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199. Nacht

„Schemselnihar war erfreut, Ebn Thaher zu sehen, und
bezeugte ihm ihre Freude in folgenden verbindlichen Worten: „Ebn Thaher,
ich weiß nicht, wie ich euch für die unendlichen Verpflichtungen, welche ich
gegen euch habe, meine Erkenntlichkeit bezeigen soll. Ohne euch hätte ich den
Prinzen von Persien nie kennen gelernt und das Liebenswürdigste, dass es auf
der Welt gibt, nie geliebt. Seid indessen überzeugt, dass ich nicht undankbar
sterben werde, sondern dass meine Erkenntlichkeit womöglich dem Dienst
entsprechen soll, den ich euch verdanke.“

Ebn Thaher antwortete auf diese höfliche Anrede nur durch
eine tiefe Verbeugung, und wünschte Schemselnihar die Erfüllung aller ihrer
Wünsche.

Schemselnihar wandte sich nun zu dem Prinzen von Persien,
der neben ihr saß, und indem sie ihn mit einer Art von Verwirrung über das
zwischen ihnen Vorgefallene anblickte, sprach sie zu ihm: „Mein Teurer, ich
bin versichert, dass ihr mich liebt, und mit welcher Glut ihr mich auch liebt,
ihr könnt nicht zweifeln, dass meine Liebe ebenso heftig sei, als die eure.
Aber verhehlen wir es uns nicht: wie sehr auch eure Gefühle mit den meinen
übereinstimmen, so sehe ich doch auch für euch, wie für mich, nichts als
Sorgen, Sehnsucht und tödliches Weh. Es gibt kein anderes Mittel gegen unsere
Leiden, als uns immerdar zu lieben, uns in den Willen des Himmels zu ergeben,
und zu erwarten, was er über uns verhängt.“

„Herrin,“ antwortete ihr der Prinz von Persien,
„ihr würdet mir das größte Unrecht von der Welt tun, wenn ihr nur einen
Augenblick an der Dauer meiner Liebe zweifeltet: Sie ist mit meiner Seele
dergestalt vereinigt, dass sie den besseren Teil derselben ausmacht, und dass
ich sie selbst nach meinem Tod noch bewahren werde. Leiden, Qualen, Martern,
nichts vermag mich zu hindern, euch zu lieben.“ Indem er diese Worte
aussprach, flossen seine Augen von Tränen über, und Schemselnihar konnte die
ihre eigenen nicht zurückhalten.

Ebn Thaher nahm diese Zeit wahr, zu reden:
„Herrin,“ sagte er zu ihr, „erlaubt mir, euch zu erinnern, dass
ihr, anstatt in Tränen zu zerfließen, lieber euch freuen solltet, euch so
vereint zu sehen. Ich begreife nicht euren Schmerz. Wie wird es erst sein, wenn
die Notwendigkeit euch zwingt, euch zu trennen? Wir sind schon lange hier, und
ihr wisst, Herrin, dass es Zeit ist, uns zurückzuziehen.“

„Ach, wie grausam ihr seid!“, erwiderte
Schemselnihar. „Ihr, der die Ursache meiner Tränen kennt, solltet ihr
nicht Mitleid mit dem unglücklichen Zustand haben, worin ihr mich seht?
Traurige Notwendigkeit! Was habe ich denn verbrochen, dass ein grausames
Verhängnis mir verbietet, mich dessen zu erfreuen, dass ich einzig liebe?“

Da sie überzeugt war, dass Ebn Thaher nur aus
Freundschaft zu ihr gesprochen, so nahm sie ihm nicht übel, was er zu ihr
gesagt hatte, vielmehr benutzte sie es. In der Tat gab sie der vertrauten
Sklavin einen Wink, und diese ging sogleich hinaus, und brachte bald darauf
einen kleinen silbernen, mit Früchten besetzten Tisch, welchen sie zwischen
ihre Gebieterin und den Prinzen von Persien hinstellte. Schemselnihar wählte
das beste darunter aus, reichte es dem Prinzen, und bat ihn, ihr zu Liebe davon
zu essen. Er nahm es, und brachte die Stelle an seinen Mund, welche sie berührt
hatte. Er reichte seinerseits einige Früchte an Schemselnihar, die sie auch
nahm und auf dieselbe Weise aß. Sie vergaß auch nicht, Ebn Thaher einzuladen,
mit ihnen zu essen. Dieser aber, der sich an einem Ort sah, wo er sich nicht in
Sicherheit glaubte, wäre lieber zu Hause gewesen, und aß nur aus Gefälligkeit
mit. Nachdem abgetragen war, brachte man ein silbernes Becken mit Wasser in
einem goldenen Gefäße, und sie wuschen sich sämtlich die Hände. Hierauf
nahmen sie ihre Plätze wieder ein, und drei von den zehn Frauen brachten jede
eine Schale aus Bergkristall voll köstlichen Weines, auf einer goldenen
Unterschale, und setzten sie vor Schemselnihar, dem Prinzen von Persien und Ebn
Thaher hin.

Um mehr allein zu sein, behielt Schemselnihar nur die zehn
schwarzen Frauen, die singen und spielen konnten, bei sich, und nachdem sie alle
übrigen weggeschickt hatte, nahm sie eine der Trinkschalen, und dieselbe in der
Hand haltend, sang sie folgende zärtliche Worte, welche eine der Frauen mit
ihrer Laute begleitete:

„Mein Leben gebe ich Preis für denjenigen, der
meinen Gruß so freundlich erwiderte. Er hat meine Lust zur Liebe wieder
erneuert, nachdem ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte.
So oft er erscheint, so verrät bei mir die Sehnsucht meine Geheimnisse, und
offenbart dem, der mich darum beneidet, was in meinem Innersten vorgeht.
Er weint vor Neid, ich vor Liebesfreude. Jeder, der es sieht, sollte glauben,
wir weinen beide vor Liebe zu ihm.“

Als sie diese gesungen hatte, trank sie. Hierauf nahm sie
eine der beiden anderen Schalen, reichte sie dem Prinzen, und bat ihn, ihr zu
Liebe zu trinken. Er nahm sie mit freudigem Entzücken der Liebe, aber bevor er
trank, sang er auch folgendes Lied, welches eine andere der Frauen mit ihrem
Saitenspiel begleitete:

„Es fließen meine Tränen, sie glichen meinem Wein
und vermischen sich mit ihm: Wer hat je, wie ich, das Auge zum Becher gehabt?
Und wahrlich, ich weiß nicht, ob Wein aus meinen Augen quillt, oder ob ich von
meinen Tränen trinke.“

Und indem er so sang, flossen seine Augen von Tränen
über.

Schemselnihar reichte endlich die dritte Schale an Ebn
Bekar, der ihr für ihre Güte und die ihm erwiesene Ehre höflich dankte, und
eine andere Sklavin nahm die Laute, und sang für ihn folgende Verse:

„Die Tränen verdrängen einander auf seinen Wangen,
wegen des Liebesbrandes, der in seiner Brust wütet.
Er weint in der Geliebten Nähe, aus Furcht vor ihrer Entfernung. Ferne und
Nähe strömen die Tränen gleich stark.“

Hierauf nahm Schemselnihar einer ihrer Frauen die Laute
aus der Hand, und begleitete sie mit ihrer Stimme auf eine so leidenschaftliche
Weise, dass sie ganz außer sich schien; und der Prinz von Persien, mit fest auf
sie gehefteten Augen, saß unbeweglich, als wenn er verzaubert wäre.

Mittlerweile trat die vertraute Sklavin ganz verstört
herein, und sagte zu ihrer Herrin: „Gnädige Frau, Mesrur und zwei andere
Hofbedienten, in Begleitung mehrerer Verschnittenen, sind an der Türe, und
verlangen im Namen des Kalifen mit euch zu sprechen.“ Als der Prinz von
Persien und Ebn Thaher diese Worte vernahmen, veränderte sie die Farbe, und
fingen an zu zittern, als wenn ihr Untergang schon gewiss wäre. Aber
Schemselnihar, die es bemerkte, beruhigte sie durch einen Seufzer …“

Das anbrechende Tageslicht nötigte Scheherasade, hier
ihre Erzählung zu unterbrechen. Sie nahm sie in der folgenden Nacht wieder auf.