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216. Nacht

„Herr, ich erzählte gestern Euer Majestät, dass
während man beschäftigt war, den Prinzen aus seiner Ohnmacht wieder zu sich zu
bringen, andere von seinen Leuten den Juwelier fragten, was ihrem Herrn begegnet
wäre. Der Juwelier, der sich wohl hütete, ihnen irgend etwas zu entdecken, das
ihnen nicht gebührte zu wissen, antwortete ihnen, es wäre eine
außerordentliche Sache, aber jetzt nicht die Zeit, davon zu erzählen. Sie
sollten lieber darauf bedacht sein, dem Prinzen Hilfe zu leisten. Zum Glück
erholte sich der Prinz in diesem Augenblick wieder, und diejenigen, die so
dringend diese Frage getan hatten, traten nun ehrerbietig zurück, und waren
sehr erfreut, dass die Ohnmacht des Prinzen nicht länger gedauert hatte.

Obgleich der Prinz von Persien das Bewusstsein wieder erlangt hatte, blieb er
dennoch so schwach, dass er den Mund nicht zum Sprechen öffnen konnte. Er
antwortete nur durch Zeichen, selbst seinen Verwandten, die ihm zusprachen.

Er war in diesem Zustand noch am folgenden Morgen, als der
Juwelier Abschied von ihm nahm. Der Prinz antwortete ihm nur durch Zuwinken,
indem er ihm die Hand reichte. Als er ihn mit dem Silberzeug beladen sah, das
die Räuber ihm wiedergegeben hatten, gab er einem seiner Leute ein Zeichen, es
zu nehmen und ihm nach Hause zu tragen.

Die Familie des Juweliers hatte ihn indessen mit großer
Ungeduld erwartet, seitdem er mit dem unbekannten Mann, der ihn zu sprechen
gekommen, weggegangen war. Man hatte nicht gezweifelt, dass etwas anderes noch
ärgeres als zuvor ihm begegnet wäre, nachdem die Zeit verflossen war, da er
wieder zurückkommen musste. Seine Frau und Kinder und sein Hausgesinde waren in
großer Unruhe, und sie weinten noch, als er anlangte. Sie hatten große Freude,
ihn wieder zu sehen, waren aber bekümmert, als sie ihn in der kurzen Zeit, dass
sie ihn nicht gesehen hatten, so auffallend verändert fanden. Die große
Ermüdung vom vorigen Tag, und die in großer Beängstigung und schlaflos
zugebrachte Nacht, waren die Ursache dieser Veränderung, welche ihn fast
unkenntlich gemacht hatte. Da er selber sich sehr entkräftet fühlte, so
hütete er zwei Tage das Haus, um sich herzustellen, und nahm nur den Besuch von
einigen seiner vertrautesten Freunde an.

Am dritten Tag fühlte der Juwelier seine Kräfte wieder
ein wenig hergestellt, und glaubte, sie würden zunehmen, wenn er wieder
ausginge, frische Luft zu schöpfen. Er ging also zu einem seiner Freunde, einem
rechen Kaufmann, in den Laden, und unterhielt sich ziemlich lange mit ihm. Als
er aufstand, von seinem Freund Abschied zu nehmen und sich zu entfernen,
erblickte er eine Frau, die ihm einen Wink gab, und erkannte sie für die
Vertraute Schemselnihars. Zwischen Furcht und Freude darüber, entfernte er sich
um so schleuniger, ohne sie anzusehen. Sie folgte ihm, wie er wohl wusste, dass
sie tun würde, weil der Ort, wo er sich befand, nicht gelegen war, sich mit ihr
zu besprechen. Da er so rasch ging, rief die Vertraute, die nicht gleichen
Schritt mit ihm halten konnte, ihm von Zeit zu Zeit zu, er solle doch auf sie
warten. Er hörte es wohl, aber nachdem, was ihm begegnet war, durfte er nicht
öffentlich mit ihr sprechen, aus Furcht, den Verdacht zu erregen, dass er mit
Schemselnihar Verkehr hätte. In der Tat wusste man in ganz Bagdad, dass sie
dieser Favoritin angehörte, und alle Einkäufe derselben besorgte. Er blieb
also in seinem Schritt, bis er eine wenig besuchte Moschee erreichte, in welcher
er wohl wusste, dass niemand wäre. Sie folgte ihm hinein, und beide hatten hier
volle Freiheit, ohne Zeugen miteinander zu reden.

Der Juwelier und die Vertraute Schemselnihars bezeigten
sich gegenseitig ihre Freude, sich nach dem seltsamen, durch die Räuber
verursachten Abenteuer wieder zu sehen.

Der Juwelier verlangte, die Vertraute sollte ihm erst
erzählen, wie sie mit den beiden Sklavinnen entkommen wäre, und wie
Schemselnihar sich befände, seitdem er sie nicht gesehen hatte. Aber die
Vertraute bezeigte ihm ein so dringendes Verlangen, zuvor zu erfahren, was ihm
seit ihrer unversehenen Trennung begegnet wäre, dass er genötigt war, ihre
Neugier zu befriedigen. „Da habt ihr,“ sagte er am Schluss seiner
Erzählung, „was ihr von mir zu wissen verlangt. Sagt mir nun, ich bitte
euch, auch eurerseits das, darum ich euch schon ersucht habe.“

„Sobald ich die Räuber erscheinen sah,“
erzählte nun die Vertraute, „bildete ich mir ein, ohne sie recht genau zu
betrachten, dass es Soldaten von der Leibwache des Kalifen wären, dass der
Kalif von diesem Schritt Schemselnihars unterrichtet worden, und jene
abgeschickt hätte, ihr und dem Prinzen von Persien, und uns allen das Leben zu
nehmen. In diesem Wahne stieg ich sogleich auf das flache Dach eures Hauses,
während die Räuber zu dem Prinzen von Persien und Schemselnihar in das Zimmer
drangen. Die beiden Sklavinnen Schemselnihars säumten nicht, mir zu folgen. Von
Dach zu Dach gelangten wir endlich zu dem Haus braver Leute, die uns sehr
freundlich aufnahmen und bei denen wir die Nacht zubrachten.

Am folgenden Morgen früh, nachdem wir dem Herrn des
Hauses für die uns bewiesene Gefälligkeit gedankt hatten, kehrten wir nach
Schemselnihars Palast zurück. In großer Verwirrung traten wir hinein, und
waren umso bekümmerter, das wir nicht wussten, welches Schicksal die beiden
unglücklichen Liebenden getroffen hatte. Die übrigen Frauen Schemselnihars
waren verwundert, uns ohne sie zurückkommen zu sehen. Wir sagten ihnen, wie wir
uns zuvor verabredet hatten, sie wäre bei einer ihrer Freundinnen geblieben,
und würde uns rufen lassen, sie abzuholen, wenn sie zurückkehren wollte und
sie begnügten sich mit dieser Ausrede.

Ich brachte indessen den Tag in großer Unruhe hin. Als
die Nacht kam, öffnete ich eine kleine Hintertüre, trat hinaus, und sah ein
kleines Boot auf dem Kanal, der in den Fluss ausläuft. Ich rief den Schiffmann,
und bat ihn, auf beiden Seiten den Fluss entlang hin zu fahren, um zu sehen, ob
er nicht eine vornehme Frau erblicke, und wenn er sie anträfe, sie hierher zu
führen.

Ich erwartete seine Rückkehr mit den beiden Sklavinnen,
die in derselben Unruhe waren, wie ich. Es war schon nahe an Mitternacht, als
dasselbe Boot anlangte, mit zwei Männern und einer im Hinterraum ruhenden Frau.
Sobald er das Boot angelegt hatte, halfen die beiden Männer der Frau aufstehen
und aussteigen, und ich erkannte sie für Schemselnihar, mit unaussprechlicher
Freude, sie wieder zu sehen und wieder gefunden zu haben …“

Scheherasade endigte hier ihre Erzählung für diese
Nacht. Sie nahm dieselbe in der folgenden Nacht wieder auf, und sprach zu dem
Sultan von Indien: