Project Description

191. Nacht

Der angebliche Kalif stieg ans Land und ließ Harun nebst
seinen Gefährten hineintreten. Man führte sie in einen geräumigen Saal, in
dessen Mitte ein großes Becken mit einem prächtigen Springbrunnen war.
Ringsherum lief eine Erhöhung, die mit einem Teppich und reich gestickten
Kissen bedeckt war. über der Tür des Saales las man folgende Verse:

„Heil und Friede möge an diesem Orte wohnen, der mit
allen Segnungen des Glücks überschüttet ist. Er schließt Wunder in sich,
welche die beredeste Feder nicht zu schildern vermöchte.“

Er setzte sich sodann auf einen Thron aus gediegenem Gold,
der mit Perlen und Edelsteinen geschmückt war, und über welchem ein
grünseidener Thronhimmel mit goldenen Troddeln schwebte, dergleichen man noch
nie in den Palästen der mächtigsten Fürsten gesehen hat. Er ward durch Kloben
aus Sandelholz festgehalten, welche einen köstlichen Geruch verbreiteten. Seine
Hofleute reihten sich ehrfurchtsvoll um ihn her. Harun und seine Begleiter
erhielten ebenfalls Erlaubnis, sich zu setzen.

Der angebliche Kalif gab nun dem Haushofmeister und den
Mundschenken ein Zeichen. Augenblicklich wurden die Tische gedeckt und mit den
auserlesensten Speisen und den köstlichsten Weinen besetzt. Eine junge Sklavin
füllte eine Schale und sang folgende Verse:

„überlasse die Moschee den Frömmlern, die darin
ihren beständigen Aufenthalt nehmen; und komm mit uns, guten Wein zu kosten.
Der Koran sagt nicht: Wehe den Trunkenen! Aber Wohl: Wehe den Heuchlern!“

Hierauf überreichte der Mundschenk dem neuen Kalifen die
Schale, der sie austrank. Sie ging sofort die Reihe herum, und kam bis zu Harun,
der, so wie seine Begleiter sich weigerte, zu trinken.

„Meine Gäste,“ sagte der neue Kalif,
„warum wollt ihr es nicht machen wie wir?“ – „Herr,“
erwiderte Harun, „wir haben alle drei bei Gelegenheit eines schrecklichen
Ereignisses, das uns zustieß, das Gelübde getan, niemals Wein zu
trinken.“ – „Gott behüte mich, dass ich euch ein Verbrechen daraus
machen sollte.“ Und augenblicklich ließ er ihnen ein anderes Getränk
bringen, indem er zu ihnen sagte: „So versucht denn anstatt des Weins
diesen Schorbet. Kein König hat besseren als dieser hier ist.“

Die Mahlzeit dauerte lange, und Harun, der über alles,
was er da sah, erstaunt war, sagte zu Giafar: „Ich bin außer mir vor
Verlangen, zu wissen, wer dieser junge Mann wohl sein mag. Welche glänzende
Tafel! Ich habe niemals etwas ähnliches gesehen und nie besser gespeist.“

Der neue Kalif bemerkte diese Zwiesprache zwischen beiden
und fragte: „Welche Geheimnisse teilt ihr euch da mit?“ –
„Verzeihe, Fürst der Gläubigen,“ antwortete Harun, „wir haben
nicht die Absicht, dich zu beleidigen. Mein Begleiter, der schon sehr hoch an
Jahren und die Welt durchreist ist, teilte mir seine überraschung mit. Er hat
nie etwas gesehen, was der Pracht und dem Aufwand gleich käme, den du hier
zeigst, und es würde, wie er meint, nicht das mindeste fehlen, wenn noch Musik
dabei wäre, denn eine Mahlzeit ohne Musik ist wie ein Baum ohne Frucht. Wie
kann doch der Kalif bei einem solchen Festmahl die Musik missen? Dies waren die
einzigen Bemerkungen, die wir ganz leise für uns machten, und du weißt jetzt
unser Geheimnis.“

Der Wein fing bereits an, seine Wirkung auf die Gäste zu
äußern, und der Kopf des angeblichen Kalifen war schon sehr warm geworden. Die
vertrauliche Eröffnung Haruns entlockte ihm ein Lächeln. Er schlug in die
Hände. Sogleich öffnete sich eine Tür, und man sah einen kleinen schwarzen,
prachtvoll gekleideten Sklaven erscheinen, der einen goldenen Sessel trug. Ihm
folgte eine junge Sklavin, nicht minder reizend als jene, die der Dichter in
folgenden Versen schildert:

„Siehst Du jene entzückende Schönheit, die auf uns
zu kommt? Siehst du jene beiden Granatäpfel auf jener Alabasterbrust, und jene
reizende Gestalt, welche die Herzen fesselt? Ach, bedarf es noch weiter etwas,
um vor Liebe zu sterben?“

Beim Hereintreten warf sie sich vor dem neuen Kalifen
nieder, und Harun rief bei dem Anblick so vieler Reize: „Dank sei dem
Urheber einer so vollkommenen Schönheit!“ Und sogleich fühlte er, dass
sein Herz für sie von Liebe entbrannt war.

Ihr Herr indessen befahl ihr, sich zu setzen. Sie nahm nun
auf dem Sessel Platz, der für sie hingestellt war, und der kleine Neger
überreichte ihr eine kunstreich gearbeitete Laute. Sie legte diese an ihren
Busen, fing an zu stimmen, durchlief die vierundzwanzig Töne der Musik, und
spielte darauf mehrere Lieder, eines immer wollüstiger als das andere. Alle
Zuhörer waren von Vergnügen und Bewunderung hingerissen, und auch nicht ein
einziger blieb bei kaltem Blut und bei ruhigem Verstand, als sie folgendes Lied
zur Laute sang:

„Meine Augen sind die Dolmetscher meiner Gefühle;
sie haben dir längst die Liebe verraten müssen, die du mir eingeflößt hast.
Ihr Schmachten bezeugt die Qual, die ich empfinde; bei dem bloßem Gedanken an
deine Entfernung seufzt mein verwundetes Herz.
Wie lange werde ich die Liebe verhehlen müssen, die mich verzehrt?
Unwillkürliche Tränen verraten mich unaufhörlich.
Ich kannte bisher die bezwingende Gewalt der Liebe nicht; doch wer kann dem
unbezwinglichen Arm des Schicksals widerstehen?“

Kaum war dieser Gesang geendigt, als der neue Kalif einen
durchdringenden Schrei ausstieß und sein Kleid zerriss. Seine Kräfte
verließen ihn, er fiel in Ohnmacht. Seine Diener waren um ihn geschäftig, sie
zogen die Vorhänge des Thronhimmels zu, und legten ihm ein anderes Kleid an.
Sobald er wieder zu sich gekommen war, bemerkte er wohl, das die Sängerin sich
entfernt hatte, aber er fragte nicht mehr nach ihr. Ein junger Mundschenk
füllte ihm die Schale und überreichte sie ihm. Er trank, und dann machte sie
die Runde durch die ganze Gesellschaft. Harun und seine beiden Begleiter, die
über alles, was sie da sahen, erstaunt waren, verloren sich immer mehr in
diesen Anblick.

Bald darauf nahm der neue Kalif einen Stab in die Hand,
und schlug mit demselben an eine benachbarte Tür, welche sich augenblicklich
auftat. Ein junger Neger trat aus derselben, der einen vergoldeten Sessel, noch
schöner als die vorigen, trug. Hinter ihm folgte ein junges Mädchen, noch
reizender und noch reicher gekleidet, als die vorige Sängerin. Nachdem sie sich
vor dem Thron niedergeworfen, blieb sie in einer ehrerbietigen Stellung stehen.
Harun empfand bei ihrem Anblick eine noch lebhaftere Herzensregung, als bei der
vorigen. Sie erhielt Befehl, sich zu setzen, und sie legte auf ihrem Schoß
einen Psalter, der von Ebenholz und mit Gold verziert war. An den vier Ecken
waren vier Perlen, so groß wie Taubeneier, eingelegt. Nachdem sie ihr
Instrument gestimmt hatte, schlug sie dasselbe mit einer Leichtigkeit, dass es
den Zuhörern war, als sähen sie das ganze Zimmer um sich her tanzen. Sie
entzückte sie zuletzt vollends durch folgendes Lied:

„Wie sollte ich nicht die Geduld verlieren, da ein
loderndes Feuer mein Herz verzehrt? Da aus meinen Augen Tränen strömen, wie
ein unversiegbarer Gießbach?
Die Welt hat für mich allen Reiz verloren, und wenn ich nicht den Gegenstand
meiner Wünsche erlange, so wird der Tod meine einzige Zuflucht sein.“

Am Ende dieses Lieds stieß der neue Kalif wieder einen
durchdringenden Schrei aus, zerriss seine Kleider, und fiel rücklings um. Seine
Diener liefen herbei, ließen die Vorhänge nieder, und warfen ihm ein noch
prächtigeres Kleid über, als das vorige war. Als er sich von seiner Ohnmacht
erholt hatte, fing er an zu essen und zu trinken, wie zuvor, und nachdem seine
Schale zwei bis dreimal die Runde durch die Gesellschaft gemacht hatte, schlug
er in die Hände. Eine Tür tat sich auf, und man sah einen kleinen schwarzen
Sklaven und eine junge Sängerin, noch schöner und geschmückter als die
vorigen, herein treten. Harun glaubte die Mittagssonne am wolkenlosen Himmel zu
erblicken, und sagte ganz leise zu seinem Wesir: „Ich habe wahrhaftig kein
so schönes Geschöpf in meinem ganzen Harem.“ Sie warf sich vor ihrem
Gebieter nieder, der ihr ein Zeichen gab, sich zu setzen, dann nahm sie die
Gitarre und sang nach einem harmonischen Vorspiel folgendes:

„Wo wird das Ziel seiner Kälte und unserer langen
Trennung sein? Werden jene schönen, zu schnell verflossenen Tage je
wiederkehren? Jene Tage, die uns an einem und demselben Zufluchtsort, im Schoß
des Glücks, in Sicherheit vor den Neidern, vereinigt sahen? Ein grausames
Schicksal hat uns getrennt, und wir mussten jenen köstlichen Aufenthalt
verlassen.
O du, der du meine Beständigkeit tadelst, was forderst du von mir? Nie werde
ich ihn vergessen, nie wird mein Herz deinen Ratschlägen folgen. Sie sind
überflüssig. Lass mir meine Liebe, lass mir den Trost, über die Grausamkeit
meiner Freundin zu seufzen.
Mag sie mich meiden, mag sie mich verabscheuen. Ich werde doch nie aufhören,
sie anzubeten, selbst mit Gefahr meines Lebens. Sie hat sich geändert, sie hat
ihre Schwüre gebrochen; doch ich werde mich nie ändern, ich werde nie die
meinigen brechen.“

Dieses Lied machte auf das Gemüt des neuen Kalifen keinen
geringeren Eindruck als die vorigen. Aber während man seine Kleider wechselte,
enthüllte das zufällige Wegschieben eines Stücks vom Vorhang den Augen der
Zuschauer ein ganz einziges Schauspiel. Sein Körper war mit frischen Wunden
bedeckt, welche die Folgen einer harten Misshandlung zu sein schienen. Harun,
der ihn aufmerksam beobachtete, sagte ganz leise zu Giafar: „Das ist doch
ein schöner junger Mann, aber ich vermute jetzt, dass er nichts weiter als ein
großer Räuber ist.“ – „Und warum das?“, fragte Giafar. –
„Hast du nicht bemerkt, dass sein Körper voll Narben ist, die ihn sogar
zwingen, sich vor Schmerz zu krümmen?“

Während sie so sprachen, hatten die Diener des
vermeintlichen Kalifen den Vorhang fest zugezogen, und kleideten ihren Herrn an.
Er setzte sich darauf wieder an den Tisch, und man fing wieder an zu trinken.
Harun fuhr fort, ganz leise mit Giafar zu reden. Ihr Wirt hatte kaum dieses
verstohlene Flüstern bemerkt, als er sie anredete: „Meine lieben Gäste,
habe ich nicht schon einmal bemerkt, wie unschicklich diese leisen Gespräche
sind?“

„Herr,“ erwiderte Harun, „der Mann, der
hier zu meiner Rechten sitzt, ist ein sehr großer Kaufmann. Er hat viele Reisen
in die verschiedensten Teile der Welt gemacht, er hat Fürstenhöfe, Reiche und
Arme, besucht; und doch gestand er mir, nie etwas dem ähnliches erlebt zu
haben, was er heute gesehen. Du hast soeben mehrere prachtvolle Kleider
zerrissen, die sehr bedeutende Summen kosten müssen. Dergleichen kommt einem
doch nicht alle Tage vor, und wir wünschten daher wohl die Ursache davon zu
wissen. Sind wir dereinst einmal zu unserem Haus und Herd heimgekehrt, so werden
wir nicht unterlassen, deine Pracht und Herrlichkeit zu rühmen, und alles zu
erzählen, was wir an deinem Hofe gesehen haben. Man wird uns dann gewiss
fragen, welche Gründe du wohl gehabt haben magst, so kostbare Kleider zu
zerreißen. Für uns ist dies ein Rätsel, welches du allein lösen
kannst.“

Der neue Kalif antwortete ihm: „Gute Freunde, alle
diese Reichtümer gehören mir, so wie meine Kleider, und diese deine Frage
könnte meine Diener und Sklaven beunruhigen, denn die Kleider, die ich
zerreiße, fallen ihnen zu, und ich bezahle ihnen auch noch den Wert derselben,
das Stück zu fünfhundert Zechinen.“

Harun antwortete ihm durch folgende Verse:

„Die Freigebigkeit hat ihren Sitz in deinen Händen
aufgeschlagen. Du läuterst deinen Reichtum durch den Gebrauch, den du davon
machst, und wenn die Wohltätigkeit ihren Tempel auf Erden verschlösse,
würdest du seine Pforten wieder öffnen.“

Geschmeichelt durch ein so prächtig klingendes Lob,
befahl der neue Kalif, ihm tausend Zechinen auszuzahlen. Harun bat lächelnd
seinen Begleiter Giafar, sie in Empfang zu nehmen. Dieser nahm sie und sagte:
„Wir sind Dichter geworden, wir empfangen Wohltaten von Königen.“

Die Trinkschale fing wieder an, unter den Gästen
umherzukreisen. Alle überließen sich ohne Rückhalt der Fröhlichkeit, und der
Wein verbannte jede Art des Zwanges. Harun benutzte die Freiheit, welche dieser
Augenblick zu gestatten schien, um ihn wegen der Narben zu fragen, womit sein
Körper bedeckt war. Da er indessen keine Antwort erhielt, so sagte er zu
Giafar, er möchte dieselbe Frage tun. Dieser gab vor, dass der gegenwärtige
Augenblick hierzu nicht günstig genug sei, und dass man sich noch etwas
gedulden müsse. Harun bestand aber darauf und drohte, ihm den Kopf abhauen zu
lassen.

Der neue Kalif, der ihre geheime Zwiesprache bemerkte,
rief aus: „Wie oft soll ich es euch wiederholen, dass nichts unschicklicher
ist, als diese geheimen Unterredungen mitten in einer Gesellschaft? Ich will
wissen, was ihr miteinander habt, aber hütet euch ja, mir die Wahrheit zu
verhehlen.“

Giafar nahm das Wort und sagte zu ihm: „Herr, wir
haben an deinem Körper Spuren von Schlägen bemerkt, die uns sehr in
Verwunderung gesetzt haben, und wir besprechen uns soeben, dich um die Ursache
davon zu befragen.“

Der neue Kalif lächelte bei dieser Frage und sprach:
„Da ihr neugierig seid, meine Geschichte zu wissen, so will ich sie euch
sehr gern erzählen. Sie ist wirklich von außerordentlicher Art.“ Nachdem
er so gesprochen, stieß er einen Seufzer aus, ließ einige Tränen seinem Auge
entschlüpfen, und sagte folgende Verse her:
„Es ist ein Gewebe seltsamer Abenteuer, und ihr selber mögt entscheiden,
ob ihr mir einige Aufmerksamkeit schenken wollt. Ich verspreche, euch einen
treuen Bericht davon zu geben, woraus ihr einigen Vorteil schöpfen könnt. Ihr
seht hier ein trauriges Opfer der Liebe vor euch. Die, welche mein Herz
verwundert hat, ist über jeden Lobspruch erhaben. Ihre schönen schwarzen
Augen, ihre rosigen Lippen, ihre hochgewölbten Augenbrauen, sind die Waffen,
die sie zu meiner Besiegung gebraucht hat. Doch, wenn ich mich nicht täusche,
so erzähle ich meine Leiden dem unumschränkten Herrn, dem Kalifen der Welt. Er
ist hier mit seinem Großwesir Giafar, der mir oft Beweise der zärtlichsten
Freundschaft gegeben, und mit Mesrur, dem Vollstrecker seiner erhabenen Befehle.
Wenn meine Vermutung zutrifft, so bin ich am Ziel meiner Leiden, der Stern des
Glücks wird dann für mich aufgehen, und ich überlasse schon mein Herz dieser
süßen Hoffnung.“

Diese Verse kündigten deutlich genug an, dass unser
Abenteurer seine Gäste erkannt hatte. Doch Giafar, um ihn wieder irre zu
machen, sagte zu ihm: „Stellvertreter Gottes, es befindet sich unter uns
keiner von denen, die du soeben genannt hast.“ – „Höre auf, mich
Stellvertreter Gottes oder Fürst der Gläubigen zu nennen,“ sagte
lächelnd der falsche Kalif, „denn ich bin es nicht. Ich habe diesen Titel
bloß aus der Hoffnung angenommen, dass er unter dem Volk Aufsehen erregen, und
dass der Kalif Harun Arreschyd, davon benachrichtigt, mich vor sich rufen lassen
würde, dass ich ihm dann meine Leiden erzählen könnte, die unfehlbar sein
Mitleid erregen würden, so dass mir vielleicht noch einige glückliche Tage zu
Teil werden könnten.“

Harun nahm das Wort und sagte: „Deine Aufrichtigkeit
verdient, dass man sie erwidert. Wir wollen dir also nur gestehen, dass wir
keine Kaufleute, sondern Leute von der Hofdienerschaft des Kalifen sind. Wir
haben einigen Zutritt bei ihm, und wir werden unseren ganzen Einfluss anwenden,
um dir zu dienen. Erzähle uns daher dein Abenteuer, damit wir es ihm mitteilen
und dir den gewünschten Zutritt zu seiner Person verschaffen können. übrigens
sei unbesorgt, es wird sich alles zu deiner völligen Zufriedenheit
endigen.“