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217. Nacht

„Herr, wir verließen gestern die Vertraute
Schemselnihars in der Moschee, wo sie dem Juwelier erzählte, was ihr, seitdem
sie sich nicht gesehen hatten, begegnet war, und die Umstände von der Rückkehr
Schemselnihars in ihren Palast. Sie fuhr also fort:

„Ich reichte Schemselnihar die Hand, um ihr ans Land
zu helfen. Sie hatte dieser Hilfe sehr nötig, denn sie konnte sich kaum
aufrecht erhalten. Als sie ausgestiegen war, sagte sie mir ins Ohr, mit einem
Ton, der ihre Betrübnis ausdrückte, ich sollte hingehen, einen Beutel mit
tausend Goldstücken holen, und ihn den beiden Soldaten geben, die sie begleitet
hatten.

Ich überließ sie den Händen der beiden Sklavinnen zur
Unterstützung, und nachdem ich den beiden Soldaten gesagt hatte, sie möchten
einen Augenblick warten, lief ich hin, die Börse holen, und kam schleunig
zurück. Ich gab sie den beiden Soldaten, bezahlte den Schiffmann, und
verschloss die Türe.

Dann eilte ich wieder zu Schemselnihar, die noch nicht in
ihr Zimmer gelangt war. Wir verloren keine Zeit, sondern brachten sie hinein,
entkleideten sie, und legten sie in ihr Bett, wo sie sogleich und die ganze
übrige Nacht in einem Zustand lag, als wenn sie im Begriff wäre den Geist
aufzugeben.

Am folgenden Tag bezeigten ihre übrigen Frauen großes
Verlangen, sie zu sehen, aber ich sagte ihnen, sie wäre äußerst ermüdet
zurückgekommen, und bedürfte Ruhe, um sich herzustellen. Wir, die beiden
anderen Frauen und ich, leisteten ihr unterdessen alle mögliche Hilfe, die wir
nur erdenken und sie von unserm Eifer erwarten konnte. Sie weigerte sich
anfangs, irgend etwas zu sich zu nehmen. Wir mussten an ihrem Leben verzweifeln,
wenn wir nicht bemerkt hätten, dass der Wein, welchen wir ihr von Zeit zu Zeit
einflößten, ihr wieder Kräfte gab. Endlich, durch anhaltendes Bitten, gelang
es uns, ihre Hartnäckigkeit zu überwinden, und wir nötigten sie zu essen. Als
ich sah, dass sie wieder im Stande war zu reden, denn sie hatte bis dahin nichts
getan, als weinen, stöhnen und seufzen, bat ich sie um die Gnade, mir doch zu
sagen, durch welches Glück sie den Räubern entkommen wäre. „Warum
verlangst du von mir,“ antwortete sie mit einem tiefen Seufzer, „dass
ich einen solchen Gegenstand der Betrübnis erneue? Wollte Gott, die Räuber
hätten mir das Leben genommen, anstatt es mir zu erhalten! Meine Leiden hätten
ein Ende. Jetzt lebe ich nur, um noch mehr zu leiden.“

„Herrin,“ erwiderte ich, „ich flehe euch,
es mir nicht zu versagen. Ihr wisst wohl, dass die Unglücklichen eine Art Trost
darin finden, ihre Begebnisse, auch die widerwärtigsten, zu erzählen. Es wird
also euren Schmerz lindern, wenn ihr die Güte habt, mir meine Bitte zu
gewähren.“

„So höre denn,“ sagte sie darauf, „die
trostlose Begebenheit, welche einer so leidenschaftlich Liebenden, als ich, die
sich schon am Ziel ihrer Wünsche wähnte, begegnen konnte. Als ich die Räuber
mit Säbel und Dolch in der Hand herein treten sah, glaubte ich, dass der letzte
Augenblick meines Lebens für den Prinzen von Persien und für mich, gekommen
wäre. Ich beklagte meinen Tod nicht, in dem Gedanken, mit ihm zu sterben. Aber
anstatt auf uns los zu stürzen und uns das Herz zu durchbohren, wie ich
erwartete, wurden zwei Räuber befehligt uns zu bewachen, und die übrigen
packten unterdessen alles zusammen, was in dem Zimmer und in den
Seitengemächern sich befand. Als sie damit fertig waren, und die Ballen auf
ihre Schultern geladen hatten, gingen sie weg und führten uns mit sich.

Unterwegs fragte mich einer von unsern Begleitern, wer ich
wäre? Ich antwortete ihm: „Eine Tänzerin.“ Er tat dem Prinzen
dieselbe Frage und dieser gab sich für einen Bürger aus.

Als wir in ihrer Wohnung angelangt waren, wo uns neue
Schrecken erwarteten, versammelten sich alle um mich, und nachdem sie meine
Kleidung und meinen reichen Juwelenschmuck betrachtet, hatten sie Verdacht, dass
ich meinen Stand verleugnet hätte. „Eine Tänzerin sieht nicht aus, wie
ihr,“ sagten sie zu mir. „Sagt uns aufrichtig, wer ihr seid.“

Als sie sahen, dass ich nicht antwortete, fragten sie den
Prinzen von Persien: „Und auch ihr, wer seid ihr eigentlich? Wir sehen
wohl, dass ihr kein bloßer Bürger seid, wie ihr gesagt habt.“

Er befriedigte ebenso wenig, als ich, ihre Neugier,
sondern sagte ihnen bloß, er wäre bei dem Juwelier, den er nannte, zum Besuch
gewesen, um sich mit ihm zu ergötzen, und demselben gehörte das Haus, wo sie
uns gefunden hätten.

„Ich kenne diesen Juwelier,“ sagte sogleich
einer der Räuber, der unter ihnen das meiste Ansehen zu haben schien: „Ich
habe ihm einige Verpflichtung, obwohl er nichts davon weiß, und ich weiß, dass
er noch ein anderes Haus hat. Ich nehme es auf mich, ihn morgen herzubringen.
Wir werden euch nicht eher loslassen,“ fuhr er fort, „als bis wir
wissen, wer ihr seid. Es wird euch indessen kein Leid geschehen.“

Der Juwelier wurde am folgenden Tag gebracht. Dieser brave
Mann, in der Absicht, uns einen Dienst zu leisten, wie er auch wirklich tat,
entdeckte den Räubern, wer wir wirklich wären. Die Räuber kamen nun, mich um
Verzeihung zu bitten. Ich glaube, sie taten dasselbe bei dem Prinzen von
Persien, der in einem anderen Zimmer war. Sie beteuerten mir, sie würden in das
Haus, worin sie uns gefunden, nicht eingebrochen sein, wenn sie gewusst hätten,
dass es dem Juwelier gehörte.

Sie nahmen uns sogleich, den Prinzen von Persien, den
Juwelier und mich, und führten uns an das Ufer des Flusses, ließen uns in ein
Boot steigen, und setzten uns auf diese Seite über, aber kaum waren wir ans
Land getreten, als eine Schar von der Wache zu Pferde auf uns zukam.

Ich nahm den Anführer derselben bei Seite, nannte mich
und sagte ihm, die Räuber, die wieder auf jene Seite hinüberruderten, hätten
mich am vorigen Abend auf dem Rückweg von einer Freundin, angehalten und nach
ihrer Wohnung geführt. Aber als ich mich ihnen zu erkennen gegeben, hätten sie
mich wieder losgelassen, und in Rücksicht auf mich, den beiden Personen, die er
hier sähe, dieselbe Gnade erwiesen, nachdem ich versichert, dass sie zu meiner
Bekanntschaft gehörten. Er stieg sogleich vom Pferd, mir seine Ehrerbietung zu
bezeigen. Nachdem er mir seine Freude bezeigt hatte, mir einen Dienst leisten zu
können, befahl er, zwei Boote herbeizuschaffen, und ließ mich das eine
besteigen, mit zweien seiner Leute, die, wie du gesehen hast, mich hierher
begleitet haben. Ebenso ließ er den Prinzen von Persien und den Juwelier in dem
anderen Boot durch zwei seiner Leute sicher nach Hause geleiten.

„Ich hoffe,“ fügte sie zum Schluss hinzu, indem
sie in Tränen zerfloss, „dass ihnen seit unserer Trennung kein Unfall wird
begegnet sein, und ich zweifle nicht, dass der Schmerz des Prinzen dem meinen
gleich sei. Der Juwelier, der uns mit so viel Bereitwilligkeit gedient hat,
verdient, für den Verlust belohnt zu werden, welchen er um unsertwillen
erlitten hat. Vergiss nicht, morgen früh zwei Börsen, jede von tausend
Goldstücken, zu nehmen, sie ihm in meinem Namen zu überbringen, und dich bei
ihm nach dem Prinzen von Persien zu erkundigen.“

Als meine gute Gebieterin so ihre Erzählung geendigt
hatte, bemühte ich mich, in Betreff des letzten mir erteilten Befehls, der
Erkundigung nach dem Prinzen von Persien, sie zu bereden, sie möchte doch alle
ihre Kräfte aufbieten, um sich selber zu besiegen, nachdem sie in einer solchen
Gefahr geschwebt hätte, der sie nur eben durch ein Wunder entronnen wäre.
„Mache mir keine Einwendungen,“ sagte sie hierauf, „sondern tue,
was ich dir heiße.“

Ich musste also schweigen, und ich komme, um ihr zu
gehorchen. Ich war in eurem Haus, wo ich euch nicht fand, und aus Furcht, euch
dort nicht anzutreffen, wo man mir sagte, dass ihr wohl sein könntet, war ich
schon im Begriff, zu dem Prinzen von Persien zu gehen, jedoch wagte ich es
nicht. Ich habe die beiden Börsen im Vorbeigehen bei einem von meinen Bekannten
gelassen: Erwarte mich hier, ich will sie euch ungesäumt holen …“

Scheherasade bemerkte, nach diesen letzten Worten, dass
der Tag anbrach, und schwieg. Sie setzte ihre Erzählung in der folgenden Nacht
fort, und sagte zu dem Sultan von Indien: