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208. Nacht

„Nachdem Ebn Thaher eine Strecke mit der vertrauten
Sklavin gegangen war, verließ er sie, und kehrte nach seinem Haus zurück, wo
er in tiefe Gedanken versank über die geheime Liebesgeschichte, in welche er
sich unglücklicherweise verwickelt sah. Er bedachte, dass der Prinz von Persien
und Schemselnihar, so sehr ihnen daran gelegen sein musste, ihr Einverständnis
zu verbergen, sich jedoch mit so weniger Mäßigung betrugen, dass es wohl nicht
lange geheim bleiben konnte. Er zog daraus alle Folgen, welche ein Mann von
gesundem Verstand daraus ziehen musste.

„Wenn Schemselnihar,“ sagte er bei sich selber,
„eine Frau von gemeinem Stande wäre, so würde ich gern alles Mögliche
dazu beitragen, sie mit ihrem Geliebten glücklich zu machen: Aber sie ist die
Favoritin des Kalifen, und niemand darf ungestraft sich unterfangen, der zu
gefallen, die er liebt. Sein Zorn wird sogleich auf Schemselnihar fallen. Es
wird dem Prinzen von Persien das Leben kosten, und ich werde mit in sein
Unglück verschlungen. Gleichwohl habe ich für die Erhaltung meiner Ehre,
meiner Familie und meiner Habe zu sorgen. Ich muss also, weil ich es noch kann,
mich von einer so großen Gefahr befreien.“

Er war den ganzen Tag hindurch mit diesen Gedanken
beschäftigt. Am folgenden Morgen ging er zu dem Prinzen von Persien, in der
Absicht, noch einen letzten Versuch zu wagen, um ihn zur Besiegung seiner
Leidenschaft zu bewegen. Er stellte ihm nochmals vor, was er ihm schon oft
vergeblich vorgestellt hatte, dass er viel besser tun würde, alle seine Kraft
anzuwenden, die Neigung für Schemselnihar zu unterdrücken, als sich von ihr
hinreißen zu lassen, dass diese Neigung um so gefährlicher, je mächtiger sein
Nebenbuhler wäre. „Kurz, Herr,“ fügte er hinzu, „wenn ihr mir
folgen wollt, so seid nur darauf bedacht, eure Liebe zu besiegen. Sonst lauft
ihr Gefahr, euch zu verderben, mit samt Schemselnihar, deren Leben euch doch
teurer sein muss, als das eurige. Ich gebe euch diesen Rat als Freund, und ihr
werdet mir eines Tages dafür danken.“

Der Prinz hörte Ebn Thaher ziemlich ungeduldig an.
Dennoch ließ er ihn ausreden, dann aber nahm er das Wort, und erwiderte:
„Ebn Thaher, glaubt ihr wirklich, dass ich aufhören könnte, Schemselnihar
zu lieben, die mich mit solcher Zärtlichkeit liebt? Sie fürchtet nicht, ihr
Leben für mich in Gefahr zu setzen und ihr verlangt, dass die Sorge für das
meinige mich beschäftigen soll. Nein, welches Unglück mir auch begegnen mag,
ich will sie lieben bis zum letzten Atemzug.“

Ebn Thaher, beleidigt durch die Hartnäckigkeit des
Prinzen, verließ ihn ziemlich ungestüm, und begab sich nach Hause, wo er die
gestrigen Betrachtungen wieder vornahm, und ernsthaft überlegte, welchen
Entschluss er fassen sollte.

Indem kam ein Juwelier, einer von seinen vertrautesten
Freunden, ihn zu besuchen. Dieser Juwelier hatte wahrgenommen, dass
Schemselnihars Vertraute öfter zu Ebn Thaher kam, als gewöhnlich, und dass Ebn
Thaher fast beständig bei dem Prinzen von Persien war, dessen Krankheit aller
Welt bekannt war, obwohl niemand ihre Ursache wusste: Alles dieses hatte
Verdacht bei ihm erregt. Da er nun Ebn Thaher so in Gedanken vertieft fand,
erkannte er wohl, dass irgend eine wichtige Angelegenheit ihm zu schaffen
machte, und seiner Sache ziemlich gewiss, fragte er ihn, was die vertraute
Sklavin Schemselnihars bei ihm wollte. Ebn Thaher, etwas betroffen über diese
Frage, wollte ausweichen, und sagte ihm, es wäre eine geringfügige Sache,
weshalb sie so oft zu ihm käme. „Ihr redet nicht aufrichtig mit mir,“
versetzte der Juwelier, „und ihr überzeugt mich eben durch eure
Verstellung, dass diese Geringfügigkeit viel wichtiger ist, als ich anfangs
glaubte.“

Als Ebn Thaher sah, dass sein Freund so sehr in ihn drang,
gestand er ihm: „Es ist wahr, dass diese Sache von der höchsten
Wichtigkeit ist. Ich hatte beschlossen, sie geheim zu halten. Da ich aber weiß,
welchen Anteil ihr an allem nehmt, was mich betrifft, so will ich sie euch
lieber anvertrauen, als euch etwas davon denken lassen, das nicht wahr ist. Ich
empfehle euch nicht erst Verschwiegenheit. Ihr werdet aus der Sache schon
erkennen, wie wichtig es ist, sie geheim zu halten.“

Nach diesem Eingang erzählte er ihm die Liebesgeschichte
Schemselnihars und des Prinzen von Persien. „Ihr wisst,“ fügte er
hinzu, „in welchem Ansehen ich am Hofe und in der Stadt bei den größten
Herren und den vornehmsten Frauen stehe. Welche Schande nun für mich, wenn
diese verwegene Liebesgeschichte entdeckt würde? Aber was sage ich? Wären wir
nicht verloren, ich samt allen den Meinigen? Das ist es, was mich so
nachdenklich macht: Aber ich habe schon meinen Entschluss gefasst. – Man ist mir
schuldig, und ich bin schuldig: Ich gehe unverzüglich hin, meine Gläubiger zu
befriedigen und meine Forderungen einzuziehen, und sobald ich all meine Habe in
Sicherheit gebracht habe, werde ich mich nach Balsora1) zurückziehen, und so
lange dort bleiben, bis der Sturm, welchen in voraussehe, vorüber ist. Meine
Freundschaft für Schemselnihar und den Prinzen von Persien lässt mich herzlich
bedauern, was ihnen übles begegnen kann. Ich bitte Gott, dass er sie die Gefahr
einsehen lasse, der sie sich aussetzen, und sie in ihre Obhut nehme: Wenn aber
ihr böses Schicksal will, dass ihre Liebe zur Kenntnis des Kalifen gelangt, so
bin ich wenigstens vor seinem Zorn geborgen, denn ich halte sie nicht für so
boshaft, um mich in ihr Unglück zu verwickeln. Es wäre die größte
Undankbarkeit von ihnen, wenn das geschähe. Es wäre eine üble Vergeltung der
Dienste, die ich ihnen geleistet, und der guten Ratschläge, die ich ihnen
gegeben habe, besonders dem Prinzen von Persien. Dieser könnte sich, und
zugleich seine Geliebte, noch aus dem Abgrund retten, wenn er wollte. Er dürfte
nur Bagdad verlassen, so wie ich, und die Abwesenheit würde ihn unvermerkt
seine Leidenschaft vergessen lassen, welche dagegen nur zunehmen wird, so lange
er darauf beharrt, in dieser Stadt zu bleiben.

Der Juwelier hörte mit äußerstem Erstaunen den Bericht
Ebn Thahers an. „Was ihr mir da erzählt,“ sagte er darauf, „ist
von so hoher Wichtigkeit, dass ich nicht begreife, wie Schemselnihar und der
Prinz von Persien sich einer so heftigen Liebe hingeben konnten. Welche Neigung
sie auch zueinander hinziehen mochte, so hätten sie doch, anstatt ihr weichlich
nachzugeben, ihr widerstehen und einen bessern Gebrauch von ihrer Vernunft
machen müssen. Wie konnte sie sich über die verderblichen Folgen ihres
Einverständnisses täuschen? Wie beklagenswert ist ihre Verblendung! Ich sehe,
wie ihr, alle Folgen davon voraus. Aber ihr seid klug und vorsichtig, und ich
billige den Entschluss, den ihr gefasst habt. Dadurch könnt ihr allein euch den
traurigen Ereignissen entziehen, welche ihr zu fürchten habt.

Nach dieser Unterredung stand der Juwelier auf, und nahm
Abschied von Ebn Thaher …

„Herr,“ sagte Scheherasade bei dieser Stelle,
„der Tag, den ich anbrechen sehe, verhindert mich, Euer Majestät jetzt
länger zu unterhalten.“ Damit schwieg sie, und in der nächsten Nacht nahm
sie ihre Erzählung folgendermaßen wieder auf:


1)
Balsora oder Bassora, große Stadt unweit des Ausflusses des vereinten Tigris
und Euphrats in den persischen Meerbusen.