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196. Nacht

„Herr, der Prinz von Persien, sterblich verliebt in
die schöne Frau, begleitete sie mit den Augen, so lange er sie sehen konnte,
und als sie schon längst seinen Blicken entschwunden war, hielt er dennoch die
Augen auf den Weg gerichtet, welchen sie genommen hatte.

Ebn Thaher machte ihm bemerkbar, dass einige Leute ihn
beobachten und anfingen über seine Stellung zu lachen. „Ach,“ sagte
der Prinz zu ihm, „die Leute und ihr würdet Mitleid mit mir haben, wenn
ihr wüsstet, dass die schöne Frau, die eben von euch gegangen ist, den
besseren Teil meiner selbst und sich hinweg führt, und dass der übrige Teil
nicht davon getrennt zu bleiben strebt! Sagt mir, ich beschwöre euch
darum,“ fügte er hinzu, „wer ist diese Frau, welche die Leute zur
Liebe zwingt, ohne ihnen Zeit zur Besinnung zu lassen.“

„Herr,“ antwortete ihm Ebn Thaher, „es ist
die berühmte Schemselnihar1),
die erste Favoritin des Kalifen, unsres Herrn.

Mit Recht führt die diesen Namen,“ unterbrach ihn der Prinz, „denn
sie ist schöner, als die Sonne an einem wolkenlosen Tag.“

„Das ist wahr,“ erwiderte Ebn Thaher. „Auch
liebt sie der Beherrscher der Gläubigen sehr, oder vielmehr, er betet sie an.
Er hat mir ausdrücklich befohlen, ihr alles zu liefern, was sie von mir
fordert, und selbst, so viel es mir immer möglich ist, allen ihren Wünschen
zuvorzukommen.“

Er sprach also zu ihm, um ihn abzuhalten, sich in eine
Liebe zu verstricken, welche nur unglücklich sein konnte: Aber dies diente nur
dazu, ihn noch mehr zu entflammen. „Es ahnte mir wohl, reizende
Schemselnihar,“ rief er aus, „dass es mir nicht erlaubt sein würde,
meine Gedanken bis zu euch zu erheben, dennoch fühle ich, obwohl ohne Hoffnung,
von euch geliebt zu werden, dass es nicht in meiner Gewalt steht, aufzuhören
euch zu lieben. Ich werde euch also ewig lieben, und mein Geschick segnen, der
Sklave des schönstens Wesens zu sein, das die Sonne bescheint.“

Während der Prinz von Persien also sein Herz der schönen
Schemselnihar weihte, sann diese, indem sie heimkehrte, auf Mittel und Wege, den
Prinzen zu sehen und sich ohne Zwang mit ihm zu unterhalten.

Sie war kaum wieder in ihrem Palast angekommen, als sie zu
Ebn Thaher diejenige von ihren Frauen schickte, die sie ihm gezeigt und in die
sie ihr ganzes Vertrauen gesetzt hatte, um ihm zu sagen, dass er ohne Aufschub
mit dem Prinzen von Persien zu ihr kommen möchte.

Die Sklavin kam in Ebn Thahers Laden, in dem Augenblick,
als derselbe noch mit dem Prinzen von Persien sprach und sich bemühte, durch
die stärksten Gründe ihm die Liebe zu der Favoritin des Kalifen auszureden.
Als sie beide beisammen sah, sagte sie zu ihnen: „Ihr Herren, meine
verehrte Herrin Schemselnihar, die erste Favoritin des Beherrschers der
Gläubigen, bittet euch in ihren Palast zu kommen, wo sie euch erwartet.“

Ebn Thaher, um seinen schleunigen Gehorsam zu bezeigen,
stand sogleich auf, und ohne der Sklavin etwas zu antworten, folgte er ihr,
nicht ohne einiges Widerstreben. Der Prinz dagegen folgte ihr, ohne an die
Gefahr zu denken, welche mit diesem Besuch verbunden war. Die Gegenwart Ebn
Thahers, der freien Zutritt bei der Favoritin hatte, überhob ihn aller Unruhe.
Beide folgten also der Sklavin, die etwas voraus ging, in den Palast des
Kalifen, und gelangten mit ihr an die Tür des kleinen Palastes der
Schemselnihar, welcher schon geöffnet war. Sie führte beide in einen großen
Saal, und bat sie, sich zu setzen.

Der Prinz glaubte sich in einen jener wonnevollen Paläste
versetzt, welche man uns in jener Welt verheißt. Er hatte noch nichts gesehen,
was mit der Pracht des Orts zu vergleichen war, wo er sich jetzt befand. Die
Fußteppiche, die Lehnkissen und der übrige Zubehör des Sofas, das
Zimmergerät, die Zierraten der Baukunst, waren von einer Schönheit und einem
Reichtum, die in Erstaunen setzten.

Bald nachdem er sich mit Ebn Thaher gesetzt hatte, brachte
ihnen eine sehr saubere schwarze Sklavin einen mit den erlesensten Speisen
besetzten Tisch, deren köstlicher Geruch die Feinheit ihrer Zurichtung
ankündigte.

Während sie aßen, verließ die Sklavin, welche sie
hergeführt hatte, sie nicht. Sie war sehr bemüht, ihnen die Gerichte zu
empfehlen, welche sie als die besten kannte. Andere Sklavinnen schenkten ihnen
gegen das Ende der Mahlzeit trefflichen Wein ein. Als sie fertig waren, reichte
man jedem besonders ein Becken mit einem goldnen Gefäße voll Wasser, um sich
die Hände zu waschen, und hierauf brachte man ihnen ein goldenes Rauchfass, mit
brennendem Aloeholz, womit sie sich den Bart und die Kleider durchräucherten.
Auch wohlriechendes Wasser wurde nicht vergessen. Es war in einem goldenen, mit
Diamanten und Rubinen besetzten, eigens dafür bestimmten Gefäße, und wurde
ihnen in beide Hände gesprengt, womit sie sich, der Gewohnheit gemäß, den
Bart und das Gesicht benetzten.

Sie nahmen nun ihren Platz wieder ein, aber kaum hatten
sie sich gesetzt, so bat die Sklavin sie, aufzustehen und ihr zu folgen. Sie
öffnete ihnen eine Türe des Saales, in dem sie waren, und sie traten in einen
größeren Saal von bewunderungswürdiger Bauart: Er hatte eine Kuppel von
zierlicher Gestalt, getragen von hundert Säulen aus schönem alabasterweißem
Marmor. Die Knäufe und Füße dieser Säulen waren mit vergoldetem Bildwerk von
vierfüßigen Tieren und Vögeln mannigfaltiger Art geziert. Der Fußteppich
dieses außerordentlichen Saales bestand aus einem einzigen Stück Goldstoff,
gestickt mit Rosensträußen von roter und weißer Seide, und gewährte, mit der
ebenso mit Arabesken bemalten Kuppel, einen reizenden Anblick. Zwischen jedem
Säulenpaar stand ein auf dieselbe Art verzierter kleiner Sofa, nebst großen
Gefäßen aus Porzellan, Jaspis, Gagat, Porphyr, Achat, und anderen kostbaren
Gesteinen, geschmückt mit Gold und Juwelen. Die Zwischenräume der Säulen
waren ebenso viele große Fenster mit vorspringendem, gleich den Sofas
verzierten Geländer, und gaben die Aussicht auf den reizendsten Garten von der
Welt. Seine Gänge bildeten durch kleine Steine von verschiedenen Farben den
Fußteppich des Saales nach, so dass, wenn man nach innen und außen blickte, es
schien, als wenn der Saal und der Garten mit allen seinen Reizen auf einem und
demselben Teppich ständen. Der Blick war ringsum, längs der Gänge hin, durch
zwei Kanäle mit kristallhellem Wasser begrenzt, die im gleichen Kreis mit dem
runden Saal liefen, und von welchen der eine etwas höhere wie eine
ausgebreitete Silberdecke in den unteren herab fiel. Schöne Vasen von
vergoldetem Erz, worin Gesträuche und Blumen standen, waren in gewissen
Entfernungen ausgestellt. Diese Grenze durchschnitten große, mit schlanken und
laubigen Bäumen besetzte Räume, wo tausend Vögel ein klangvolles Konzert
anstimmten, und das Auge durch Hin- und Herfliegen ergötzten, so wie durch ihre
bald unschuldigen, bald blutigen Kämpfe, welche sie sich in der Luft lieferten.

Der Prinz und Ebn Thaher verweilten lange bei der
Betrachtung dieser großen Pracht. Bei jedem Gegenstand, der ihnen auffiel,
brachen sie in lautes Erstaunen und Bewunderung aus, besonders der Prinz von
Persien, der niemals etwas anderes gesehen hatte, das mit dem zu vergleichen
war, was er jetzt sah. Und Ebn Thaher, obwohl er schon einige Mal diesen
prächtigen Ort betreten hatte, entdeckte darin noch Schönheiten, welche ihm
ganz neu erschienen. Kurz, beide wurden nicht müde, so viel seltene, zu
bewundern, und sie waren noch angenehm damit beschäftigt, als sie eine
Gesellschaft reich gekleideter Frauen erblickten. Sie saßen alle draußen, in
einiger Entfernung von dem Saal, jede auf einem Stuhl aus indischem, mit
Silberdraht ausgezierten Platanenholz, mit einem Musikinstrument in der Hand,
und sie erwarteten nur den Befehl, um darauf zu spielen.

Sie stellten sich beide an das Geländer, wo man das
Gesicht dieser Sklavinnen sehen konnte, und indem sie von hier zur Rechten
schauten, sahen sie einen großen Hof, aus welchem Stufen in den Garten
herausführten, und der von sehr schönen Gemächern umgeben war.

Die Sklavin hatte sie verlassen, und als sie so allein
waren, unterhielten sie sich eine Zeit lang. „Ihr, als ein kluger
Mann,“ sagte der Prinz von Persien, „betrachtet ohne Zweifle auch mit
großer Zufriedenheit diese Zeichen von Größe und Macht. Ich, für meinen
Teil, glaube, dass es nichts Erstaunlicheres auf der Welt gibt, aber wenn ich
daran denke, dass dieses die glänzende Wohnung der nur zu liebenswürdigen
Schemselnihar, und dass es der erste Monarch der Erde ist, der sie hier gefangen
hält, so gestehe ich euch, dass ich mich als den Unglücklichsten aller
Menschen fühle. Mich dünkt, dass es keine grausamere Bestimmung gibt, als die
meinige, einen Gegenstand zu lieben, der in der Gewalt meines Nebenbuhlers ist,
und zwar an einem Ort, wo dieser Nebenbuhler so mächtig ist, dass ich diesen
Augenblick selbst meines Lebens nicht sicher bin.“

Scheherasade erzählte diese Nacht nicht weiter, weil sie
den Tag anbrechen sah. In der folgenden Nacht nahm sie den Faden wieder auf, und
sagte zu dem Sultan von Indien:


1)
Schemselnihar bedeutet im arabischen: Sonne des Tages.