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188. Nacht

Der Sultan von Kaschghar hatte die Güte, die Neugier des
Barbiers zu befriedigen. Er befahl, dass man ihm die Geschichte des kleinen
Buckligen erzählen möchte, da er es so eifrig zu wünschen schien. Als der
Barbier sie angehört hatte, bewegte er den Kopf, gleichsam als wollte er damit
andeuten, dass es dabei etwas Verborgenes gäbe, was er nicht ganz begreifen
könnte. „Gewiss,“ rief er aus, „diese Geschichte ist sehr
überraschend. Indessen wünsche ich doch, diesen Buckligen etwas näher zu
untersuchen.“ Er näherte sich ihm nun, setzte sich neben ihn auf die Erde,
nahm den Kopf auf seinen Schoß, und nachdem er ihn aufmerksam betrachtet hatte,
lachte er auf einmal so laut und so unmäßig auf, dass er rücklings umfiel,
ohne zu überlegen, dass er sich vor dem Sultan von Kaschghar befand. Dann stand
er unter fortwährendem Lachen auf und rief: „Wohl sagt man mit Recht, der
Tod will seine Ursache haben. Wenn je eine Geschichte es verdient hat, mit
goldenen Buchstaben aufgezeichnet zu werden, so ist es die des Buckligen.“

Bei diesen Worten betrachteten alle den Barbier wie einen
Narren, oder wie einen wahnsinnigen Greis. „Verschwiegener Mann,“
sagte der Sultan zu ihm, „worüber lachst du denn so gewaltig?“ –
„Herr,“ antwortete der Barbier, „ich schwöre bei der
wohltätigen Sinnesart Euer Majestät, dass dieser Bucklige nicht tot ist. Er
ist noch lebendig, und ich will für einen Thoren gelten, wenn ich es euch nicht
augenblicklich beweise.“ Mit diesen Worten nahm er eine Buchse hervor,
worin er mehrere Heilmittel hatte, und die er stets bei sich trug, um sie
gelegentlich zur Hand zu haben, und zog daraus ein kleines Balsamfläschen,
womit er lange Zeit den Hals des Buckligen einrieb. Hierauf nahm er aus einem
Besteck ein sehr feines Brecheisen, schob es zwischen die Zähne desselben,
öffnete ihm den Mund, fuhr ihm dann mit kleinen Zängelchen in den Schlund
hinab, und zog damit das Stück Fleisch nebst der Gräte heraus, welches er nun
allen zeigte. Sogleich nieste der Bucklige, streckte die Arme und Beine aus,
schlug die Augen auf, und gab noch andere Zeichen des Lebens von sich.

Der Sultan von Kaschghar und alle die, welche Zeugen
dieser schönen Operation waren, waren weniger darüber erstaunt, den Buckligen
wieder neu aufleben zu sehen, nachdem er eine ganze Nacht und den größten Teil
des Tages ohne Regung da gelegen hatte, als vielmehr über das Verdienst und die
Geschicklichkeit des Barbiers, den man, ungeachtet seiner Fehler, jetzt als
einen ausgezeichneten Mann zu betrachten anfing. Der Sultan befahl, von Freude
und Bewunderung ergriffen, dass man die Geschichte des Buckligen nebst der des
Barbiers schriftlich aufzeichnen solle. Dabei ließ er es aber nicht bewenden.
Damit der Schneider, der jüdische Arzt, der Lieferant und der christliche
Kaufmann sich stets mit Vergnügen an das Abenteuer, das der Zufall des
Buckligen ihnen veranlasst hatte, zurückerinnern möchten, entließ er sie
nicht eher, als bis er einem jeden von ihnen ein sehr reiches Kleid geschenkt,
das sie in seiner Gegenwart anziehen mussten. Dem Barbier dagegen setzte er ein
ansehnliches Jahrgehalt aus, und behielt ihn in seiner Umgebung.“

So endigte denn die Sultanin Scheherasade die lange Reihe
von Abenteuern, welche der angebliche Tod des Buckligen veranlasst hatte. Da der
Tag bereits anbrach, so schwieg sie still. Als ihre Schwester Dinarsade sah,
dass sie nicht mehr sprach, sagte sie zu ihr: „Meine Sultanin, ich bin von
der Geschichte, die du soeben vollendet hast, umso mehr erfreut, da sie auf eine
Weise schließt, wie ich gar nicht erwartet hatte. Ich glaubte, der Bucklige sei
wirklich tot gewesen.“ – „Diese überraschung,“ sagte Schachriar,
„hat mir ebenso viel Vergnügen gemacht, als die Abenteuer der Brüder des
Barbiers.“ – „Auch die Geschichte des jungen Hinkenden von Bagdad hat
ich sehr belustigt,“ äußerte Dinarsade. „Ich freue mich darüber,
liebe Schwester,“ sagte die Sultanin, „und da ich das Glück habe, den
Sultan unseren Herrn und Gebieter, nicht zu langweilen, so würde ich, wenn
Seine Majestät mich noch länger leben ließe, ihm morgen die Geschichte der
seltsamen Abenteuer des angeblichen Kalifen Ali Schach und des Kalifen Harun
Arreschyd erzählen, welche seiner und deiner Aufmerksamkeit nicht minder
würdig ist, als die Geschichte des Buckligen.“ Der Sultan von Indien, der
mit alle dem, womit Scheherasade ihn bisher unterhalten hatte, sehr zufrieden
war, überließ sich ganz dem Vergnügen, auch noch die Geschichte zu hören,
welche sie ihm versprach.

Er stand sodann auf, um sein Gebet zu verrichten, und die
Ratversammlung zu halten.