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181. Nacht

„Nach Endigung der Hochzeitzeremonien,“ fuhr
Annaschar fort, „werde ich aus der Hand eines meiner zunächst stehenden
Diener einen Beutel mit fünfhundert Goldstücken nehmen und ihn den
Putzmacherinnen geben, damit sie mich mit meiner Gemahlin allein lassen. Sobald
sie sich dann entfernt haben werden, wird sich meine Frau zuerst ins Bett legen.
Ich werde mich neben sie legen, aber ihr den Rücken kehrend, und werde so die
ganze Nacht, ohne ein Wort zu reden hingehen lassen. Den folgenden Morgen wird
sie nicht unterlassen, sich bei ihrer Mutter, der Gemahlin des Großwesirs,
über meinen Stolz und über meine Verachtung zu beklagen, und ich werde mich im
Innern der Seele freuen. Ihre Mutter wird dann zu mir kommen, mir ehrerbietig
die Hände küssen und zu mir sagen: „Herr,“ denn sie wird es nicht
wagen, mich ihren Schwiegersohn zu nennen, aus Furcht, mir durch eine so
vertrauliche Anrede zu missfallen, „ich bitte euch, geruht doch, meine
Tochter anzusehen und euch ihr zu nähern. Ich kann euch versichern, dass sie
bloß euch zu gefallen sucht und euch von ganzer Seele liebt.“ Allein meine
Schwiegermutter mag dann sagen was sie will, ich werde ihr auch nicht eine Silbe
antworten, und werde fest in meinem Ernst verharren. Sie wird mir hierauf zu
Füßen fallen, mir sie mehrmals küssen und sprechen: „Herr, sollte es
möglich sein, dass ihr wegen der Klugheit meiner Tochter irgend einen Verdacht
gefasst hättet? Ich versichere euch, ich habe sie stets unter meinen Augen
gehabt, und ihr seid der erste Mann, der sie von Gesicht gesehen hat. Hört auf,
ihr eine solche Kränkung zu verursachen, erwies ihr die Gnade, sie anzusehen,
mit ihr zu sprechen, sie in der guten Absicht, die sie hat, euch nämlich in
allen Dingen zu genügen, zu bestärken.“ Das alles soll mich indes nicht
rühren. Meine Schwiegermutter wird das bemerken, ein Glas Wein nehmen, es ihrer
Tochter in die Hand geben und zu ihr sagen: „Gehe hin und überreiche ihm
selber dieses Weinglas. Er wird vielleicht nicht so grausam sein, es von einer
schönen Hand zu verschmähen.“ Meine Frau wird mit dem Glas kommen und am
ganzen Körper zitternd vor mir stehen bleiben. Wenn sie nun sehen wird, dass
ich mein Gesicht gar nicht nach ihr hinwende und sie fortwährend verschmähe,
wird sie mit Tränen in den Augen zu mir sprechen: „Mein Herz, meine teure
Seele, mein liebenswürdiger Herr, ich beschwöre euch bei der Gunst des
Himmels, erweist mir die Gnade, dieses Glas Wein aus der Hand eurer ergebensten
Dienerin anzunehmen.“ Ich werde mich gleichwohl hüten, sie anzusehen und
ihr zu antworten. „Mein reizender Gemahl,“ wird sie dann fortfahren,
indem sie ihre Tränen verdoppeln und das Weinglas meinem Mund nähern wird,
„ich werde nicht ablassen, bis ich es erlangt habe, dass ihr trinkt.“
Von ihren Bitten ermüdet, werde ich ihr hierauf einen fürchterlichen Blick
zuwerfen, ihr eine derbe Ohrfeige auf die Wange geben, und sie mit dem Fuße so
heftig zurückstoßen, dass sie weit ab vom Sofa zu Boden sinken wird.“

Mein Bruder war so sehr in seine Hirngespinste und
Einbildungen versunken, dass er die Handlung mit seinem Fuße so lebendig
darstellte, als ob alles wirklich so wäre. Allein zum Unglück stieß er so
heftig an seinen Korb mit Glaswaren, dass er ihn aus seinem Laden in die Straße
hinab warf, und dass alle Glassachen darin in tausend Stücke zertrümmert
wurden.

Sein Nachbar, ein Schneider, der seine albernen Reden
angehört hatte, lachte laut auf, als er den Korb fallen sah. „Oh, was bist
du doch für ein nichtswürdiger Mensch!“, rief er meinem Bruder zu.
„Solltest du dich nicht tief in die Seele hinein schämen, eine junge
Gemahlin, die dir nichts zu Leide getan, so zu misshandeln? Du musst doch sehr
roh sein, um die Tränen und die Reize einer so liebenswürdigen Person zu
verachten. Wenn ich an des Großwesirs Stelle wäre, so würde ich dir hundert
Hiebe mit dem Ochsenziemer geben, und dich mit dem verdienten Lobspruch durch
die Stadt führen lassen.“

Mein Bruder kam durch den Anblick dieses traurigen
Vorfalls wieder zu Besinnung, und da er sah, dass ihm dies bloß um seines
unerträglichen Stolzes willen begegnet war, schlug er sich ins Gesicht, zerriss
seine Kleider, und fing so laut an zu weinen und zu heulen, dass die Nachbarn
herbeiliefen und die Leute auf der Straße, die soeben zum mittäglichen Gebet
gingen, stehen blieben. Da es nämlich gerade Freitag war, so gingen mehr Leute
als sonst vorüber. Einige hatten Mitleid mit Annaschar, andere lachten über
seine Narrheit. Unterdes war seine Eitelkeit mit seiner Habe zu gleicher Zeit
verschwunden, und er beweinte noch immer bitterlich sein Schicksal, als eine
vornehme Frau auf einer reich geschmückten Mauleselin vorüber ritt. Der
Zustand, worin sie meinen Bruder sah, erregte ihr Mitleid. Sie fragte, wer er
sei und worüber er weinte. Man sagte ihr nichts weiter als, er sei ein armer
Mann, der sein weniges Geld auf den Ankauf eines Korbes voll Glaswaren verwendet
habe, dieser Korb sei nun herab gefallen und alle Gläser seien in Trümmern. Die
Dame wandte sich sogleich zu einem sie begleitenden Verschnittenen und sagte zu
ihm: „Gib ihm doch alles, was du bei dir hast.“ Der Verschnittene
gehorchte, und händigte meinem Bruder einen Beutel mit fünfhundert
Goldstücken ein. Mein Bruder freute sich beim Empfang derselben fast zu Tode.
Er gab der edlen Frau tausendfache Segenswünsche auf den Weg, verschloss dann
seinen Laden, wo seine Gegenwart nicht mehr nötig war, und ging nach Hause.

Er stellte eben über das große Glück, welches ihm
begegnet war, tiefe Betrachtungen an, als er an die Tür klopfen hörte. Bevor
er öffnete, fragte er, wer da anklopfe, und nachdem er an der Stimme erkannt
hatte, dass es eine Frau sei, öffnete er die Tür. „Mein Sohn,“ sagte
sie zu ihm, „ich muss dich um eine Gefälligkeit bitten. Es ist jetzt eben
die Zeit des Gebets, und ich möchte mich gern waschen, um dasselbe sodann
verrichten zu können. Lass mich, wenn es dir angenehm ist, in deine Wohnung
eintreten, und gib mir ein Gefäß voll Wasser, und setzte sich dann wieder an
seinen vorigen Platz, immer noch mit seinem letzten Abenteuer beschäftigt, und
legte sein Geld in eine Art langen und schmalen Beutel, um ihn an seinen Gürtel
befestigen zu können. Die alte verrichtete während dieser Zeit ihr Gebet. Als
sie fertig war, kam sie zu meinem Bruder hin, warf sich zweimal mit ihrem
Angesicht zur Erde, gleichsam als wollte sie Gott bitten, dann stand sie wieder
auf und wünschte ihm alles Gute …“

Die Morgenröte, welche zu scheinen begann, nötigte
Scheherasade, bei dieser Stelle inne zu halten. Die Nacht darauf fuhr sie in
ihrer Erzählung fort, indem sie den Barbier immer noch fort reden ließ: