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194. Nacht

Den folgenden Tag kam sie wieder. Sie hatte das
zierlichste Gewand an, war mit den kostbarsten Juwelen geschmückt, ihre Hände
mit Henna gefärbt, und ihre Haarflechten rollten auf ihre Schultern herab. In
ihrem Gang schwebte sie voll Adel und Leichtigkeit dahin, ihre Sklavinnen
folgten ihr, bis sie sich endlich in den Laden dieses Kaufmanns hinsetzte, unter
dem Vorwand, nach allerlei Waren zu fragen. Nachdem sie ihn gegrüßt hatte,
knüpfte sie das Gespräch mit ihm an. „Seht doch einmal,“ sagte sie
zu ihm, „meinen schönen Wuchs an, und wie gerade gewaschen ich bin. Ist es
wohl erlaubt, sich über mich aufzuhalten und zu sagen, ich sei bucklig?“
Zugleich enthüllte sie einen Teil ihrer Brust. Bei dem Anblick dieses blendend
weißen Busens wurden dem Kaufmann alle Sinne betäubt, er verlor alle Fassung
und rief: „Gott, verhülle dich mit einem Schleier!“ – „Kann man
sich wohl erlauben,“ erwiderte sie, „zu sagen, dass ich eine gemeine
Figur habe?“ Zugleich zeigte sie ihm ihren entblößten Vorderarm, den man
für Kristall gehalten haben würde. Sie entschleierte ihr Gesicht, welches dem
Vollmond glich, wenn er seiner vierzehnten Nacht entgegengeht, und sagte darauf
zu ihm: „Wer kann wagen zu behaupten, dass mein Gesicht durch Blattern
entstellt sei, und dass ich bloß auf einem Auge sehe?“ Der Kaufmann
gestand, dass sie Recht habe. „Aber, edles Fräulein, welcher Grund hat
euch denn bewogen, mir die Teile eures Körpers enthüllt zu zeigen, die sonst
gewöhnlich durch einen Schleier verhüllt sind?“ – „Ihr werdet
wissen, Herr,“ erwiderte sie, „dass ich die unglückliche Tochter
eines Vaters bin, welcher der ärgste Tyrann und der verächtlichste Geizhals
ist, der die geringste Ausgabe scheut, und keine Aufopferung machen will, um
mich zu versorgen, ungeachtet der Wohltaten, womit der Höchste ihn gesegnet
hat. Er ist zugleich einer der mächtigsten Männer dieser Zeit, und mit allen
Vorzügen und Glücksgütern dieser Welt reichlich ausgestattet.“ –
„Wer ist denn dein Vater, und welcher ist denn sein Stand?“ –
„Mein Vater ist Großkadi bei dem Gerichtshof, zu welchem alle Beamten in
der Stadt gehören.“ Mit diesen Worten verließ sie ihn und ging hinweg.
Der trostlose Kaufmann, der von Liebe und Staunen hingerissen war, wusste nicht,
ob er lebendig oder tot sei. Augenblicklich verschloss er seinen Laden, und
eilte nach dem Gerichtshof, zu dem von ihr bezeichneten Staatsbeamten. Er tritt
ein, begrüßt ihn, setzt sich nieder und sagt zu ihm: „Ich komme mit einem
Gesuch zu euch. Ich bin nämlich leidenschaftlich für eure geliebte Tochter
eingenommen.“ – „Freund,“ erwiderte der Richter, „meine
Tochter passt nicht für euch. Sie ist weder einen so jungen Mann wert, noch
eurer liebenswürdigen Eigenschaften und eurer freundlichen Bewerbung
würdig.“ – „Diese Reden ziemen sich nicht wohl für euch. Eure
Tochter gefällt mir. Warum wollt ihr meiner Absicht entgegen sein?“

Sie wurden endlich eins, und setzten in dem Ehevertrag
fest, dass der zukünftige Ehemann fünf Beutel vor der Hochzeitsfeierlichkeit,
und fünfzehn Beutel nachher als Wittum, um einer etwaigen Ehescheidung
vorzubeugen, zahlen solle. Der Vater ließ es nicht an Vorstellungen bei ihm
fehlen, doch dieser achtete nicht darauf, und verlangte schon für die nächste
Nacht Zutritt bei ihr. Als sie nun wirklich in der folgenden Nacht
zusammenzukommen in Begriff waren, und der künftige Ehemann sein Abendgebet
verrichtet hatte, trat er in das Zimmer, welches für ihn bereitet war. Er zog
den Schleier von dem Gesicht seiner Verlobten, betrachtete sie aufmerksam, und
erblickte … ein Ungeheuer an Missgestalt. Man fand in diesem Mädchen alles
vereinigt, was zur vollständigsten Hässlichkeit gehört. Er brachte also die
Nacht mit ihr so zu, als ob er sich in den Gefängnissen des Deylem befunden
hätte. Er sehnte sich bloß nach dem Anbruch des Morgens, um sie zu verlassen,
und in ein Bad gehen zu können.

Er schlummerte da eine Weile, verrichtete seine
Abwaschungen, begab sich dann in seinen Laden, öffnete ihn und trank seinen
Kaffee. Die Leute vom Hafen, die Kaufleute und die angesehensten Privatpersonen
fingen an, sich bei ihm einzufinden, einige einzeln, andere in zahlreicher
Gesellschaft beisammen. Sie scherzten mit ihm und sagten: „Du hast uns also
nicht für würdig geachtet, und eine Schale Kaffee bei dir einnehmen zu lassen?
Die Reize deiner jungen Gattin haben dir vermutlich den ganzen Kopf und Verstand
eingenommen. Der Höchste mache euch recht glücklich!“

Als der Tag schon etwas weiter vorgerückt war, kam auch
die Urheberin dieses Scherzes gegangen. Sie neigte sich und schwebte sanft
daher, wie ein junger Zweig in einem Garten. Sie war noch zierlicher gekleidet
und noch wollüstiger geschmückt, als den vorigen Tag, und zwar so, dass die
Vorübergehenden sich in zwei Reihen stellten, um sie zu sehen. Sie setzte sich
in den Laden, und wünschte ihm einen guten Tag, mit den Worten: „Möge
dieser Tag für dich glücklich sein, mein lieber Ola ed dyn! Gott beschütze
dich, er mache dich fröhlich und über alle Maßen zufrieden!“ Auf dem
Gesicht des Kaufmanns spiegelte sich seine Traurigkeit ab, er runzelte die
Stirn, ehe er antwortete, und sagte dann zu ihr: „Erkläre mir, was ich dir
getan habe, dass du so gegen mich gehandelt hast?“ – „Du hast mir
nichts getan,“ erwiderte sie, „aber jene Inschrift über der Tür
deines Ladens hat mich beleidigt. Kannst du sie ändern und das Gegenteil
hinschreiben lassen, so will ich dich aus diesem schlimmen Handel ziehen.“

Augenblicklich zog der Kaufmann ein Goldstück hervor, gab
es einem Sklaven und sagte zu ihm: „Geh zu dem und dem Schreiber, und sage
ihm, er solle mit den schönsten Buchstaben blau und golden die Worte
hinschreiben: „Es gibt keine List außer der Frauenlist, denn sie
übertrifft noch die Männerlist.“ – „Laufe nur augenblicklich,“
rief das junge Mädchen.

Der Sklave suchte den Schreiber auf, der sofort die
Inschrift hinzeichnete. Der Sklave brachte sie seinem Herren, und dieser brachte
sie über seinem Laden an. Das junge Mädchen sagte hierauf zu ihm: „Stehe
jetzt auf, gehe nach der Gegend der Zitadelle, triff da mit den Possenreißern,
den Affen- und Bärenführern eine Verabredung und befiehl ihnen, morgen früh
dich im Justizpalast aufzusuchen. Du wirst als dann da sitzen und bei deinem
Schwiegervater, dem Kadi, Kaffee trinken. Sie werden dir dann Glück wünschen,
dich mit Segenswünschen überhäufen, und ausrufen: „Deine Tage mögen
recht glücklich sein, lieber Vater, o du, unser Augapfel! Solltest du dich
unser auch schämen, so werden wir uns doch eine Ehre daraus machen, mit dir
verwandt zu sein. Selbst wenn du uns fortjagen und von dir weisen solltest, wir
werden dich dennoch nicht verlassen, denn du bist ja der Sohn unseres
Oheims.“ Dann musst du anfangen, Geld und allerlei Münzen unter sie
auszustreuen. Der Kadi wird dich darüber befragen, und du musst ihm dann
antworten: Mein Vater war eigentlich ein Affenführer, und dies ist mein
Familiengewerbe. Indessen, da uns Gott wohlhabend gemacht hat, so haben wir uns
als Handelsleute bei dem Aufseher des Hafens in einige Achtung gesetzt.“

Er tat es, und alles kam so, wie es das junge Mädchen
vorausgesagt hatte.

„Du bist also,“ sagte der Oberrichter zu seinem
neuen Schwiegersohn, „ein Herumführer von Affen und gehörst also zu der
Possenreißer-Truppe?“ – „Ich kann,“ erwiderte der Kaufmann,
„deiner Tochter zu Liebe nicht meine Familie verleugnen.“ – „Aber
deshalb ziemt es immer nicht,“ fuhr der Richter fort, „dass die
Tochter eines Rechtsgelehrten, der auf dem Teppich sitzt, wo die Urteilssprüche
gefällt werden, und dessen Geschlecht bis zu den Verwandten des Propheten
Gottes hinaufsteigt, dir zur Frau gegeben werde. Es ziemt sich nicht, dass die
Tochter eines solchen Mannes einem Affenführer oder Taschenspieler preisgegeben
werde.“ – „Allein,“ sagte der Kaufmann zu ihm, „ehrwürdiger
Gesetzlehrer, bedenkt, dass es jetzt meine rechtmäßige Frau ist. Jedes ihrer
Haare wiegt tausend Leben auf, und ich würde mich vor ihr nicht trennen, auch
wenn ihr mir alle Reiche der Welt geben wolltet.“

Endlich kam man doch zu dem Entschluss, die
Ehescheidungsformel auszusprechen. Die Ehe wurde aufgelöst und man befreite den
einen von dem anderen.

Der Kaufmann kehrte jetzt zu der Urheberin des Scherzes
zurück. Sie war die Tochter des ältesten der Schmiedezunft. Er hielt bei ihrem
Vater um sie an, und heiratete sie. Sie blieben von nun an beisammen, und lebten
in Wohlstand, Zufriedenheit und Lebensgenuss, der bis an ihr Ende fortdauerte.

Der Sultan hatte sich an der gutherzigen Einfalt des
Richters und an der Gewandtheit des Mädchens sehr belustigt. „Herr,“
sagte Scheherasade, „wenn Euer Majestät mich noch länger leben lassen
wollte, so würde ich euch morgen die Geschichte der Liebschaften des Ali Ebn
Bekar und der Schemselnihar, der Favoritin des Kalifen Harun Arreschyd
erzählen.“ Der Sultan von Indien genehmigte es, auch noch die Geschichte
anzuhören und stand auf, um sich in die Ratsversammlung zu begeben.