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175. Nacht

Herr, der Barbier fuhr in der Geschichte seines Bruders
folgendermaßen fort:

„Mein Bruder nahm das Glas aus der Hand der schönen
jungen Frau, küsste ihr die Hand, und trank es stehend, zur Danksagung für die
ihm erwiesene Gunst. Hierauf hieß ihn die junge Schöne neben sich setzen und
fing an, ihn zu liebkosen. Sie langte mit ihrer Hand hinter seinem Kopfe herum
und gab ihm von Zeit zu Zeit kleine Ohrfeigen. Im Entzücken über diese
Gunstbezeugungen hielt er sich für den glücklichsten Mann auf Erden. Er kam in
Versuchung, mit dem reizenden Mädchen ebenfalls zu scherzen, aber er wagte es
nicht, sich diese Freiheit in Gegenwart so vieler Sklavinnen zu nehmen, welche
beständig die Augen auf ihn gerichtet hatten, und über diesen Scherz ohne
Unterlass lachten. Die junge Schöne fuhr fort, ihm kleine Ohrfeigen zu geben,
und zuletzt gab sie ihm eine so heftige, dass er dadurch sich schwer gekränkt
fühlte. Er wurde rot und stand auf, um sich von einer so groben Spielerin zu
entfernen. Die Alte indes, die ihn hergeführt hatte, sah ihn an, gleichsam um
ihm anzudeuten, wie unrecht er tue, dass er sich nicht mehr an jenen guten Rat,
den sie ihm in Hinsicht der Artigkeit gegeben, erinnern wolle. Er erkannte
seinen Fehler, und um ihn wieder gut zu machen, näherte er sich der jungen Dame
wieder und stellte sich, als habe er sich keineswegs aus Missvergnügen
entfernt. Sie zog ihn beim Arm näher, hieß ihn neben ihr Platz zu nehmen und
fuhr fort, mit ihm tausend boshafte Liebkosungen zu treiben. Ihre Sklavinnen,
die bloß auf ihre Unterhaltung dachten, gingen auf dies Spiel ebenfalls ein.
Die eine gab dem armen Alhedar aus allen Kräften Nasenstüber, eine andere zog
ihn an den Ohrläppchen, als wollte sie ihm dieselben abreißen, und noch andere
endlich gaben ihm Ohrfeigen, welche die Grenzen des Scherzes überschritten.
Mein Bruder ertrug dies alles mit bewunderungswürdiger Geduld. Er nahm sogar
eine heitere Miene an, sah mit erzwungenem Lächeln auf die Alte und sagte zu
ihr: „Du hast sehr Recht gehabt, als du mich versichertest, ich würde eine
überaus gute, angenehme und reizende Gebieterin hier finden. Ich bin dir dafür
sehr verbunden!“ – „O, das ist noch gar nichts,“ erwiderte die
Alte. „Lass sie nur machen, du wirst bald noch ganz andere Dinge
sehen.“ – Die junge Schöne nahm hierauf das Wort und sagte zu meinem
Bruder: „Du bist ein wackerer Mann. Ich freue mich, in dir so viel
Freundlichkeit und Artigkeit gegen meine kleinen Launen und eine mit der
meinigen so ganz übereinstimmende Gemütsbewegung zu finden.“ –
„Gnädige Frau,“ erwiderte Alhedar, den diese Rede ganz entzückte,
„ich gehöre nicht mehr mir selber an, sondern ganz und gar euch, und ihr
könnt ganz nach euerem Belieben über meine Person verfügen.“ – „Wie
viel Vergnügen machst du mir dadurch, dass du mir eine solche Ergebenheit
beweisest,“ erwiderte die junge Schöne. „Ich bin mit dir zufrieden,
und ich wünsche, dass du es auch mit mir werden mögest. Man bringe,“
fügte sie hinzu, „ihm wohlriechende Sachen und Rosenwasser.“ Bei
diesen Worten entfernten sich zwei Sklavinnen und kamen sogleich wieder, die
eine mit einem silbernen Räucherpfännchen, voll des trefflichsten Aloeholzes,
womit sie ihn durchräucherte, und die andere mit Rosenwasser, welches sie ihm
auf das Gesicht und die Hände sprengte. Mein Bruder war ganz außer sich, so
vergnügt war er über diese ehrende Behandlung.

Nach dieser Zeremonie befahl die junge Schöne den
Sklavinnen, welche bereits gesungen und gespielt hatten, ihr Konzert wieder
anzufangen. Sie gehorchten, und während dieser Zeit rief die schöne Frau eine
andere Sklavin, und befahl ihr, meinen Bruder abzuführen, indem sie zu ihr
sagte: „Tue ihm das, was du schon weißt, und wenn du fertig bist, so
führe ihn wieder zu mir her.“ Alhedar, welcher diesen Befehl vernahm,
stand schnell auf, näherte sich der Alten, die ebenfalls aufgestanden war, um
ihn zu begleiten, und bat sie, ihm zu sagen, was man mit ihm vorhabe.
„Unsere Gebieterin tut das bloß aus Neugierde,“ erwiderte ihm die
Alte ganz leise. „Sie möchte nämlich gern wissen, wie du wohl als Frau
verkleidet aussehen würdest, und diese Sklavin, welche dich fortführen soll,
wird dir die Augenbrauen schminken, dir den Knebelbart abscheren und dich als
Frau anziehen.“ – „Die Augenbrauen mag man mir schminken, so viel man
nur Lust hat,“ antwortete mein Bruder, „ich gebe es gern zu, da ich
mir es ja hernach wieder abwaschen kann, aber das Abscheren meines Bartes
betrifft, so siehst du wohl ein, dass ich das nicht zugeben kann. Wie dürfte
ich es nachher wagen, mich ohne Knebelbart öffentlich zu zeigen?“ –
„Weigere dich ja nicht, das zu tun, was man von dir verlangt,“
erwiderte darauf die Alte, „du würdest dir das ganze Spiel verderben, was
jetzt so schön steht. Man liebt dich, man will dich glücklich machen, darf man
wohl um eines elenden Knebelbartes willen die kostbarste Gunst verscherzen, die
ein Mann nur irgend zu erlangen vermag?“ Alhedar gab den Gründen der Alten
nach, und ließ sich, ohne ein Wort zu reden, von der Sklavin in ein Zimmer
führen, wo man ihm die Augenbrauen rot schminkte. Sodann schor man ihm den
Knebelbart ab, und schickte sich an, ihm auch den Bart abzuscheren. Die
Willfährigkeit meines Bruders hatte jetzt ihre äußersten Grenzen erreicht.
„Oh,“ rief er aus, „was meinen Bart anbetrifft, so lasse ich mir
ihn durchaus nicht abschneiden.“ Die Sklavin stellte ihm vor: Er habe ja
dann ganz zwecklos seinen Knebelbart eingebüßt, wenn er sich nicht auch den
Bart abscheren lassen wolle. Ein bärtiges Gesicht passe nicht zu
Frauenkleidung, und sie müsse sich wundern, dass ein Mann, der auf dem Punkt
stehe, das schönste Mädchen in Bagdad zu besitzen, noch die mindeste
Rücksicht auf seinen Bart nehmen könne. Die Alte fügte zu diesen äußerungen
der Sklavin neue Gründe hinzu, und drohte meinem Bruder mit der Ungnade der
jungen und schönen Frau. Kurz sie redete ihm so viel vor, dass er endlich
alles, was man wollte, mit sich vornehmen ließ.

Sobald er als Frau angezogen war, führte man ihn wieder
vor die schöne junge Dame. Welche so heftig zu lachen begann, dass sie auf dem
Sofa, worauf sie saß, völlig umfiel. Die Sklavinnen taten dasselbe, indem sie
in die Hände klatschten, so dass mein Bruder in die höchste Verlegenheit
geriet. Die junge Schöne stand auf, und sagte unter fortwährendem Lachen zu
ihm: „Nach der großen Gefälligkeit, die du für mich gehabt hast, würde
ich sehr unrecht tun, wenn ich dich nicht von ganzem Herzen liebte, aber du
musst mir zu Liebe noch etwas tun, nämlich so, wie du da bist, tanzen.“ Er
gehorchte, und die schöne junge Frau nebst ihren Sklavinnen tanzten mit ihm,
indem sie sämtlich wie Närrinnen lachten. Nachdem sie eine Weile getanzt
hatten, stürzten sie sich alle auf den Unglücklichen, und gaben ihm so viele
Ohrfeigen, so viele Faustschläge und Fußtritte, dass er davon fast ohne
Besinnung zu Boden fiel. Die Alte half ihm wieder auf, um ihm nicht Zeit zu
lassen, über die schlechte Behandlung, die er soeben erfahren, böse zu werden.
„Tröste dich,“ flüsterte sie ihm ins Ohr, „du bist endlich an
das Ziel deiner Leiden gelangt, und wirst nun den Lohn dafür empfangen
…“

Der anbrechende Tag gebot der Sultanin Scheherasade bei
dieser Stelle Stillschweigen. In der nächstfolgenden Nacht fuhr sie also fort: