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226. Nacht

„Herr, als der Prinz Kamaralsaman am folgenden Morgen
erwachte, blickte er um sich, ob das Fräulein, die er in der Nacht an seiner
Seite gesehen hatte, noch da wäre. Als er sie nicht mehr sah, sagte er bei sich
selber: „Ich hatte es wohl gedacht, dass es eine überraschung wäre,
welche der König, mein Vater, mir machen wollte: Es ist mir sehr lieb, dass ich
mich davor in Acht genommen habe.“

Er weckte den Sklaven, der noch schlief, und hieß in
eilig kommen ihn anzukleiden, ohne ihm etwas davon zu sagen. Der Sklave brachte
ihm das Waschbecken und Wasser: Er stand auf, und nachdem er sein Gebet
verrichtet hatte, nahm er ein Buch und las eine Zeit lang.

Nach seinen gewöhnlichen übungen rief Kamaralsaman den
Sklaven und sprach zu ihm: „Komm her, und belüge mich nicht. Sage mir, wie
ist das Fräulein herein gekommen, die diese Nacht bei mir geschlafen hat, und
wer hat sie hergebracht?“

„Prinz,“ antwortete der Sklave mit großen
Erstaunen, „von welchem Fräulein redet ihr?“

„Von der, sage ich dir,“ erwiderte der Prinz,
„die diese Nacht hierher gekommen oder geführt ist, und bei mir geschlafen
hat.“

„Prinz,“ versetzte der Sklave, „ich
schwöre euch, dass ich nichts davon weiß. Wie sollte dies Fräulein herein
gekommen sein, da ich an der Türe schlafe?“

„Du lügst, Schurke,“ erwiderte der Prinz,
„und du bist mit ihnen im Einverständnis, um mich noch mehr zu quälen und
toll zu machen.“

Indem er dies sagte, gab er ihm eine Ohrfeige, dass er zu
Boden stürzte, und nachdem er ihn genug mit Füßen getreten hatte, band er ihm
das Brunnenseil unter die Arme, ließ ihn daran hinab, und tauchte ihn mehrmals
mit dem Kopf unters Wasser. „Ich ersäufe dich,“ rief er ihm zu,
„wenn du mir nicht schleunig sagst, wer das Fräulein ist, und wer sie
hergebracht hat.“

Der Sklave in dieser grimmigen Not, halb im Wasser, halb
draußen, sagte bei sich selber: „Ohne Zweifel hat der Prinz vor Leid den
Verstand verloren, und ich kann nur durch eine Lüge mich retten.“ –
„Prinz,“ sagte er hierauf mit bittendem Ton, „schenkt mir das
Leben, ich beschwöre euch darum. Ich verspreche, euch den Zusammenhang der
Sache zu sagen.“

Der Prinz zog nun den Sklaven wieder herauf, und drängte
ihn zu reden. Sobald der Sklave aus dem Brunnen war, sagte er zitternd zu ihm:
„Prinz, ihr seht wohl, dass ich in diesem Zustand euch nicht genug tun
kann. Lasst mir so viel Zeit, zuvor mein Kleid zu wechseln.“

„Ich gewähre es dir,“ erwiderte der Prinz,
„aber mach geschwind, und hüte dich wohl, mir die Wahrheit zu
verbergen.“

Der Sklave ging hinaus, schloss aber den Prinzen ein, und
lief, wie er war, in den Palast.

Der König unterhielt sich eben mit dem Großwesir, und
beklagte sich bei ihm über die üble Nacht, welche ihm der Ungehorsam und die
sträfliche Widersetzlichkeit seines Sohnes zugezogen hätte.

Der Minister bemühte sich, ihn zu trösten, und ihm
begreiflich zu machen, dass der Prinz selber ihm Gelegenheit gegeben hätte, ihn
zu seiner Pflicht zurück zu führen. „Herr,“ sagte er zu ihm,
„Euer Majestät darf es nicht bereuen, ihn gefangen gesetzt zu haben.
Sofern ihr nur die Geduld habt, ihn eine Weile in seinem Gefängnis zu lassen,
so dürft ihr überzeugt sein, dass diese jugendliche Hitze verrauche, und er
endlich sich allem unterwerfen wird, was ihr von ihm fordert.“

Der Großwesir endigte soeben diese Rede, als der Sklave
vor den König Schachsaman trat: „Herr,“ sprach er zu ihm, „es
tut mir sehr leid, Euer Majestät eine Neuigkeit bringen zu müssen, welche ihr
nur mit großem Missvergnügen hören werdet. Was der Prinz von einem Fräulein
erzählt, welche die Nacht bei ihm geschlafen habe, und der Zustand, in welchen
er mich versetzt hat, wie Euer Majestät sehen kann, geben nur zu sehr zu
erkennen, dass er nicht recht mehr bei Sinnen ist.“

Hierauf erzählte er alles, was der Prinz gesagt, und auf
welche Weise er ihn misshandelt hatte, mit Ausdrücken, die seine Erzählung
desto wahrscheinlicher machten.

Der König, der sich dieses neuen Gegenstandes der
Bekümmernis nicht versah, sagte zu seinem ersten Minister: „Da ist wieder
ein höchst verdrießlicher Vorfall, sehr entfernt von der Hoffnung, welche du
mir jetzt eben machtest. Geh und verliere keine Zeit, erforsche selber, was es
ist, und bringe mir Bescheid.“

Der Großwesir gehorchte auf der Stelle, und beim Eintritt
in das Zimmer des Prinzen fand er ihn sehr ruhig, mit einem Buch in der Hand,
sitzend und lesend. Er begrüßte ihn, und nachdem er sich neben ihn gesetzt
hatte, sagte er zu ihm: „Ich verwünsche euren Sklaven, dass er zu dem
König, eurem Vater, gekommen ist, und ihn durch die überbrachte Neuigkeit
erschreckt hat.“

„Welche Neuigkeit,“ erwiderte der Prinz,
„kann ihn so erschreckt haben? Ich habe weit mehr Ursache, mich über
meinen Sklaven zu beklagen.“

„Prinz,“ versetzte der Wesir, „verhüte
Gott, dass dasjenige, was er von euch berichtet hat, wahr sei! Der gute Zustand,
in welchem ich Gott bitte, euch zu erhalten, gibt mir zu erkennen, dass nichts
daran ist.“

„Vielleicht,“ erwiderte der Prinz, „hat er
sich nicht recht verständlich gemacht. Da ihr nun gekommen seid, so ist es mir
lieb, einen Mann, wie euch, befragen zu können, der ihr doch etwas davon wissen
müsst, wo das Fräulein ist, welches diese Nacht bei mir geschlafen hat.“

Bei dieser Frage fuhr der Großwesir zurück.
„Prinz,“ antwortete er, „verwundert euch nicht über mein
Erstaunen bei dieser eurer Frage. Wie wäre es möglich, dass ich sage nicht
eine Frau, sondern überhaupt ein Mensch auf der Welt bei Nacht hier herein
gedrungen sein sollte, wo man nur durch die Türe, und über den Leib eures
Sklaven hinweg eintreten kann? Ich bitte euch, besinnt euch, und ihr werdet
finden, dass ihr einen Traum gehabt, der euch diesen lebhaften Eindruck
zurückgelassen hat.“

„Ich beruhigte mich nicht bei dieser Ausrede,“
fuhr der Prinz im höheren Ton fort: „Ich will durchaus wissen, was aus
diesem Fräulein geworden ist. Ich bin hier an einem Ort, wo ich mir Gehorsam zu
verschaffen weiß.“

Bei diesen nachdrücklichen Worten geriet der Großwesir
in unbeschreibliche Verlegenheit, und er dachte auf Mittel, sich so gut als
möglich daraus zu ziehen. Er versuchte es bei dem Prinzen mit Güte, und fragte
ihn in den untertänigsten und behutsamsten Ausdrücken, ob er denn selber
dieses Fräulein gesehen hätte.

„Ja, ja,“ antwortete der Prinz, „ich habe
sie gesehen, und habe sehr wohl gemerkt, dass ihr sie geschickt habt, mich zu
versuchen. Sie hat die von euch ihr vorgeschriebene Rolle sehr gut gespielt,
indem sie kein Wort gesprochen, sondern sich schlafend gestellt, und sich
entfernt hat, sobald ich wieder eingeschlafen war. Ihr wisst das ohne Zweifel,
und sie wird nicht verfehlt haben, euch Bericht davon abzustatten.“

„Prinz,“ versetzte der Großwesir, „ich
schwöre euch, dass nichts an allem dem ist, was ich hier aus eurem Mund
vernehme. Der König, euer Vater, und ich, wir haben das Fräulein, von welchem
ihr redet, nicht abgeschickt, ja, wir haben nicht einmal den Gedanken daran
gehabt. Erlaubt mir, euch noch einmal zu sagen, ihr habt dieses Fräulein nur im
Traum gesehen.“

„Ihr kommt also nur auch, um mich zu
verspotten,“ erwiderte zornig der Prinz, „und um mir ins Gesicht zu
sagen, dass dasjenige, was ich euch erzähle, ein Traum ist.“ Und alsbald
ergriff er ihn beim Bart, und bearbeitete ihn so lange mit Schlägen, als er die
Hand rühren konnte.

Der arme Großwesir ertrug geduldig den ganzen Zorn des
Prinzen Kamaralsaman. „Da bin ich nun,“ sagte er bei sich, „in
demselben Falle, wie der Sklave. Ich habe von Glück zu sagen, wenn ich so, wie
er, einer so großen Gefahr entgehe.“ Und mitten unter den Schlägen, womit
der Prinz ihn noch immer belud, rief er aus: „O Prinz, ich flehe euch, mir
nur einen Augenblick Gehör zu schenken.“

Der Prinz, endlich ermüdet vom Schlagen, ließ ihn reden.

„Ich bekenne euch, Prinz,“ sagte nun der
Großwesir mit Verstellung, „dass etwas an eurer Vermutung ist. Aber euch
ist nicht unbekannt, dass ein Minister gezwungen ist, die Befehle des Königs,
seines Herrn, zu vollziehen. Wenn ihr die Güte habt, es mir zu erlauben, so
will ich sogleich hingehen und ihm alles sagen, was ihr mir befehlt.“

„Ich erlaube es,“ sagte darauf der Prinz,
„geht und sagt ihm, dass ich das Fräulein heiraten will, die er mir
geschickt oder gebracht hat. Macht geschwind und bringt mir Antwort.“

Der Großwesir machte ihm beim Weggehen eine tiefe
Verbeugung, und glaubte sich nicht eher in Sicherheit, als bis er aus dem Turm
war und die Tür hinter dem Prinzen verschlossen hatte.

Der Großwesir erschien vor dem König Schachsaman mit
einer Niedergeschlagenheit, die diesen im voraus bekümmerte.

„Wohlan,“ fragte ihn der Fürst, „in
welchem Zustande hast du meinen Sohn gefunden?“

„Herr,“ antwortete der Minister, „was der
Sklave Euer Majestät berichtet hat, ist nur zu wahr.“ Hierauf erzählte er
ihm seine Unterhaltung mit dem Prinzen, wie derselbe sich entrüstet, sobald er
es gewagt, ihm vorzustellen, es wäre unmöglich, dass jenes Fräulein, von
welchem er spräche, bei ihm geschlafen hätte. Welche Misshandlung er von ihm
erlitte, und welcher List er sich bedient hatte, um seinen Händen zu entkommen.

Schachsaman, um so bekümmerter, weil er den Prinzen stets
mit Zärtlichkeit liebte, wollte sich selber von der Wahrheit überzeugen. Er
ging also zu ihm in den Turm und nahm den Großwesir mit sich …

Aber Herr,“ sagte hier die Sultanin Scheherasade,
indem sie sich unterbrach, „ich gewahre, dass der Tag schon anbricht.“
Damit schwieg sie. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf,
und sprach zu dem Sultan von Indien: