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22. Nacht

Dinarsade hielt sich diese Nacht schadlos
für die vorhergehende. Sie erwachte lange vor Tagesanbruch, und bat
Scheherasade, den Verlauf der Geschichte des Fischers mit dem Geist zu
erzählen, welche der Sultan ebenso sehr als Dinarsade zu hören wünschte.

„Ich will,“ antwortete die
Sultanin, „seine und deine Neugier befriedigen.“

Hierauf wandte sie sich zu Schachriar, und
fuhr fort:

„Herr, sobald der Fischer die Geschichte
des griechischen Königs und des Arztes Duban vollendet hatte, machte er dem
Geist die Anwendung davon, welchen er noch immer in dem Gefäße eingesperrt
hielt.“

„Hätte der griechische König,“
sagte er zu ihm, „den Arzt Duban leben lassen, so würde Gott ihn selber am
Leben gelassen haben, aber er stieß die demütigsten Bitten zurück, und Gott
strafte ihn dafür. Ebenso verhält es sich mit dir, o Geist: Hätte ich dich
erweichen und die Gnade von dir erlangen können, um welche ich dich bat, so
würde ich jetzt Mitleid haben mit dem Zustand, in welchem du dich befindest.
Weil du aber, trotz deiner so großen Verpflichtung gegen mich, dich befreit zu
haben, auf deinem Willen bestandest, mich zu töten, so muss ich meinerseits
auch unerbittlich sein. Ich will dich in diesem Gefäß lassen und ins Meer
zurückwerfen, und dir so den Gebrauch des Lebens nehmen, bis zum Ende der Tage:
Das ist die Rache, welche ich an dir nehmen will.“

„Fischer, mein Freund,“ antwortete
der Geist, „ich beschwöre dich noch einmal, nicht eine so grausame
Handlung zu begehen. Bedenke, dass es nicht wohlgetan ist, sich zu rächen, dass
es im Gegenteil löblich ist, Böses mit Gutem zu vergelten. Behandle mich
nicht, wie Imma einst Ateka69) behandelte.“ –

„Und was tat Imma an Ateka?“,
fragte der Fischer.

„Oh, wenn du es zu wissen
wünschst,“ antwortete der Geist, „so öffne mir dieses Gefäß.
Meinst du, dass ich aufgelegt sei, in einem so engen Raume Märchen zu
erzählen? Ich will dir ihrer so viel erzählen, als du willst, wenn du mich
heraus befreit hast.“ – „Nein,“ sagte der Fischer, „ich
werde dich nicht frei lassen, es ist schon des Redens zu viel. Ich werde dich in
den Grund des Meeres schleudern.“ – „Noch ein Wort, Fischer,“
rief der Geist aus, „ich verspreche dir, dir kein Böses zu tun: Im
Gegenteil, ich will dich ein Mittel lehren, mächtig reich zu werden.“

Die Hoffnung, sich aus der Armut zu ziehen,
entwaffnete den Fischer. „Ich könnte dich wohl anhören,“ sagte er,
„wenn irgend auf dein Wort zu bauen wäre. Schwöre mir bei dem hohen Namen
Gottes, dass du aufrichtig tun willst, was du verheißest, und ich will dein
Gefäß öffnen. Ich halte dich nicht für so gottlos, einen solchen Eid zu
brechen.“

Der Geist schwor, und der Fischer öffnete
nun den Deckel des Gefäßes. Sogleich stieg der Rauch wieder daraus empor, und
nachdem der Geist seine Gestalt, auf dieselbe Weise wie zuvor, wieder angenommen
hatte, war das erste, was er tat, dass er das Gefäß mit einem Fußtritt in das
Meer schleuderte.

Diese Handlung erschreckte den Fischer:
„Geist,“ sagte er, „was soll das bedeuten? Willst du den Eid
brechen, den du mir soeben geschworen hast? Und soll ich zu dir sagen, was der
Arzt Duban zu dem griechischen König sagte: „Lass mich leben, und Gott
wird deine Tage verlängern?“

Die Furcht des Fischers machte den Geist zu
lachen, welcher ihm antwortete: „Nein, Fischer, sei ruhig. Ich habe das
Gefäß ins Meer geworfen, nur um mich zu ergötzen, und zu sehen, ob du dadurch
beunruhigt sein würdest, und um dich zu überzeugen, dass ich dir mein Wort
halten will, so nimm dein Netz, und folge mir.“

Indem er diese Worte sprach, setzte er sich
in Bewegung und ging vor dem Fischer her, welcher, mit seinem Netz beladen, ihm
noch mit einem gewissen Misstrauen folgte. Sie gingen an der Stadt vorbei,
stiegen hoch auf einen Berg, und über denselben hinab in eine weite Ebene, auf
welcher sie zu einem Teich gelangten, der von vier Hügeln umgeben war.

Als sie am Ufer des Teiches standen, sagte
der Geist zu dem Fischer: „Wirf dein Netz aus, und fange Fische.“ Der
Fischer zweifelte nicht, dass er welche fangen würde, den er sah deren eine
große Menge in dem Teich: Er war aber äußerst verwundert, als er bemerkte,
dass sie von vier verschiedenen Farben waren, nämlich, weiße, rote, blaue und
gelbe. Er warf sein Netz aus, und fing vier Fische, von jeder dieser Farben
einen. Da er zuvor nie dergleichen gesehen hatte, so konnte er nicht müde
werden, sie zu bewundern, und da er eine ansehnliche Summe daraus zu lösen
gedachte, so hatte er große Freude darüber.

„Trage diese Fische hin,“ sagte der
Geist zu ihm, „und bringe sie deinem Sultan. Er wird dir mehr Geld dafür
geben, als du in deinem ganzen Leben in Händen gehabt hast. Du kannst alle Tage
in diesem Teich zu fischen kommen, aber ich warne dich, dein Netz öfter als
einmal auszuwerfen, sonst würde dir ein Unglück begegnen. Nimm dich also in
Acht. Dies ist die Weisung, welche ich dir gebe: Wenn du sie genau befolgst, wo
wirst du dich wohl dabei befinden.“

Indem er dieses sprach, stampfte er mit dem
Fuß auf die Erde, welche sich auf tat, und sich wieder zuschloss, nachdem sie
ihn verschlungen hatte.

Der Fischer, gesonnen, Stück für Stück die
Weisung des Geistes zu befolgen, hütete sich wohl, sein Netz zum zweiten Mal
auszuwerfen. Er begab sich auf den Weg nach der Stadt zurück, sehr zufrieden
mit seinem Fischzuge, und stellte tausend Betrachtungen über sein Abenteuer an.
Er ging gerade nach dem Palast des Sultans …

„Aber, Herr,“ sagte Scheherasade,
„ich erblicke den Tag, ich muss bei dieser Stelle innehalten.“

„Liebe Schwester,“ sagte darauf
Dinarsade, „wie erstaunlich sind die letzten Abenteuer, welche du eben
erzählt hast!“ – „Wenn der Sultan, mein Herr, mich noch bis morgen
leben lässt,“ antwortete Scheherasade, „so bin ich überzeugt, dass
du den Verlauf der Geschichte des Fischers noch viel wunderbarer finden wirst,
als den Anfang, und ohne Vergleich viel anmutiger.“

Schachriar, neugierig zu hören, ob das
übrige der Geschichte des Fischers wirklich so wäre, wie die Sultanin es
verhieß, verschob nochmals die Vollziehung des grausamen Gesetzes, welches er
sich auferlegt hatte.