Project Description

200. Nacht

„Nachdem Schemselnihar den Prinzen von Persien und
Ebn Thaher beruhigt hatte, trug sie ihrer vertrauten Sklavin auf, hinzugehen,
und Mesrur und die beiden anderen Hofbedienten des Kalifen so lange zu
unterhalten, bis sie selber sich in den Stand gesetzt hätte sie zu empfangen,
und ihr sagen ließe, sie herein zu führen.“

Sogleich befahl sie, alle Fenster des Saales zu
schließen, und die gemalten Vorhänge auf der Gartenseite niederzulassen. Und
nachdem sie den Prinzen und Ebn Thaher versichert hatte, dass sie ohne Furcht
dort bleiben könnten, ging sie aus der Türe, die nach dem Garten führte, und
schloss sie hinter sich zu. Aber wie sehr sie ihnen auch ihre Sicherheit
verbürgte, so empfanden beide gleichwohl die lebhafteste Unruhe, während der
ganzen Zeit, dass sie allein waren.

Sobald Schemselnihar mit ihrem Gefolge im Garten war,
ließ sie die Stühle, auf welchen die Frauen nahe am Fenster vor dem Prinzen
von Persien und Ebn Thaher gesessen und gespielt hatten, wieder wegtragen; und
als sie alles angeordnet sah, wie sie verlangte, setzte sie sich auf ihren
silbernen Thron. Hierauf ließ sie der vertrauten Sklavin befehlen, das
Oberhaupt der Verschnittenen und die beiden Unterbeamten hereinzuführen.

Diese erschienen in Begleitung von zwanzig schwarzen
Verschnittenen, alle reich gekleidet, den Säbel an der Seite, mit einem vier
Finger breiten goldenen Gürtel. Sobald sie in der Ferne die Favoritin
erblickten, machten sie ihr eine tiefe Ehrenbezeigung, welche sie auf ihrem
Throne erwiderte. Als sie näher kamen, stand sie auf, und ging Mesrur, der an
der Spitze war, entgegen. Sie fragte ihn, was er Neues brächte. Er antwortete
ihr: „Gebieterin, der Beherrscher der Gläubigen, der mich zu euch sendet,
hat mir aufgetragen, euch zu bezeugen, dass er nicht länger ohne euren Anblick
leben kann. Er hat die Absicht, euch diese Nacht zu besuchen. Ich komme, euch
davon zu benachrichtigen, damit ihr euch auf seinen Empfang vorbereitet. Er
hofft, Herrin, dass ihr ihn mit ebenso viel Vergnügen seht, als er voll
Ungeduld ist, bei euch zu sein.“

Auf diese Anrede Mesrurs warf Schemselnihar sich zur Erde,
um ihre Ergebung in den Befehl des Kalifen zu bezeigen. Als sie wieder
aufgestanden war, sagte sie zu ihm: „Ich bitte euch, dem Beherrscher der
Gläubigen zu sagen, dass ich mir immer eine Ehre daraus machen werde, die
Befehle Seiner Majestät zu vollziehen, und dass seine Sklavin sich bestreben
wird, ihn mit aller ihm gebührenden Ehrfurcht zu empfangen.“

Zu gleicher Zeit befahl sie ihrer vertrauten Sklavin, den
Palast durch die zu solchem Dienste bestellten schwarzen Sklavinnen zum Empfang
des Kalifen in den Stand setzen zu lassen. Hierauf entließ sie das Oberhaupt
der Verschnittenen mit folgenden Worten: „Ihr seht, dass einige Zeit
erfordert wird, um alles vorzubereiten. Macht also, ich bitte euch recht sehr,
dass er sich ein wenig gedulde, damit er bei seiner Ankunft uns nicht in der
Unordnung finde.“

Als das Oberhaupt der Verschnittenen und sein Gefolge sich
entfernt hatten, kehrte Schemselnihar in den Saal zurück, äußerst betrübt,
dass sie sich genötigt sah, den Prinzen von Persien früher zu entlassen, als
sie erwartet hatte. Sie nahte sich ihm wieder, mit Tränen in den Augen, was
noch den Schreck Ebn Thahers vermehrte, der daraus eine üble Vorbedeutung zog.

„Herrin,“ sagte der Prinz zu ihr, „ich sehe
wohl, ihr kommt, mir anzukündigen, dass wir uns trennen müssen. Wenn ich nur
nichts Schlimmeres zu befürchten habe, so hoffe ich, dass der Himmel mir die
Geduld verleihen wird, deren ich bedarf, um eure Abwesenheit zu ertragen.“

„Ach, mein liebes Herz, meine liebe Seele,“
unterbrach ihn die überzärtliche Schemselnihar, „wie glücklich seid ihr,
und wie unglücklich fühle ich mich, wenn ich euer Los mit meinem traurigen
Schicksal vergleiche! Ihr werdet ohne Zweifel leiden, wenn ihr mich nicht seht,
aber das wird all eure Pein sein, und ihr könnt euch mit der Hoffnung trösten,
mich wieder zu sehen. Ich dagegen, gerechter Himmel, auf welche harte Probe werde
ich gestellt! Ich werde nicht nur des Anblicks dessen, das ich einzig liebe,
beraubt, sondern muss auch noch den eines Gegenstandes ertragen, den ihr mir
verhasst gemacht habt! Wird die Ankunft des Kalifen mir nicht eure Entfernung
ins Gedächtnis zurückrufen? Und wie könnte ich, mit eurem Bild beschäftigt,
diesem Fürsten die Freude zeigen, welche er bisher in meinen Augen bemerkte, so
oft er mich zu besuchen kam? Mein Geist wird zerstreut sein, indem ich mit ihm
spreche, und die geringsten Gefälligkeiten, die ich seiner Liebe gewähre,
werden ebenso viel Dolchstiche sein, die mir das Herz durchbohren. Wie können
seine Schmeicheleien und Liebkosungen mir noch gefallen? Seht, Prinz, welchen
Qualen ich ausgesetzt bin, sobald ich euch nicht mehr sehe!“ Die Tränen,
welche ihr hierauf entflossen, und die Seufzer verhinderten sie, noch mehr zu
sagen. Der Prinz von Persien wollte ihr antworten, aber er hatte nicht die Kraft
dazu: Sein eigener Schmerz, und der, welchen seine Geliebte ihm sehen ließ,
hatten ihm die Sprache benommen.

Ebn Thaher, der nur darauf bedacht war, aus dem Palast zu
kommen, war genötigt, beide zu trösten, indem er sie zur Geduld ermahnte. Aber
die vertraute Sklavin trat herein, und unterbrach ihn: „Gebieterin,“
sagte sie zu Schemselnihar, „es ist keine Zeit zu verlieren: Die
Verschnittenen kommen schon an, und ihr wisst, der Kalif erscheint bald
danach.“

„O Himmel, wie grausam ist diese Trennung!“,
rief die Favoritin aus. „Eile,“ sagte sie dann zu ihrer Vertrauten,
„und führe diese beiden in die Galerie, die auf der einen Seite nach dem
Garten, und auf der anderen nach dem Tigris sieht, und wenn die Nacht ihre
tiefste Dunkelheit über die Erde verbreitet, so entlasse sie aus der
Hintertüre, damit sie sicher heimkommen.“

Mit diesen Worten umarmte sie zärtlich den Prinzen und
Persien, ohne ihm ein einziges Wort sagen zu können, und ging dem Kalifen
entgegen, in einer Verwirrung, die man sich leicht denken kann.

Unterdessen führte die vertraute Sklavin den Prinzen und
Ebn Thaher in die Galerie, die Schemselnihar ihr bezeichnet hatte. Hier ließ
sie beide allein, schloss die Türe hinter ihnen zu, und entfernte sich, nachdem
sie sie nochmals versichert hatte, dass sie nichts zu fürchten hätten, und
dass sie kommen und sie herauslassen würde, wenn es Zeit wäre …“

„Aber, Herr,“ sagte Scheherasade bei dieser
Stelle, „der Tag, den ich anbrechen sehe, legt mir Stillschweigen
auf.“ Damit schwieg sie, und in der folgenden Nacht nahm sie ihre
Erzählung wieder auf und fuhr fort: