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215. Nacht

„Herr, auf die Frage des Juweliers an die Räuber, ob
sie ihm keine Nachricht von dem jungen Mann und der jungen Frau geben könnten,
antworteten sie: „Seid ihretwegen unbesorgt, sie sind an einem sicheren Ort
und befinden sich wohl.“ Indem sie ihm dieses sagten, zeigten sie ihm zwei
Gemächer, und versicherten, dass beide, voneinander abgesondert, darin wären.
„Sie haben uns gesagt,“ fügten sie hinzu, „dass allein ihr Kunde
von ihren Angelegenheiten habt. Sobald wir diese vernommen, haben wir in
Rücksicht auf euch, sie mit aller möglichen Achtung behandelt. Weit entfernt,
die mindeste Gewalt zu gebrauchen, haben wir im Gegenteil ihnen alles Gute
erzeigt, und keiner von uns möchte ihnen das geringste Leid zufügen. Wir
versichern euch dasselbe in Ansehung euer Person, und ihr könnt volles
Vertrauen zu uns fassen.“

Der Juwelier, durch diese Rede beruhigt, und erfreut, dass
der Prinz von Persien und Schemselnihar geborgen waren, beschloss, die Räuber
in ihrem guten Willen noch zu bestärken. Er lobte sie, schmeichelte ihnen, und
wünschte ihnen tausend Segen. „Ihr Herren,“ sagte er zu ihnen,
„ich gestehe, dass ich nicht die Ehre habe, euch zu kennen, aber es ist ein
großes Glück für mich, euch nicht unbekannt zu sein, und ich kann euch nicht
genug danken für die Güte, welche diese Bekanntschaft mir von euch zuwege
gebracht hat. Einer so menschenfreundlichen Handlung zu geschwiegen, sehe ich
wohl, dass nur Menschen eurer Art im Stande sind, ein Geheimnis so treulich zu
bewahren, dass man dessen Entdeckung nie fürchten darf: Und wenn es auf eine
gefährliche Unternehmung ankommt, so darf man sie euch nur auftragen. Ihr wisst
durch euren Eifer, euren Mut, und eure Unerschrockenheit sie befriedigend
hinauszuführen. Im Vertrauen auf Eigenschaften, welche euch mit so großem
Recht beigelegt werden, trage ich kein Bedenken, euch meine und der beiden von
euch bei mir angetroffenen Personen Geschichte mit aller Aufrichtigkeit zu
erzählen, die ihr von mir verlangt.“

Nachdem der vorsichtige Juwelier auf solche Weise die
Teilnahme der Räuber für dasjenige gewonnen hatte, was er ihnen in vollem
Vertrauen entdecken wollte, so dass es, seiner Beurteilung nach, nur einen guten
Eindruck hervorbringen konnte, erzählte er ihnen umständlich, ohne etwas zu
übergehen, die Liebesgeschichte des Prinzen von Persien mit Schemselnihar, von
Anfang an, bis zu der Zusammenkunft, die er ihnen in seinem Haus verschafft
hatte.

Die Räuber gerieten in großes Erstaunen über all die
Umstände, welche sie hier vernahmen. „Wie,“ riefen sie aus, als der
Juwelier geendigt hatte, „ist es möglich, dass der junge Mann der
erlauchte Prinz von Persien, Ali Ebn Bekar, und die junge Frau die schöne und
berühmte Schemselnihar ist?“ Der Juwelier schwur ihnen, dass nichts
gewisser wäre, als was er ihnen gesagt hätte. Er fügte hinzu, es dürfte sie
nicht befremden, dass so vornehme Personen sich gesträubt hätten, sich zu
erkennen zu geben.

Auf diese Versicherung gingen die Räuber hin, und warfen
sich, einer nach dem anderen, dem Prinzen und Schemselnihar zu Füßen, und
baten sie um Verzeihung, indem sie beteuerten, dass nichts von dem Vorgefallenen
geschehen sein würde, wenn sie vor dem Einbruch in das Haus des Juweliers von
ihrem Stand unterrichtet gewesen wären. „Wir werden uns bemühen,“
fügten sie hinzu, „den Fehler wieder gut zu machen, den wir begangen
habe.“

Hierauf kamen sie wieder zu dem Juwelier, und sagten zu
ihm: „Es tut uns sehr leid, euch nicht alles erstatten zu können, was euch
aus dem Haus entführt worden ist: Ein Teil davon ist nicht mehr in unserer
Gewalt. Wir bitten euch, mit dem Silberzeug zufrieden zu sein, welches wir euch
sogleich wiedergeben werden.“

Der Juwelier schätzte sich überglücklich durch die
Gnade, die ihm erwiesen wurde. Als die Räuber ihm das Silberzeug überliefert
hatten, ließen sie den Prinzen von Persien und Schemselnihar hervortreten, und
sagten ihnen und dem Juwelier, sie würden sie an einen Ort bringen, von wo
jeder von ihnen sich Heim begeben könnte. Zuvor aber müssten sie durch einen
Eid sich verbinden, sie nicht zu verraten.

Der Prinz von Persien, Schemselnihar und der Juwelier
antworteten, sie könnten auf ihr Wort schon vertrauen, weil sie es aber
wünschten, so wollten sie ihnen feierlich unverbrüchliches Stillschweigen
beschwören. Durch diesen Eid zufrieden gestellt, gingen die Räuber sogleich
mit ihnen hinaus.

Unterwegs beunruhigte den Juwelier, dass er die Vertraute
und die beiden Sklavinnen nicht sah, er nahte sich Schemselnihar, und bat sie,
ihm zu sagen, was aus ihnen geworden sei. „Ich weiß nichts von
ihnen,“ antwortete sie. „Ich kann nichts weiter sagen, als dass man
uns aus eurem Haus wegführte, mit uns übers Wasser setzte, und uns in das Haus
brachte, wo wir jetzt herkommen.“

Damit endigte die Unterredung zwischen Schemselnihar und
dem Juwelier. Sie ließen sich mit dem Prinzen von den Räubern führen, und
gelangten an das Ufer des Flusses. Die Räuber nahmen ein Boot, stiegen mit
ihnen ein, und setzten sie ans jenseitige Ufer über.

Indem der Prinz von Persien, Schemselnihar und der
Juwelier ans Land stiegen, hörte man ein lautes Geräusch von der Wache zu
Pferde, welche daher ritt, und in dem Augenblick ankam, als das Boot eben wieder
abgestoßen war, und die Räuber ruderten aus aller Macht von hinnen.

Der Befehlshaber der Wache fragte den Prinzen,
Schemselnihar und den Juwelier, woher sie so spät kämen und wer sie wären.
Von Schreck ergriffen und aus Furcht, etwas zu sagen, das ihnen nachteilig sein
könnte, schwiegen sie bestürzt. Gleichwohl musste man antworten, und das tat
der Juwelier, der etwas mehr Fassung behielt: „Herr,“ antwortete er,
„ich kann euch zuerst versichern, dass wir rechtliche Leute aus der Stadt
sind. Die Leute dort in dem Boot, die uns soeben ausgesetzt haben, und wieder
auf die andere Seite überfahren, sind Räuber, die in der letzten Nacht das
Haus, worin wir waren, erbrachen, es plünderten und uns nach ihrer Wohnung
führten. Nachdem es dort durch alle erdenkliche Mittel der Begütigung uns
gelungen, sie für uns einzunehmen, haben sie uns endlich in Freiheit gesetzt,
und bis hierher geführt. Sie haben uns sogar einen guten Teil ihrer gemachten
Beute wieder gegeben, wie ihr hier seht.“ Indem er dies sagte, zeigte er
dem Befehlshaber das Silberzeug, das er trug.

Der Befehlshaber begnügte sich nicht mit dieser Antwort
des Juweliers. Er näherte sich ihm und dem Prinzen von Persien, und betrachtete
einen nach dem anderen. „Sagt mir aufrichtig,“ fragte er sie,
„wer ist diese Frau? Woher kennt ihr sie? Und in welchem Stadtviertel wohnt
ihr?“

Diese Frage machte sie sehr verlegen, und sie wussten
nicht, was sie antworten sollten. Schemselnihar machte dieser Verlegenheit ein
Ende. Sie zog den Befehlshaber beiseite und sie hatte nicht sobald mit ihm
gesprochen, als er mit großen Zeichen der Ehrerbietung und Höflichkeit vom
Pferd stieg. Er befahl sogleich seinen Leuten, zwei Boote herbeizuschaffen.

Als die Boote gekommen waren, ließ der Befehlshaber
Schemselnihar in das eine steigen, und den Prinzen von Persien und den Juwelier
in das andere, und gab jedem Boot zwei von seinen Leuten, mit dem Befehl, sie
bis zu ihrer Bestimmung zu begleiten. Die beiden Boote fuhren in verschiedener
Richtung ab. Wir begleiten gegenwärtig das Boot, worin sich der Prinz von
Persien und der Juwelier befanden.

Der Prinz von Persien wollte den ihm mitgegebenen
Begleitern und dem Juwelier die Mühe ersparen, und sagte zu jenen, er wollte
den Juwelier mit in sein Haus führen, und nannte ihnen das Stadtviertel, darin
er wohnte. Auf diese Anzeige ließen die Begleiter das Boot vor dem Palast des
Kalifen anlegen. Der Prinz von Persien und der Juwelier gerieten in großen
Schrecken darüber, wagten aber nicht, ihn laut werden zu lassen. Obwohl sie den
Befehl gehört hatten, welchen der Anführer der Wache erteilt hatte, so
bildeten sie sich nichtsdestoweniger ein, dass man sie nach dem Wachthaus
brächte, um sie am folgenden Morgen dem Kalifen vorzustellen.

Das war indessen nicht die Absicht ihrer Begleiter. Als
sie sie ans Land gesetzt hatten, kehrten sie zu ihrer Schar zurück, nachdem sie
sie einem Offizier von der Leibwache des Kalifen befohlen hatten. Dieser gab
ihnen zwei von seinen Soldaten mit, um sie nach der Wohnung des Prinzen von
Persien zu begleiten, die ziemlich weit vom Fluss entfernt war. So gelangten sie
endlich dorthin, aber so matt und müde, dass sie kaum sich regen konnten.

Bei dieser großen Müdigkeit war der Prinz von Persien
überdies noch so niedergeschlagen durch den unglücklichen Vorfall, der ihn und
Schemselnihar betroffen hatte, und ihn fortan aller Hoffnung zu einer neuen
Zusammenkunft beraubte, dass er in Ohnmacht sank, indem er sich auf ein Sofa
niederließ. Während der größte Teil seiner Leute um ihn beschäftigt war,
ihn wieder zu sich zu bringen, drängten sich die andern um den Juwelier, und
baten ihnen zu sagen, was dem Prinzen begegnet wäre, dessen Abwesenheit sie in
unaussprechliche Unruhe versetzt hatte.“

Bei diesen letzten Worten unterbrach sich Scheherasade,
weil das Licht des Tages sich schon blicken ließ. In der folgenden Nacht nahm
sie ihre Erzählung wieder auf, und sprach zu dem Sultan von Indien: