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224. Nacht

„Herr, Dachnesch, der von Gott abtrünnige Geist,
sprach also zu Maimune:

„Weil ihr es wünscht, so will eich euch sagen, dass
ich von der äußersten Küste Chinas, den letzten Inseln dieser Halbkugel
gegenüber, herkomme …

Aber, reizende Maimune,“ unterbrach sich hier
Dachnesch, der aus Furcht vor der Nähe dieser Fee zitterte, und kaum sprechen
konnte, „ihr versprecht mir doch, mir zu verzeihen, und mich in Freiheit zu
lassen, wenn ich eure Neugier befriedigt habe?“

„Fahre fort, fahre fort, Verfluchter,“ erwiderte
Maimune, „und fürchte nichts. Denkst du, dass ich so treulos bin, wie du,
und dass ich den hohen Eid, den ich dir geschworen habe, verletzen könnte?
Hüte dich nur, mir irgend etwas Unwahres zu sagen: Sonst werde ich dir die
Flügel abschneiden, und dich behandeln, wie du es verdienst.“

Dachnesch, etwas beruhigt durch diese Worte Maimuns, fuhr
fort:

„Verehrte Herrin, ich will euch nichts als die
lautere Wahrheit sagen, habt nur die Güte, mich anzuhören. Das Land China,
woher ich komme, ist eins der größten und mächtigsten Königreiche der Erde,
zu welchem die äußersten Inseln dieser Halbkugel gehören, von welchen ich
euch schon sagte. Der jetzige König nennt sich Ghaïur8), und dieser König hat
eine Tochter von solcher Schönheit, wie man noch keine auf Erden gesehen hat,
so lange die Welt steht. Weder ihr, noch ich, noch alle Geister eurer und meiner
Art, noch die Menschen allzumal, wir alle haben keine entsprechende Worte, keine
so lebhaften Ausdrücke, noch Beredsamkeit genug, um eine Schilderung von ihr zu
entwerfen, welche sich der Wirklichkeit nur annähert. Sie hat braune Haare von
solcher Länge, dass sie ihr bis über die Füße herabreichen, und in solcher
Fülle, dass wenn sie um ihren Kopf in Locken gelegt wird, sie wohl mit einer
jener schönen Trauben zu vergleichen ist, deren Beeren von außerordentlicher
Größe sind. Aus diesen Haaren glänzt eine schön gebildete Stirn, so glatt,
wie ein hell geschliffener Spiegel. Die schwarzen Augen, auf der Höhe des
Angesichts, strahlen voll Feuer. Die Nase ist weder zu lang noch zu kurz. Der
Mund klein und rot. Die Zähne sind wie zwei Reihen Perlen und übertreffen die
schönsten von diesen an Weiße, und wenn sie die Zunge zum Sprechen bewegt, so
ertönt eine süße und anmutige Stimme, und sie drückt sich in Worten aus,
welche die Lebhaftigkeit ihres Geistes bezeichnen. Der schönste Alabaster ist
nicht weißer, als ihr Busen. Kurz, aus diesem schwachen Umriss werdet ihr schon
ermessen, dass es keine vollkommenere Schönheit auf der Welt gibt.

Wer den König, den Vater dieser Prinzessin, nicht kennt,
würde nach dem Ausdruck seiner väterlichen Zärtlichkeit urteilen, dass er
verliebt in sie ist. Niemals hat ein Liebender für seine zärtlichste Geliebte
getan, was er für sie bewiesen hat. Denn die allerheftigste Eifersucht hat
niemals erdenken können, was die Sorgfalt, sie jedem andern als ihrem
künftigen Gatten unzugänglich zu machen, ihn hat erfinden und ausführen
lassen. Damit sie in der Absonderung, zu welcher er sie bestimmt hatte, sich
nicht langweilte, hat er ihr sieben Paläste bauen lassen, wie man nie etwas
ähnliches weder gesehen noch gehört hat.

Der erste Palast ist von Bergkristall, der zweite von Erz,
der dritte von feinem Stahl, der vierte von einer andern Art Erz, die kostbarer
ist, als die erste und als der Stahl, der fünfte ist von Probierstein, der
sechste von Silber, der siebente von gediegenem Gold. Alle sind mit unerhörter
Pracht ausgeschmückt, jeder dem Stoff gemäß, woraus er gebaut ist. In den
Gärten, welche sie umgeben, fehlt es nicht an Rasenplätzen, Blumenstücken,
Teichen, Springbrunnen, Kanälen, Wasserfällen, Gebüschen und Baumgruppen,
welche die Sonne niemals durchdringt. Alles dieses ist in jedem Garten von
verschiedener Anordnung.

Auf den Ruf der unvergleichlichen Schönheit dieser
Prinzessin, ließen bald die mächtigsten der benachbarten Könige durch
feierliche Gesandtschaften um sie werben. Der König von China empfing alle
gleich freundlich. Da er aber seine Tochter nur mit ihrer Einwilligung
vermählen wollte, und der Prinzessin keine von den angetragenen Verbindungen
gefiel, so kehrten die Gesandten wieder heim, zwar missvergnügt in Ansehung des
Gegenstandes ihrer Gesandtschaft, jedoch sehr zufrieden mit der Höflichkeit und
Ehre, die ihnen zu Teil geworden war.

„Herr Vater,“ sprach die Prinzessin zum König
von China, „ihr wollt mich vermählen, und wähnt, mir dadurch ein großes
Vergnügen zu machen. Ich bin davon überzeugt, und euch sehr dankbar dafür.
Aber wo könnte ich anderswo, als bei Euer Majestät so prächtige Paläste und
so reizende Gärten finden? Ich füge hinzu, dass ich mit eurer Vergünstigung
ohne allen Zwang lebe, und dass man mir dieselbe Ehre erzeigt, wie eurer eigenen
Person. Das sind Vorzüge, die ich an keinem anderen Ort in der Welt finden
würde, welchen Gemahl ich auch nehmen möchte. Die Männer wollen die Herren
sein, und ich habe nicht Lust, mich beherrschen zu lassen.“

Nach mehreren Gesandtschaften kam eine von einem reicheren
und mächtigeren König, als alle die bisherigen gewesen waren. Der König von
China sprach darüber mit seiner Tochter, und er wies ihr an, wie vorteilhaft es
für sie sein würde, ihn zum Gemahl zu nehmen. Die Prinzessin bat ihn, sie
damit zu verschonen, und führte ihm wieder dieselben Gründe an. Er drang in
sie. Die Prinzessin aber, anstatt sich zu ergeben, vergaß die Ehrfurcht, welche
sie dem König, ihrem Vater, schuldig war, und sprach zornig zu ihm: „Herr,
redet mir nicht mehr von dieser Vermählung, noch von irgend einer anderen; oder
ich werde mir den Dolch in die Brust stoßen, und mich so von eurer
überlästigkeit befreien.“

Der gegen die Prinzessin aufgebrachte König von China
erwiderte ihr: „Meine Tochter, du bist eine Närrin, und ich werde dich wie
eine Närrin behandeln.“

In der Tat ließ er sie in ein einzelnes Gemach in einem
seiner Paläste einsperren, und gab ihr nur zehn alte Weiber zur Gesellschaft
und Bedienung, unter welchen die vornehmste ihre Amme war.

Damit die benachbarten Könige, welche Gesandtschaften zu
ihm geschickt hatten, nicht ferner an sie dächten, schickte er Gesandte zu
ihnen, um sie von ihrer Abneigung vor jeder Vermählung zu benachrichtigen. Und
da er nicht zweifelte, dass sie wirklich toll wäre, beauftragte er dieselben
Gesandten, an allen Höfen kund zu tun, wenn sich irgend ein so geschickter Arzt
fände, sie zu heilen. So möchte er nur kommen, und er würde sie ihm, zum
Lohne dafür, zur Frau geben.

Schöne Maimune,“ fuhr Dachnesch fort, „so
stehen dort die Sachen, und ich verfehle nicht, regelmäßig jeden Tag diese
unvergleichliche Schönheit zu betrachten, der ich ungern das geringste Leid
zufügen möchte, ungeachtet meiner natürlichen Bosheit. Kommt, sie zu sehen,
ich beschwöre euch darum: Es ist der Mühe wert. Wenn ihr euch selber
überzeugt habt, dass ich nicht gelogen haben, so hoffe ich, ihr werdet es mir
Dank wissen, dass ich euch eine Prinzessin habe sehen lassen, deren Schönheit
nicht ihresgleichen hat. Ich bin bereit, euch zum Führer zu dienen. Ihr habt
nur zu befehlen.“

Anstatt Dachnesch zu antworten, brach Maimune in ein
lautes Gelächter aus, das lange anhielt. Dachnesch, der sich dasselbe nicht zu
erklären wusste, war in großer Verwunderung. Nachdem sie zu wiederholten Mal
sich satt gelacht hatte, sagte sie zu ihm: „Possen, Possen! Du willst mir
etwas aufheften! Ich dachte, du würdest mir etwas Erstaunliches und
Außerordentliches erzählen, und du unterhältst mich von einer Meerkatze!
Pfui, schäme dich! Was würdest du Verfluchter erst sagen, wenn du den schönen
Prinzen gesehen hättest, von welchem ich soeben herkomme, und den ich so liebe,
wie er es verdient? Fürwahr, das ist etwas ganz anderes: Du würdest närrisch
darüber werden.“

„Reizende Maimune,“ erwiderte Dachnesch,
„darf ich euch fragen, wer dieser Prinz ist, von dem ihr sprecht?“ –
„Wisse,“ antwortete ihm Maimune, „dass ihm beinahe dasselbe
begegnet ist, wie der Prinzessin, von welcher du mich hier unterhalten hast. Der
König, sein Vater, wollte ihn mit aller Gewalt vermählen: Nach langen und
schweren Bestürmungen hat er endlich frank und frei erklärt, dass er nicht
will. Das ist die Ursache, dass er in diesem Augenblick, da ich zu dir rede, in
einem alten Turm gefangen sitzt. Der meine Wohnung ist, und wo ich ihn soeben
bewundert habe.“

„Ich will euch nicht geradezu widersprechen,“
versetzte Dachnesch, „aber, meine schöne Herrin, ihr werdet mir doch
erlauben, bis ich euren Prinzen gesehen habe, zu glauben, dass kein Sterblicher,
noch eine Sterbliche, an Schönheit mit meiner Prinzessin zu vergleichen
ist.“ – „Schweig, Verfluchter,“ erwiderte Maimune, „ich sage
dir noch einmal, dass das unmöglich ist.“ – „Ich will nicht mit euch
zanken,“ fügte Dachnesch hinzu, „aber um euch zu überzeugen, ob ich
die Wahrheit rede oder nicht, dürft ihr nur den Vorschlag annehmen, den ich
euch getan habe, nämlich, mit mir zu kommen, um meine Prinzessin zu sehen, und
darauf mir euren Prinzen zu zeigen.

Dagegen befahl Maimune dem Dachnesch, mit ihr zu kommen.
Dieser ersuchte sie zwar, lieber mit ihm nach China zu fliegen, weil sie diesem
Lande nunmehr näher wären. Sie aber verweigerte ihm solches und sprach:
„Bei der Inschrift, die auf dem Siegelring Salomons, des Sohnes Davids
eingegraben ist, wenn du nicht sogleich die chinesische Prinzessin hierher
bringst, damit wir sie neben den Prinzen hinlegen und beide vergleichen können,
so vernichte ich dich.“

Dachnesch gehorchte nun. Maimune begleitete ihn: Und sie
fanden die Prinzessin in einem Hemd aus Leinwand aus Dabick1),
das am Saum, am Hals und an der Naht der beiden ärmel mit goldenen Borten
besetzt war, an denen Fransen und Goldzierraten hingen. An den Borten waren
folgende Verse gestickt:

„Ein linnen Gewand um den anmutigsten Leib, besetzt mit Borten am Halse, am
Säume und an den ärmeln.

Glänzt an der Gestalt dieser Schönen, und übertrifft
den Schein der Sonne am Gewölbe des Himmels.“

So bekleidet brachten sie die schlafende Prinzessin hin,
und legten sie neben dem Prinzen Kamaralsaman aufs Bett, wo sie zwei leuchtenden
Vollmonden glichen, wie der Dichter sagt:

„Mit meinen Augen sah ich zwei Schlafende auf der
Erde; wohl wünschte ich, ich könnte ihnen meine Augenlieder zum Bett anweisen.

Sie sind wie zwei Halbmonde am Himmel, wie zwei Sonnen in der Mittagsstunde, wie
zwei Vollmonde in der finsteren Nacht, wie zwei herrliche Gazellen, in welche
sich die Schönheit geteilt hat.“

Der schon hell herein scheinende Tag nötigte
Scheherasade, abzubrechen. Sie nahm in der folgenden Nacht den Faden wieder auf,
und sagte zu dem Sultan von Indien:


1)
Dabick ist eine Stadt in ägypten, in der Provinz Gharbye gelegen, und berühmt
durch die vorzügliche Leinwand, die daselbst gewoben wird.
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