte er zu ihm: „Glücklicher Fremdling,
wer du auch seist, ich halte mein Versprechen und gebe dir meine Tochter zur
Gemahlin. Aber schon bei deinem bloßen Anblick kann ich mich nicht überreden,
dass du bist, was du scheinen wolltest.“

Der Prinz Kamaralsaman dankte dem König in den
demütigsten Ausdrücken, um ihm seine innige Erkenntlichkeit zu bezeugen.
„Was meine Person betrifft,“ fuhr er fort, „so ist es wahr, dass
ich kein Sterndeuter bin, wie Euer Majestät richtig geurteilt hat. Ich habe
diese Verkleidung nur angenommen, um leichter zu der hohen Verbindung mit dem
mächtigsten Herrscher der Erde zu gelangen. Ich bin ein geborener Prinz, Sohn
eines Königs und einer Königin: Mein Name ist Kamaralsaman, mein Vater heißt
Schachsaman, und beherrscht die genügsam bekannten Inseln Chaledan.“

Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte, und machte ihm
bemerkbar, wie wunderbar der Ursprung seiner Liebe wäre, dass die Liebe der
Prinzessin denselben Ursprung hätte, und solches durch den Wechsel der beiden
Ringe bewährt würde.

Als der Prinz Kamaralsaman geendigt hatte, rief der König
aus: „Eine so außerordentliche Geschichte verdient der Nachwelt
überliefert zu werden. Ich will sie aufschreien lassen und nachdem die
Urschrift davon in den Archiven meines Reiches niedergelegt worden, will ich sie
öffentlich bekannt machen. Damit sie aus meinen Staaten sich auch in andere
verbreite.“

Die Hochzeit wurde noch an demselben Tag gefeiert, und in
ganz China wurden Freudenfeste deshalb angestellt.

Marsawans wurde nicht vergessen: Der König nahm ihn an
seinen Hof und beehrte ihn mit einer Stelle, mit dem Versprechen, ihn in der
Folge zu anderen ansehnlicheren Stellen zu erheben.

Der Prinz Kamaralsaman und die Prinzessin Badur waren nun
beide am Ziel ihrer Wünsche, und erfreuten sich der Seligkeit ihrer
Vereinigung. Mehrere Monate hindurch hörte der König von China nicht auf,
durch stete Feste seine Freude zu bezeugen.

Mitten unter diesen Vergnügungen hatte der Prinz
Kamaralsaman eines Nichts einen Traum, in welchem er den König Schachsaman,
seinen Vater, im Bett liegen sah, wie er eben den Geist aufgab und sagte:
„Dieser Sohn, dem ich das Leben gegeben habe, dieser Sohn hat mich
verlassen, und er selber ist die Ursache meines Todes.“ Er wachte auf,
indem er einen tiefen Seufzer ausstieß, so dass auch die Prinzessin Badur
erwachte, und ihn fragt, worüber er seufzte.

„Ach!“, rief der Prinz, „vielleicht in
diesem Augenblick, da ich davon rede, ist mein Vater nicht mehr am Leben!“
Und er erzählte ihr die Ursache, weshalb ein so trauriger Gedanke ihn
beunruhigte.

Die Prinzessin, die nur ihm zu gefallen strebte, und
erkannte, dass das Verlangen, den König, seinen Vater, wieder zu sehen, sein
Vergnügen bei ihr in einem so entfernten Land vermindern könnte, sagte ihm
nichts von ihrer Absicht. Aber noch an demselben Tag ergriff sie die
Gelegenheit, die sich ihr darbot, mit ihrem Vater allein zu reden, und sprach zu
ihm, indem sie ihm die Hand küsste: „Herr, ich habe Euer Majestät um eine
Gnade zu bitten, und ich flehe, sie mir nicht abzuschlagen. Damit ihr aber nicht
glaubt, ich tue sie auf Antrieb des Prinzen, meines Gemahls, so versichere ich
zum voraus, dass er gar nicht darum weiß. Sie besteht darin, zu genehmigen,
dass ich mit ihm hinreise, den König Schachsaman, meinen Schwiegervater, zu
besuchen.“

„Meine Tochter,“ antwortete der König,
„wie unlieb mir deine Entfernung auch sein muss, so kann ich jedoch diesen
Vorsatz nicht missbilligen: Er ist deiner würdig, ungeachtet der
Mühseligkeiten einer so weiten Fahrt. Reise hin, ich erlaube es gern, doch
unter der Bedingung, dass du nicht länger, als ein Jahr, am Hofe des Königs
Schachsaman bleibst. Dieser wird gern einwilligen, wie ich hoffe, dass wir es so
einrichten, und wechselweise, er seinen Sohn mit seiner Schwiegertochter, und
ich meine Tochter mit meinem Schwiegersohn, wieder sehen.“

Die Prinzessin verkündigte diese Einwilligung des Vaters
ihrem Gemahl, der darüber sehr erfreut war, und ihr für diesen neuen Beweis
ihrer Liebe herzlich dankte.

Der König von China gab Befehl zu den Anstalten der
Reise. Als alles bereit war, reiste er mit ihnen ab, und begleitete sie einige
Tagereisen. Die Trennung geschah unter vielen Tränen auf beiden Seiten. Der
König umarmte seine Kinder zärtlich, und nachdem er den Prinzen gebeten hatte,
die Prinzessin, seine Tochter, immerdar zu lieben, ließ er beide ihre Reise
fortsetzen, und kehrte nach seiner Hauptstadt zurück, indem er sich unterwegs
auf der Jagd zerstreute.

Der Prinz Kamaralsaman und die Prinzessin Badur hatten
nicht sobald ihre Tränen getrocknet, als sie nur an die Freude dachten, welche
der König Schachsaman haben würde, sie zu sehen und zu umarmen, so wie an ihre
eigene Freude darüber.

Ungefähr nach Verlauf eines Monats ihrer Fahrt, kamen sie
eines Tages auf eine Wiese von weitem Umfang und in Zwischenräumen mit großen
Bäumen bewachsen, die einen sehr angenehmen Schatten verbreiteten. Da die Hitze
an diesem Tag übermäßig war, fand der Prinz Kamaralsaman es rätlich, hier zu
lagern, und sprach davon mit der Prinzessin Badur, welche um so lieber darein
willigte, als sie ihm selber diesen Vorschlag machen wollte.

An einer schönen Stelle stiegen sie ab. Sobald das Zelt
aufgeschlagen war, trat die Prinzessin Badur, die unterdessen im Schatten saß,
hinein, während der Prinz Kamaralsaman noch für das übrige Lager seine
Befehle erteilte. Um es sich bequemer zu machen, ließ sie sich den Gürtel
abnehmen, welchen ihre Frauen neben ihr hinlegten, worauf sie, da sie ermüdet
war, einschlief, und ihre Frauen sie allein ließen.

Als alles im Lager angeordnet war, ging auch der Prinz
Kamaralsaman nach dem Zelt. Als er sah, dass die Prinzessin schlief, trat er
leise hinein und setzte sich. In Erwartung, vielleicht selber bald
einzuschlafen, nahm er den Gürtel der Prinzessin in die Hand. Er betrachtete
die Diamanten und Rubine, womit er geschmückt war, einen nach dem andern, und
bemerkte einen kleinen Beutel, der sehr geschickt an das Zeug genäht und mit
einer Schnur zugezogen war. Er fasste ihn an und fühlte, dass etwas Hartes
darin war. Neugierig, zu sehen, was es wäre, öffnete er den Beutel, und zog
einen Karneol heraus, auf welchem Bilder und ihm unbekannte Schriftzeichen
eingegraben waren.

„Dieser Stein,“ sagte er bei sich selber,
„muss etwas sehr kostbares sein, sonst würde meine Gattin ihn nicht so
sorgfältig bei sich tragen.“

In der Tat war es ein Talisman, welchen die Königin von
China ihrer Tochter geschenkt hatte, und wodurch, wie sie sagte, sie glücklich
sein würde, so lange sie ihn bei sich trüge.

Um diesen Talisman besser zu betrachten, trat der Prinz
Kamaralsaman aus dem Zelt, worin es dunkel war, und wollte ihn beim hellen Tage
besehen. Indem er ihn nun mitten auf der Hand hielt, schoss plötzlich ein Vogel
aus der Luft nieder, ergriff ihn und flog damit weg …“.

Schon ließ der Tag sich blicken, als die Sultanin
Scheherasade diese letzten Worte aussprach. Sie bemerkte es, und hörte auf zu
erzählen. In der folgenden Nacht nahm sie dieselbe Geschichte wieder auf, und
sprach zu dem Sultan Schachriar: