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210. Nacht

„Der Prinz von Persien erwiderte den Gruß der
Vertrauten Schemselnihars. Der Juwelier war sogleich bei ihrem Eintritt
aufgestanden, und beiseite getreten, damit beide sich ungehindert besprechen
könnten. Nachdem sie einige Zeit mit dem Prinzen geredet hatte, nahm sie
Abschied, und ging wieder hinaus. Dieser war auf einmal ganz verändert: Seine
Augen erschienen glänzender, und sein Gesicht froher als zuvor, woraus der
Juwelier erkannte, dass die gute Sklavin ihm günstige Nachrichten für seine
Liebe gebracht hatte.

Als der Juwelier seine Platz bei dem Prinzen wieder
eingenommen hatte, sagte er lächelnd zu ihm: „Wie ich sehe, Prinz, so habt
ihr wichtige Geschäfte im Palast des Kalifen.“

Der Prinz von Persien, sehr erstaunt und beunruhigt durch
diese Anrede, antwortete dem Juwelier: „Woraus schließt ihr, dass ich
wichtige Geschäfte im Palast des Kalifen habe?“

„Ich schließe es aus der Sklavin, welche eben
hinausgegangen ist.“

„Und wem, glaubt ihr, dass diese Sklavin
angehört?“, fragte der Prinz weiter.

„Schemselnihar, der Favoritin des Kalifen,“
antwortete der Juwelier.

„Ich kenne,“ fuhr er fort, „diese Sklavin,
und selbst ihre Gebieterin, die mir einige Mal die Ehre erzeigt hat, mich zu
besuchen und Juwelen zu kaufen. Ich weiß noch mehr, dass Schemselnihar kein
Geheimnis vor dieser Sklavin hat, welche ich seit einigen Tagen sehr verlegen,
wie es mir scheint, durch die Straßen hin und hergehen sehe. Ich stelle mir
vor, dass es irgend eine wichtige Angelegenheit ihrer Gebieterin betrifft.“

Diese Worte des Juweliers beunruhigten den Prinzen von
Persien gar sehr. „Er würde nicht so zu mir reden,“ sagte er bei sich
selber, „wenn er keinen Verdacht hätte, oder vielmehr, wenn er mein
Geheimnis nicht wüsste.“ Er schwieg einige Augenblicke, unschlüssig, wie
er sich verhalten sollte. Endlich nahm er wieder das Wort, und sagte zu dem
Juwelier: „Ihr sagt mir da Dinge, nach welchen ich glauben muss, dass ihr
noch mehr wisst, als ihr sagt. Es ist wichtig für meine Ruhe, völlig darüber
im Klaren zu sein und ich beschwöre euch, nicht zurückzuhalten.“

Der Juwelier, der nichts anders gewünscht hatte, machte
ihm hierauf einen genaueren Bericht von seiner Unterhaltung mit Ebn Thaher.
Dadurch gab er ihm zu erkennen, dass er von seinen Verhältnissen zu
Schemselnihar unterrichtet war. Er vergaß nicht, ihm zu sagen, dass Ebn Thaher,
aus Furcht vor der Gefahr, worin er als Vertrauter schwebte, den Entschluss
gefasst hätte, sich nach Balsora zurückzuziehen, und dort zu bleiben, bis das
von im befürchtete Ungewitter sich zerstreut haben würde. „Und das hat er
ausgeführt,“ fügte der Juwelier hinzu, „und ich bin verwundert, dass
er sich hat entschließen können, euch in einem Zustand zu verlassen, wie er
mir ihn beschreiben hat. Was mich betrifft, Prinz, so gestehe ich euch, dass ich
von Mitleid mit euch gerührt wurde: Ich komme, euch meine Dienste anzubieten,
und wenn ihr mir die Gnade erzeigt, sie anzunehmen, so verpflichte ich mich,
euch dieselbe Treue zu leisten, wie Ebn Thaher. Ich verspreche euch außerdem
mehr Standhaftigkeit: Ich bin bereit, meine Ehre und mein Leben für euch
aufzuopfern, und damit ihr an meiner Aufrichtigkeit nicht zweifelt, so schwöre
ich bei dem Allerheiligsten unserer Religion, euer Geheimnis unverletzlich zu
bewahren. Seid also überzeugt, Prinz, dass ihr in mir den Freund wieder findet,
den ihr verloren habt.“

Diese Rede beruhigte den Prinzen, und tröstete ihn über
die Entfernung Ebn Thahers. „Ich bin hoch erfreut,“ sagte er zu dem
Juwelier, „durch euch meinen Verlust wieder ersetzt zu sehen. Ich weiß
nicht genügsam euch meine Erkenntlichkeit auszurücken. Ach,“ fügte er
hinzu, indem er folgende Verse aussprach:

„Ach, wenn ich behaupten wollte, dass ich auch diese
Trennung mit Geduld ertrage, so würden doch meine Seufzer mich Lügen strafen.

Nunmehr weiß ich wahrlich nicht, ob meine Tränen, die
ohne Unterlass fließen, wegen der Trennung von meiner Geliebten, oder wegen der
Entfernung meines Freundes strömen.

Mein Auge ist stets in Tränen versunken, um die getrennte
Geliebte und um den entfernten Freund.“ –

„Ich bitte Gott, euren Edelmut zu belohnen, und nehme
willig euer freundliches Anerbieten an. Solltet ihr wohl glauben, dass
Schemselnihars Vertraute eben von euch zu mir gesprochen hat? Sie behauptet, ihr
seid es, der Ebn Thaher geraten hat, sich von Bagdad zu entfernen. Das waren
ihre letzten Worte beim Weggehen, und sie schien mir fest überzeugt davon. Aber
man tut euch Unrecht. Nach allem, was ihr mir gesagt habt, zweifle ich nicht,
dass sie sich täuscht.“

„Prinz,“ erwiderte ihm der Juwelier, „ich
habe die Ehre gehabt, euch einen treuen Bericht von der Unterredung zu geben,
welche ich mit Ebn Thaher gehabt habe. Es ist wahr, als er mir erklärte, dass
er sich nach Balsora zurückziehen wollte, so tadelte ich sein Vorhaben nicht,
sondern nannte ihn einen klugen und vorsichtigen Mann: Aber dies darf euch nicht
abhalten, mir euer Vertrauen zu schenken. Ich erbiete mich, euch mit allem nur
erdenklichen Eifer zu dienen. Und wenn ihr auch keinen Gebrauch davon macht, so
soll das mich doch nicht abhalten, euer Geheimnis so heilig zu bewahren, als ich
durch meinen Eid mich verpflichtet habe.“

„Ich habe euch schon gesagt,“ erwiderte der
Prinz, „dass ich den Worten der Vertrauten keinen Glauben beimesse. Ihr
Diensteifer hat ihr diesen unbegründeten Verdacht eingegeben. Ihr müsst sie
entschuldigen, wie ich sie entschuldige.“

Sie setzten ihre Unterhaltung noch eine Zeitlang fort, und
berieten sich über die geeignetsten Mittel, die Verbindung des Prinzen mit
Schemselnihar zu unterhalten. Sie vereinigten sich darin, dass man vor allen
Dingen die Vertraute enttäuschen müsste, die so ungerechterweise gegen den
Juwelier eingenommen war. Der Prinz übernahm es, sie beim ersten Wiedersehen
aus ihrem Irrtum zu ziehen, und sie zu bitten, sich an den Juwelier zu wenden,
wenn sie ihm Briefe zu bringen, oder sonst etwas von ihrer Gebieterin an ihn zu
bestellen hätte. Denn sie hielten für ratsam, dass dieselbe nicht so oft bei
dem Prinzen erscheine, weil sie dadurch Anlass zur Entdeckung dessen geben
könnte, was so wichtig war zu verbergen.

Endlich stand der Juwelier auf und nachdem er den Prinzen
von Persien abermals gebeten hatte, ihm sein ganzes Vertrauen zu schenken,
entfernte er sich …“

Die Sultanin Scheherasade hielt bei dieser Stelle inne,
weil der Tag anbrach. In der folgenden Nacht nahm sie den Faden ihrer Erzählung
wieder auf, und sagte zu dem Sultan von Indien: