Project Description

227. Nacht

„Herr, der Prinz Kamaralsaman empfing den König
seinen Vater, in dem Turm seines Gefängnisses mit großer Ehrerbietung. Der
König setzte sich. Nachdem er den Prinzen neben sich setzen lassen hat, tat er
ihm mehrere Fragen, auf welche derselbe ganz vernünftig antwortete. Und von
Zeit zu Zeit blickte er den Großwesir an, als wenn er ihm sagen wollte, er
fände nicht, dass der Prinz, sein Sohn, den Verstand verloren, wie er
versichert hatte, und dass er wohl selber ihn verloren haben müsste.

Endlich sprach der König auch von dem Fräulein zu dem
Prinzen, und sagte: „Mein Sohn, ich bitte dich, mir zu sagen, was es mit
dem Fräulein für eine Bewandtnis hat, welche diese Nacht bei dir geschlafen
haben soll.“

„Herr,“ antwortete Kamaralsaman, „ich bitte
Euer Majestät, meinen Verdruss über diesen Gegenstand nicht noch zu vermehren.
Erzeigt mir lieber die Gnade, sie mir zur Gattin zu geben. Welche Abneigung ich
auch bisher gegen die Frauen bezeugt habe, so hat jedoch diese junge Schönheit
mich dermaßen bezaubert, dass ich keinen Anstand nehme, euch meine Schwachheit
zu bekennen. Ich bin bereit, sie mit dem höchsten Dank von eurer Hand zu
empfangen.“

Der König Schachsaman war ganz bestürzt über diese
Antwort des Prinzen, welche dem bisher gezeigten gefundenen Verstand so sehr zu
widersprechen schien. „Mein Sohn,“ erwiderte er, „du sagst mir da
etwas, was mich in das größte Erstaunen versetzt, von welchem ich mich kaum
erholen kann. Ich schwöre dir bei der Krone, die einst von mir auf dich
übergehen soll, das ich nicht das geringste von dem Fräulein weiß, von
welchem du redest. Wenn irgend eine hierher gekommen ist, so habe ich jedoch
keinen Teil daran. Wie aber hätte sie ohne meine Bewilligung in diesen Turm
gelangen können? Denn was mein Großwesir dir auch gesagt haben mag, er hat es
nur getan, um dich zu besänftigen. Es muss ein Traum sein. Siehe wohl zu, ich
bitte dich, und besinne dich.“

„Herr Vater,“ versetzte der Prinz, „ich
würde für immer der Güte Euer Majestät unwürdig sein, wenn ich der mir
gegebenen Versicherung nicht Glauben beimäße. Aber ich bitte euch, die Geduld
zu haben, mich anzuhören, und selber zu urteilen, ob das, was ich die Ehre
habe, euch zu erzählen ein Traum ist.“

Hierauf erzählte der Prinz Kamaralsaman dem König,
seinem Vater, alle Umstände bei seinem Erwachen. Er schilderte ihm mit
Begeisterung die Schönheit und die Reize des Fräuleins, die er an seiner Seite
gefunden, die Liebe, die er in einem Augenblick für sie gefasst hatte, und sein
vergebliches Bemühen, sie aufzuwecken. Er verschwieg ihm selbst nicht, was ihn
bewogen, wieder einzuschlafen, nachdem er seinen Ring mit dem des Fräuleins
vertauscht hatte. Er beschloss endlich damit, dass er den Ring vom Finger zog
und ihm denselben überreichte, mit den Worten: „Herr, der meine ist euch
nicht unbekannt, ihr hat ihn mehrmals gesehen. demnach hoffe ich, ihr werdet
überzeugt sein, dass ich nicht den Verstand verloren habe, wie man euch
eingebildet hat.“

Der König Schachsaman erkannte so deutlich die Wahrheit
dessen, was sein Sohn ihm erzählte, dass er nichts darauf zu erwidern hatte. Ja
er geriet darüber in so großes Erstaunen, dass er lange Zeit da saß, ohne ein
Wort zu sagen.

Der Prinz benutzte diesen Augenblick, und sprach noch zu
ihm: „Herr, die Leidenschaft, welche ich für dieses reizende Wesen
empfinde, dessen teures Bild ich in meinem Herzen bewahre, ist schon so heftig,
dass ich mich nicht stark genug fühle, ihr zu widerstehen. Ich flehe euch, habt
Mitleid mit mir, und verschafft mir das Glück ihres Besitzes.“

„Nachdem, was ich von dir höre, mein Sohn, und nach
dem Anblick dieses Ringes,“ erwiderte der König, „kann ich nicht
daran zweifeln, dass deine Leidenschaft wahrhaft sei, und dass du wirklich das
Fräulein gesehen hast, welche sie erzeugt hat. Wollte Gott, dass ich dieses
Fräulein kennen würde! Du solltest heute noch befriedigt, und ich würde der
glücklichste Vater von der Welt sein. Aber wo sie suchen? Wie, und auf welchem
Weg ist sie hier herein gekommen, ohne mein Wissen und Willen? Weshalb ist sie
gekommen? Bloß um bei dir zu schlafen, dir ihre Schönheit zu zeigen, Liebe in
dir zu entzünden, während sie schlief, und wieder zu verschwinden, während du
schliefst? Ich begreife dies Abenteuer nicht, mein Sohn. Wenn der Himmel uns
nicht günstig ist, so wird es uns wohl beide ins Grab bringen.“

Indem er dieses sprach, fasste er den Prinzen bei der
Hand, und fügte hinzu: „Komm lass uns gemeinsam Leid tagen, du, weil du
hoffnungslos liebst, und ich, weil ich dich so betrübt sehe, ohne dein übel
heilen zu können.“

Der König Schachsaman führte den Prinzen wieder aus dem
Turm in den Palast, wo derselbe, aus Verzweiflung, eine Unbekannte zu lieben,
sich alsbald zu Bett begab. Der König schloss sich ein, und trauerte mehrere
Tage mit ihm, ohne sich im geringsten um die Angelegenheiten seines Reiches
bekümmern zu wollen.

Sein erster Minister, dem er allein den Zutritt zu ihm
gestattet hatte, kam eines Tages und stellte ihm vor, dass sein ganzer Hof, und
selbst sein Volk, anfinge zu murren, weil sie ihn nicht mehr sähen, und er
nicht täglich Gerechtigkeit pflegte, wie sonst, und dass er nicht für die
Unordnungen stünde, welche daraus entstehen könnte. „Ich flehe euer
Majestät,“ fuhr er fort, „hierauf Rücksicht zu nehmen. Ich bin
überzeugt, dass euere Gegenwart den Schmerz des Prinzen, und seine den eurigen
gegenseitig lindert: Aber ihr müsst doch daran denken, dass nicht alles zu
Grunde gehe. Erlaubt, dass ich euch vorschlage, den Prinzen nach dem Schloss auf
der kleinen Insel nahe am Hafen zu bringen, und nur zweimal wöchentlich Audienz
zu geben. Während der Abwesenheit, zu welcher diese Verrichtung euch nötigt,
wird die bezaubernde Schönheit des Ortes, die frische Luft und die wundervolle
Aussicht von dort, dem Prinzen eure kurze Entfernung erträglicher machen.“

Der König Schachsaman billigte diesen Rat. Sobald jenes
Schloss, welches er lange nicht besucht hatte, eingerichtet war, begab er sich
mit dem Prinzen dahin, und verließ ihn hier nur, um pünktlich die beiden
Audienzen zu geben. Die übrige Zeit brachte er bei seinem Bett zu, und bald
bemühte er sich, ihn zu trösten, bald wehklagte er mit ihm.

Fortsetzung
der Geschichte der Prinzessin von China

Während diese Dinge in der Hauptstadt des Königs
Schachsaman vorgingen, hatten die beiden Geister Dachnesch und Kaschkasch die
Prinzessin von China nach dem Palast zurückgebracht, wo der König, ihr Vater,
sei eingeschlossen hielt, und sie wieder in ihr Bett gelegt.

Am Morgen, beim Erwachen, blickte die Prinzessin von China
zur Rechten und zur Linken. Als sie sah, dass der Prinz Kamaralsaman nicht mehr
bei ihr war, rief sie ihren Frauen mit so lauter Stimme, dass sie schleunig
herbei liefen und ihr Bett umgaben. Die Amme trat zu ihrem Haupt, und fragte
sie, was sie verlangte, und ob ihr etwas zugestoßen wäre.

„Sagt mir,“ sprach die Prinzessin, „wo ist
der Jüngling hingekommen, den ich von ganzen Herzen liebe, und der diese Nacht
bei mir geschlafen hat?“

„Prinzessin,“ antwortete die Amme, „ohne
Zweifel wollt ihr uns nur zum Besten halten. Beliebt es euch nicht,
aufzustehen?“

„Ich spreche sehr ernstlich,“ erwiderte die
Prinzessin, „und ich will wissen, wo er ist.“

„Aber Prinzessin,“ versetzte die Amme, „ihr
wart doch allein, als wir euch gestern Abend zu Bett brachten, und niemand ist
hereingekommen, um bei euch zu schlafen, so viel wir wissen, alle eure Frauen
und ich.“

Die Prinzessin von China verlor die Geduld: Sie ergriff
ihre Amme beim Kopf und gab ihr Ohrfeigen und derbe Faustschläge. „Du
sollst es mir sagen, alte Hexe,“ sprach sie, „oder ich bringe dich
um.“

Die Amme machte alle Anstrengungen, sich ihren Händen zu
entziehen. Endlich riss sie sich los, und ging auf der Stelle zu der Königin
von China, der Prinzessin Mutter. Mit Tränen in den Augen und ganz zerbläuten
Gesicht erschien sie vor der Königin, die mit großem Erstaunen sie fragte, wer
sie in diesen Zustand versetzt hätte?

„Gebieterin,“ sagte die Amme, „ihr seht,
wie die Prinzessin mich zugerichtet hat. Sie hätte mich umgebracht, wenn ich
mich nicht ihren Händen entwunden hätte.“ Hierauf erzählte sie ihr den
Anlass ihres Zorns und Ungestüms, worüber die Königin nicht minder
bekümmert, als verwundert war. „Ihr seht, Gebieterin,“ fügte sie zum
Schluss hinzu, „dass die Prinzessin den Verstand verloren hat. Ihr könnt
selber darüber urteilen, wenn ihr euch zu ihr hin bemüht.“

Die Königin von China, welche ihre Tochter zärtlich
liebte, war über diese Nachricht sehr beunruhigt, Sie ließ sich von der Amme
begleiten und eilte hin zu der Prinzessin, ihrer Tochter …“

Die Sultanin Scheherasade wollte fortfahren, aber sie
bemerkte, dass der Tag schon anbrach. Sie schwieg also. In der folgenden Nacht
nahm sie ihre Erzählung wieder auf, und sprach zu dem Sultan von Indien: