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214. Nacht

„Indem Schemselnihar den Prinzen von Persien
bezauberte, und ihm ihre Leidenschaft durch Worte ausdrückte, welche sie auf
der Stelle erfand, ließ sich ein lautes Geräusch hören, und ein Sklave, den
der Juwelier mitgebracht hatte, trat plötzlich ganz erschrocken herein und
meldete, dass man die Tür einstieße. Er hätte gefragt, wer anklopfte, aber,
anstatt der Antwort, wären die Schläge verdoppelt worden.

Der aufgeschreckte Juwelier verließ Schemselnihar und den
Prinzen, und ging selber hin, um sich von dieser unangenehmen Neuigkeit zu
überzeugen. Er war schon in dem Hof, als er in der Dunkelheit eine Schar mit
äxten und Säbeln bewaffneter Leute erblickte, welche die Tür eingeschlagen
hatten und gerade auf ihn zukamen. Er drückte sich schleunigst an eine Mauer
und ohne bemerkt zu werden, sah er sie, zehn an der Zahl, vorbeigehen.

Da er dem Prinzen von Persien und Schemselnihar nicht
sonderliche Hilfe leisten konnte, so begnügte er sich, sie bei sich selber zu
beklagen, und beschloss zu fliehen. Er schlüpfte aus dem Haus, und flüchtete
sich zu einem Nachbar, der noch nicht zu Bett war, denn er war überzeugt, dass
diese unversehene Gewalttätigkeit auf Befehl des Kalifen geschähe, dem ohne
Zweifel die Zusammenkunft seiner Favoritin mit dem Prinzen von Persien wäre
verraten worden. In dem Haus, wohin er sich gerettet hatte, hörte er noch den
großen Lärm, welchen man in dem seinigen machte; und dieser Lärm dauerte bis
um Mitternacht.

Hierauf, als ihm alles wieder darin still erschien, bat er
seinen Nachbar, ihm einen Säbel zu leihen. Hiermit bewaffnet ging er wieder
hin, näherte sich der Tür des Hauses, und trat in den Hof, wo er mit Schrecken
einen Mann erblickte, der ihn fragte, wer er wäre. An der Stimme erkannte er,
dass es sein Sklave war. „Wie hast du es gemacht,“ fragte er ihn,
„dass dich die Wache nicht ergriffen hat?“

„Herr,“ antwortete ihm der Sklave, „ich
habe mich in einem Winkel des Hofes versteckt, und bin wieder hervorgekommen,
als ich keinen Lärm mehr hörte. Aber es war nicht die Wache, welche in euer
Haus eingebrochen ist, es sind Räuber, die in diesen letzten Tagen schon ein
Haus dieses Stadtviertels geplündert haben. Ohne Zweifel haben sie den Reichtum
des Gerätes bemerkt, welches ihr habt hierher bringen lassen, und das hat ihnen
in die Augen gestochen.“

Der Juwelier fand die Vermutung seines Sklaven sehr
wahrscheinlich. Er durchsuchte sein Haus, und sah in der Tat, dass die Räuber
all das prächtige Gerät des Zimmers, worin er Schemselnihar und ihren
Geliebten empfangen, ausgeräumt, das Gold- und Silbergeschirr weggetragen,
kurz, nicht das Geringste darin gelassen hatten. Er war trostlos darüber.
„O Himmel,“ rief er aus, „ich bin ohne Rettung verloren! Was
werden meine Freunde sagen, und welche Entschuldigung bringe ich ihnen, wenn ich
ihnen sage, dass Räuber mein Haus erbrochen und gestohlen haben, was sie mir so
großmütig geliehen? Muss ich sie nicht für den Verlust entschädigen, den ich
ihnen verursacht habe? – Und dann, was ist aus Schemselnihar und dem Prinzen von
Persien geworden? Dieser Vorfall wird ein so großes Aufsehen machen, dass er
unausbleiblich dem Kalifen zu Ohren kommen muss. Er wird diese Zusammenkunft
erfahren, und ich werde ein Opfer seines Zorns sein.“

Der Sklave, der ihm sehr zugetan war, bemühte sich, ihn
zu trösten, und sagte: „Schemselnihar betreffend, so werden die Räuber
sich wahrscheinlich begnügt haben, sie auszuplündern, und sie wird dann mit
ihren Sklaven in ihren Palast zurückgekehrt sein. Der Prinz von Persien wird
dasselbe Schicksal gehabt haben. Also dürft ihr hoffen, dass der Kalif dieses
Abenteuer nie erfahren wird. Was den Verlust eurer Freunde anlangt, so ist das
ein Unglück, welches ihr nicht vermeiden konntet. Sie wissen wohl, dass die
Räuber so überhand genommen und so verwegen geworden, dass sie nicht allein
das Haus, von welchem ich euch gesagt habe, sondern auch mehrere andere Häuser
der vornehmsten Herren des Hofes ausgeplündert haben. Ihnen ist nicht
unbekannt, dass, trotz den ergangenen Befehlen sie einzufangen, man noch keinen
von ihnen hat ergreifen können, wie viel Mühe man auch angewendet hat. Ihr
werdet also damit davon kommen, dass ihr euren Freunden den Wert der geraubten
Sachen ersetzt, und es wird euch, Gott sei Dank, noch Vermögen genug übrig
bleiben.“

Bis der Tag anbrach, ließ der Juwelier durch seinen
Sklaven, so gut es möglich war, die eingeschlagene Türe nach der Gasse wieder
herstellen, und kehrte dann mit demselben nach seinem Wohnhaus zurück, unter
traurigen Betrachtungen über das Vorgefallene: „Ebn Thaher,“ sagte er
bei sich selber, „war wohl klüger, als ich. Er hatte das Unglück
vorausgesehen, in welches ich mich blindlings gestürzt habe. Wollte Gott, dass
ich mich nie in einen Liebeshandel gemischt hätte, der mir vielleicht das Leben
kostet.“

Kaum war es Tag, so verbreitete sich das Gerücht von der
Plünderung seines Hauses in der Stadt, und zog einen Schwarm von Freunden und
Nachbarn herbei, von welchen die meisten unter dem Vorwand, ihm ihr Beileid zu
bezeigen, nur zu ihm kamen, um die Sache umständlich zu erfahren. Er unterließ
nicht, ihnen für die ihm bezeigte Teilnahme zu danken, und hatte wenigstens den
Trost, zu hören, dass niemand weder von Schemselnihar, noch von dem Prinzen von
Persien zu ihm sprach, woraus er schloss, dass beide zu Hause, oder doch an
irgend einem sicheren Ort wären.

Als der Juwelier wieder allein war, brachten seine Leute
ihm zu essen, aber er aß fast gar nichts. Es war gegen Mittag, als einer seiner
Sklaven herein trat und ihm meldete, dass ein unbekannter Mann an der Türe
stände, und ihn zu sprechen verlangte. Der Juwelier, der keinen Unbekannten zu
sich hereinlassen wollte, stand auf und ging hin, mit ihm an der Türe zu reden.
„Obwohl ihr mich nicht kennt,“ sagte der Mann zu ihm, „so kenne
ich doch euch, und ich komme, von einer wichtigen Angelegenheit mit euch zu
reden.“ Auf diese Worte bat der Juwelier ihn, einzutreten.
„Nein!“, fuhr der Unbekannte fort, „bemüht euch vielmehr, wenn’s
euch beliebt, mit mir nach eurem anderen Haus.“

„Wie wisst ihr,“ versetzte der Juwelier,
„dass ich noch ein anderes Haus habe, als diese hier?“

„Ich weiß es,“ erwiderte der Unbekannte.
„Ich bitte euch nur, mir zu folgen und fürchtet nichts, ich habe euch
etwas mitzuteilen, das euch Vergnügen machen wird.“

Der Juwelier ging sogleich mit ihm hin, und erzählte ihm
unterwegs, auf welche Weise das Haus, wohin sie gingen, beraubt worden und nicht
in dem Zustand wäre, ihn darin zu empfangen.

Als sie vor dem Haus standen, und der Unbekannte die Türe
halb zerbrochen sah, sagte er zu dem Juwelier: „Gehen wir weiter, ich sehe
wohl, dass ihr mir die Wahrheit gesagt habt. Ich will euch an einen Ort führen,
wo wir bequemer sind.“

Indem er dies sagte, setzten sie ihren Weg fort, und
gingen so den ganzen übrigen Tag, ohne sich aufzuhalten. Der Juwelier war
ermüdet von dem langen Weg, und ängstlich, als er die Nacht herannahen, und
den Unbekannten noch immer fortschreiten sah, ohne ihm zu sagen, wohin er ihn zu
führen gedächte, fing er schon an die Geduld zu verlieren, als sie auf einen
Platz gelangten, der nach dem Tigris führte. Sie gingen ans Ufer des Flusses
hinab, besteigen ein kleines Boot und setzten auf die andere Seite über.

Nun führte der Unbekannte den Juwelier durch eine lange
Gasse, wo dieser in seinem Leben nicht gewesen war. Nachdem er ihn noch, ich
weiß nicht, wie viel abgelegene Gassen hatte durchwandern lassen, stand er
endlich vor einer Tür still, und öffnete sie. Er ließ den Juwelier eintreten,
schloss die Türe wieder zu, verriegelte sie mit einer starken Eisenstange, und
führte ihn in ein Zimmer, wo sich zehn andere Männer befanden, welche dem
Juwelier ebenso unbekannt waren, als derjenige, der ihn hergeführt hatte.

Diese zehn Männer empfingen den Juwelier ohne sonderliche
Höflichkeitsbezeugungen. Sie hießen ihn sich zu setzen und er tat es. Er hatte
es auch sehr nötig, denn er war nicht allein von dem langen Marsch außer Atem,
sondern auch die Furcht, die ihn ergriff, als er sich unter Leuten sah, die so
geeignet waren, ihm solche zu erregen, hätte ihm nicht gestattet, sich aufrecht
zu erhalten. Da sie mit dem Abendessen auf ihr Oberhaupt gewartet hatten, so
wurde gleich bei seiner Ankunft aufgetragen. Sie wuschen sich die Hände, und
nötigten den Juwelier, dasselbe zu tun, und sich mit ihnen an den Tisch zu
setzen.

Nach der Mahlzeit fragten die Männer ihn, ob er wüsste,
mit wem er spräche. Er antwortete: Nein, und dass er selbst nicht das
Stadtviertel und den Ort kenne, wo er wäre.

„Erzählt uns euer Abenteuer von der letzten
Nacht,“ sagten sie zu ihm, „und verschweigt uns nichts.“

Der Juwelier, stutzig über diese Rede, antwortete ihnen:
„Meine Herren, dem Anschein nach seid ihr davon schon unterrichtet?“

„Es ist wahr,“ erwiderten sie, „der junge
Mann und die junge Frau, die gestern Abend bei euch waren, haben uns davon
gesagt, aber wir wollen es aus eurem eigenen Mund hören.“

Es bedurfte nicht mehr, um den Juwelier zu überzeugen,
dass er mit den Räubern spräche, die sein Haus erbrochen und geplündert
hatten. „Meine Herren,“ rief er aus, „ich bin sehr in Sorgen
wegen dieses jungen Mannes und dieser jungen Frau: Könntet ihr mir nicht
Nachricht von ihnen geben?“

Scheherasade unterbrach sich bei der Stelle, um den Sultan
von Indien zu erinnern, dass der Tag anbräche, und schwieg alsdann. In der
folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung also wieder auf: