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219. Nacht

„Herr,“ die Vertraute fügte dem, was sie dem
Juwelier sagte, noch hinzu, es wäre gut, dass er, ohne Zeitverlust, zu dem
Prinzen von Persien ginge, und ihn von dem Vorgang benachrichtigte, damit er
sich auf jeden Fall gefasst machte, und empfahl ihm, der gemeinsamen Sache
getreu zu bleiben. Mehr sagte sie ihm nicht, sondern entfernte sich plötzlich,
ohne seine Antwort abzuwarten.

Was hätte auch der Juwelier in dem Zustand, worin er sich
befand, antworten können? Er stand unbeweglich und wie vom Schlag gerührt. Er
erkannte nichts desto weniger, wie dringend die Sache war: Er raffte sich also
zusammen, und ging schleunig zu dem Prinzen von Persien.

Er nahte sich ihm mit einer Miene, welche schon die üble
Botschaft ankündigte, die er ihm zu bringen kam, und sprach zu ihm:
„Prinz, waffnet euch mit Geduld, mit Standhaftigkeit und Mut, und bereitet
euch auf den furchtbarsten Sturm, den ihr in eurem ganzen Leben zu bestehen
habt.“

„Sagt mir mit zwei Worten, was es gibt,“ sagte
hierauf der Prinz, „und lasst mich nicht in der quälenden Ungewissheit:
Ich bin bereit zu sterben, wenn es sein muss.“

Der Juwelier erzählte ihm nun, was er soeben von der
Vertrauten vernommen hatte. „Ihr seht wohl,“ fügte er hinzu,
„dass euer Untergang gewiss ist. Steht auf, und rettet euch schleunigst:
Die Zeit ist kostbar. Ihr dürft euch dem Zorn des Kalifen nicht aussetzen, noch
weniger der Gefahr, auf der Folter etwas bekennen zu müssen.“

Wenig fehlte, so hätte der Prinz in diesem Augenblick vor
Schmerz und Schreck den Geist aufgegeben. Er erholte sich wieder, und bat den
Juwelier ihm zu raten, welchen Entschluss er unter diesen Umständen fassen
sollte, wo er keinen Augenblick unbenutzt lassen durfte. „Es bleibt nichts
anders übrig,“ antwortete der Juwelier, „als eiligst zu Pferde
steigen und den Weg nach Anbar einzuschlagen, um noch morgen vor Tage dorthin
zu gelangen. Nehmt von euren Leuten, so viel euch dazu gut dünkt, und gute
Pferde, und vergönnt mir, mit euch zu entfliehen.“

Da der Prinz von Persien sah, dass ihm nichts anderes
übrig blieb, so gab er Befehl nur zu den nötigsten Zurüstungen, versah sich
mit Geld und Juwelen. Nachdem er von seiner Mutter Abschied genommen hatte,
reiste er ab, und ritt mit dem Juwelier und seinen dazu erwählen Leuten eiligst
aus Bagdad.

Sie reisten den übrigen Tag und die ganze Nacht, ohne
sich irgendwo aufzuhalten, bis zwei oder drei Stunden vor Anbruch des folgenden
Tages, wo sie, ermüdet von einem so langen Ritt, und weil ihre Pferde nicht
mehr fort konnten, abstiegen, um sich auszuruhen.

Sie hatten kaum Zeit gehabt, zu verschnaufen, als sie sich
plötzlich von einer großen Räuberbande angefallen sahen. Sie verteidigten
sich eine Zeit lang sehr tapfer, aber die Leute des Prinzen wurden getötet. Das
nötigte den Prinzen und den Juwelier, die Waffen zu strecken, und sich auf
Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Räuber schenkten ihnen das Leben, aber
nachdem sie sich der Pferde und des Gepäcks bemächtigt hatten, plünderten sie
sie aus, zogen dann mit ihrer Beute ab, und ließen beide dort zurück.

Als die Räuber sich entfernt hatten, sagte der Prinz von
Persien trostlos zu dem Juwelier: „Wohlan, was sagt ihr zu unserm Abenteuer
und dem Zustand, worin wir uns hier befinden? Wäre es nicht besser gewesen,
wenn ich in Bagdad geblieben, und dort den Tod erwartet hätte, auf welche Weise
ich ihn auch empfangen musste?“

„Prinz,“ versetzte der Juwelier, „dies ist
ein Ratschluss Gottes: Es gefällt ihm, uns durch Leiden über Leiden zu
prüfen. Wir müssen nicht darüber murren, sondern diese Widerwärtigkeiten aus
seiner Hand in völliger Unterwerfung hinnehmen. Lasst uns aber nicht länger
hier verweilen, sondern irgend einen Zufluchtsort suchen, wo mitleidige Menschen
uns in unserem Unglück helfen.“

„Lasst mich hier sterben,“ erwiderte der Prinz,
„es ist gleichviel, ob ich hier oder anderswo sterbe. Vielleicht ist selbst
in diesem Augenblick, da wir miteinander sprechen, Schemselnihar nicht mehr, und
ich darf sie nicht überleben.“

Der Juwelier überredete ihn endlich durch anhaltendes
bitten. Sie gingen eine Strecke fort, und fanden eine offen stehende Moschee,
traten hinein, und brachten den übrigen Teil der Nacht darin zu.

Mit Anbruch des Tages kam ein einzelner Mann in diese
Moschee. Er verrichtete hier sein Gebet, und als er es geendigt hatte, erblickte
er, indem er sich wieder umdrehte, den Prinzen von Persien und den Juwelier, die
in einem Winkel saßen. Er näherte sich ihnen, grüßte sie sehr höflich, und
sagte zu ihnen: „Wie es scheint, seid ihr Fremdlinge.“

Der Juwelier nahm das Wort, und erwiderte: „Ihr irrt
euch nicht. Wir sind diese Nacht auf dem Weg von Bagdad beraubt worden, wir ihr
wohl an unserem Zustand sehen könnt, und wir haben Hilfe nötig. Aber wir
wissen nicht, an wen wir uns wenden sollen.“

„Wenn ihr euch bemühen wollt, in mein Haus zu
kommen,“ versetzte der Mann, „so will ich euch gern helfen, so viel
ich vermag.“

Auf dieses freundliche Erbieten wandte sich der Juwelier
zu dem Prinzen von Persien und sagte ihm ins Ohr: „Prinz, dieser Mann kennt
uns nicht, wie ihr seht, und wir müssen befürchten, dass irgend ein anderer
kommt, der uns kennt. Wir dürfen also, wie mich dünkt, den Dienst nicht
verschmähen, welchen er uns so willig erbietet.“

„Tut nach eurem Gefallen,“ erwiderte der Prinz,
„ich willige in alles, was ihr wollt.“

Als der Mann sah, dass der Juwelier und der Prinz sich
miteinander berieten, merkte er wohl, dass sie Bedenken fänden, sein Erbieten
anzunehmen. Er fragte sie also, was sie beschlossen hätten. „Wir sind
bereit, euch zu folgen,“ antwortete der Juwelier. „Was uns aber
verlegen macht, ist, dass wir nackt sind, und wir schämen uns, in diesem
Zustand zu erschienen.“

Glücklicherweise hatte der Mann so viel Kleidung bei
sich, dass er jedem etwas geben, und damit ihre Blöße bedecken konnte, um sie
in sein Haus zu führen. Sobald sie hier angekommen waren, ließ ihr Wirt jedem
ein anständiges Kleid bringen. Da er nicht zweifelte, dass sie Hunger hätten
und gern allein sein möchten, so ließ er ihnen durch seine Sklavinnen mehrere
Speisen auftragen. Aber sie aßen fast gar nichts. Der Prinz von Persien
besonders war in einer Betrübnis und Niedergeschlagenheit, welche den Juwelier
alles für sein Leben fürchten ließ.

Ihr Wirt besuchte sie mehrmals während des Tages, und
gegen Abend verließ er sie bei guter Zeit, da er wohl wusste, dass sie der Ruhe
bedürften. Aber bald darauf war der Juwelier genötigt, ihn zu Hilfe zu rufen,
bei dem Tod des Prinzen von Persien. Er bemerkte, das der Prinz stark und
gewaltsam Atem holte, und schloss daraus, dass er nur noch wenige Augenblicke zu
leben hätte. Er nahte sich, und der Prinz sagte zu ihm: „Es ist, wie ihr
seht, um mich geschehen, und ich bin froh, das ihre Zeuge von dem letzten
Seufzer meines Lebens seid. Ich gebe es willig hin, und ich brauche euch nicht
zu sagen, warum, ihr wisst es. Das einzige, was ich bedauere, ist, dass ich
nicht in den Armen meiner Mutter sterbe, die mich immer so zärtlich geliebt
hat, und für die ich immer die gebührende Ehrfurcht gehabt habe. Sie wird auch
sehr beklagen, dass sie nicht den traurigen Trost gehabt hat, mir die Augen zu
schließen, und mich mit ihren eigenen Händen einzukleiden. Bezeugt ihr ja den
Schmerz, den ich deswegen habe, und bittet sie in meinem Namen, meinen Leichnam
nach Bagdad bringen zu lassen, damit sie mit ihren Tränen mein Grab betaue und
durch ihr Gebet dort mir hilfreich sei.“ Er vergaß auch nicht den Wirt des
Hauses. Er dankte ihm seine edelmütige Aufnahme, und bat ihn um die
Gefälligkeit, seinen Leichnam so lange in Verwahrung zu behalten, bis man ihn
abzuholen käme.

In diesem Augenblick versank der Prinz in eine tiefe
Ohnmacht, während welcher sich die Stimme des Mädchens hören ließ, die
folgendes Lied sang:

„Beschleunigt hat sich der Tag der Trennung, um uns
zu scheiden, nach einer kurzen Dauer unserer Liebe, Freundschaft und
gegenseitigen Zuneigung.

Was ist bitterer, als Trennung, nach innig bestandener
Vereinigung! Möchte doch nie mehr einem Liebenden Trennung bevorstehen!

Der Todeskampf währte nur eine kurze Zeit, dann endet er.
Aber der Schmerz der Trennung zweier Liebenden bleibt im Herzen.

Vereinige, o Gott alle Liebenden, und beginne mit mir,
denn ich sehen mich nach ihm!“

Hier schwieg die Stimme, in demselben Augenblick verschied
der Prinz von Persien …“

Bis hierher war Scheherasade in ihrer Erzählung gekommen,
als sie bemerkte, dass der Tag anbrach. Sie schwieg also. Aber in der folgenden
Nacht nahm sie den Faden wieder auf, und sprach zu dem Sultan von Indien: