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222. Nacht

„Herr, die Antwort des Prinzen Kamaralsaman betrübte
den Sultan, seinen Vater, sehr. Dieser Fürst empfand einen wahrhaften Schmerz,
bei ihm einen so großen Widerwillen gegen den Ehestand zu finden. Er wollte
denselben gleichwohl nicht als Ungehorsam ansehen, noch von seiner väterlichen
Gewalt Gebrauch machen, sondern er begnügte sich zu sagen: „Ich will dich
nicht zwingen. Ich gebe dir Zeit zur überlegung, und zu erwägen, dass ein
Prinz, wie du, der zur Regierung eines großen Reiches bestimmt ist, zuvörderst
darauf bedacht sein muss, sich einen Nachfolger zu verschaffen. Indem du dir
selber diese Befriedigung gewährst, gewährst du sie zugleich mir, der ich mich
freue, mich in deinen Kindern wieder aufleben zu sehen.“

Mehr sagte Schachsaman dem Prinzen Kamaralsaman nicht. Er
gab ihm Zutritt zu dem Staatsrat, und versäumte nichts, ihn glücklich zu
machen.

Nach Verlauf eines Jahres berief er ihn wieder zu sich
allein, und sprach zu ihm: „Nun, mein Sohn, hast du dich meiner Absicht vom
vergangenen Jahr, dich zu verheiraten, erinnert und darüber nachgedacht? Willst
du mir noch die Freude versagen, die ich von deinem Gehorsam erwarte, und mich
sterben lassen, ohne mir diese Genugtuung zu gewähren?“

Der Prinz erschien weniger bestürzt, als das erste Mal, er
stockte nicht lange, sondern antwortete mit Festigkeit folgendermaßen:
„Herr, ich habe nicht ermangelt, ernstlich darüber nachzudenken, aber
nachdem ich es reiflich überlegt, habe ich mich noch mehr in dem Entschluss
bestärkt, unverheiratet zu bleiben. Denn die zahllosen übel, welche die Weiber
zu aller Zeit in der Welt verursacht haben, wie ich in unsern Geschichtsbüchern
gelesen, und was ich noch täglich von ihrer Bosheit sagen höre, sind
hinreichende Gründe für mich, mein Lebelang keine Verbindung mit ihnen
einzugehen. Also wird Euer Majestät mir verzeihen, wenn ich euch vorzustellen
wage, dass es vergeblich sein würde, noch fürder von meiner Verheiratung zu
reden.“

Dabei verharrte er, und verließ ungestüm den Sultan,
seinen Vater, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten.

Jeder andere Fürst, als Schachsaman, würde sich bei der
Kühnheit, mit welcher der Prinz, sein Sohn, zu ihm sprach, kaum enthalten haben
zu zürnen und es ihn bereuen zu lassen: Aber er liebte ihn zärtlich, und
wollte erst alle Wege der Güte versuchen, bevor er ihn zwänge.

Er teilte seinem ersten Minister den neuen Verdruss mit,
welchen Kamaralsaman ihm verursachte, und sagte zu ihm: „Ich habe deinen
Rat befolgt, aber Kamaralsaman ist jetzt noch weiter davon entfernt, sich zu
verheiraten, als da ich ihm das erste Mal davon sprach. Er hat sich in so
kühnen Ausdrücken darüber erklärt, dass ich all meinen Vernunft und alle
Mäßigung nötig hatte, um nicht in Zorn gegen ihn zu geraten. Die Väter, die
so inbrünstig um Kinder bitten, als ich um dieses hier gebeten habe, sind allzu
mal töricht und streben, sich der Ruhe zu berauben, deren ungestörter Genuss
nur von ihnen abhängt. Sage mir, ich bitte dich, durch welche Mittel soll ich
einen so aufsätzigen Geist zu meinem Willen bringen?“

„Herr,“ antwortete der Großwesir, „mit
Geduld kommt man in vielen Dingen zwar zum Ziel. Vielleicht ist dieser Fall
nicht von der Art, auf solchem Weg zum Ziel zu gelangen: Aber Euer Majestät
wird sich keine übereilung vorzuwerfen haben, wenn ihr dem Prinzen noch ein
Jahr Frist gebt, sich zu besinnen. Kehrt er in dieser Zeit zu seiner Pflicht
zurück, so werdet ihr um so größere Genugtuung davon haben, da ihr nur die
väterliche Güte angewandt habt, um ihn dahin zu bringen. Wenn er aber in
seiner Hartnäckigkeit verharrt, nachdem das Jahr verflossen ist, so dünkt
mich, kann Euer Majestät mit Fug ihm in vollen Rat erklären, das Wohl des
Staates fordere, dass er sich vermähle. Es ist nicht glaublich, dass er vor
einer so glänzenden Versammlung, die ihr durch eure Gegenwart beehrt, euch den
Gehorsam versage.“

Der Sultan wünschte so sehnlich, den Prinzen, seinen
Sohn, vermählt zu sehen, dass die Augenblicke eines so langen Aufschubes ihm
Jahre deuchten, und nur mit Mühe konnte er sich entschließen, so lange zu
warten. Gleichwohl gab er den Gründen seines Großwesirs nach, die er nicht
missbilligen konnte.“

Der schon angebrochene Tag legte Scheherasade bei dieser
Stelle Stillschweigen auf. In der folgenden Nacht nahm sie die Erzählung wieder
auf, und sprach zum Sultan Schachriar: