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174. Nacht

„Der Müller zwang auf diese Weise meinen Bruder, die
ganze Nacht hindurch die Mühle herumzudrehen. Bei Tagesanbruch verließ er ihn,
ohne ihn loszumachen und begab sich in das Schlafgemach seiner Frau. Babbuk
blieb eine ganze Weile in diesem Zustand. Endlich kam die junge Sklavin und
machte ihn los. „Ach, wie haben wir beide, meine gute Gebieterin und ich,
dich beklagt!“, rief diese Treulose. „Wir haben nicht den mindesten
Anteil an dem bösen Streich, den ihr Mann dir gespielt hat!“ Der
unglückliche Babbuk antwortete ihr nichts, so sehr war er von den Hieben
zerbläut und abgemattet. Allein als er sein Haus erreicht hatte, fasste er den
festen Entschluss, nie mehr an die Müllerin zu denken.

Die Erzählung dieser Geschichte,“ fuhr der Barbier
fort, „machte den Kalifen zu lachen. „Geh,“ sagte er zu mir, und
kehre nach Hause zurück. Man wird dir in meinem Namen etwas verabreichen, um
dich zu trösten, dass du den Schmaus, auf den du dich gefasst gemacht hattest,
versäumtest.“ – „Beherrscher der Gläubigen,“ erwiderte ich,
„ich bitte Euer Majestät, es nicht übel zu nehmen, wenn ich nicht eher
etwas annehme, als bis ich euch die Geschichte meiner übrigen Brüder erzählt
haben werde.“ Da der Kalif mir durch sein Stillschweigen andeutete, dass er
mich anzuhören geneigt sei, fuhr ich in folgender Weise fort:

Geschichte
des zweiten Bruders des Barbiers

„Mein zweiter Bruder, welcher Alhedar, der
Zahnlückige, hieß, ging einst durch die Stadt und begegnete in einer
entlegenen Straße einer alten Frau. Sie redete ihn mit den Worten an: „Ich
habe ein Wort mit dir zu sprechen. Ich bitte dich, bleibe etwas bei mir
stehen.“ Er blieb stehen und fragte sie, was sie von ihm wolle. „Wenn
du Zeit hast, mit mir zu kommen,“ antwortete sie, „so will ich dich in
einen prächtigen Palast führen, worin du eine Frau sehen wirst, die schöner
ist als der Tag. Sie wird dich mit vielem Vergnügen empfangen und dich mit
einem Imbiss und köstlichem Wein bewirten. Weiter darf ich dir wohl nichts
darüber sagen.“ – „Ist das aber auch wahr, was du mir da
sagst?“, fragte hierauf mein Bruder. „Ich bin keine Lügnerin,“
erwiderte die Alte, „ich werde dir nicht vorreden, was nicht wahr ist. Aber
höre, was ich von dir fordere: Du musst dich verständig benehmen, wenig
sprechen, und überaus artig und höflich sein.“ Als Alhedar diese
Bedingung eingegangen war, ging sie voran und er folgte. Sie kamen an die Tür
eines großen Palastes, wo sehr viele Diener und Aufwärter standen. Einige
derselben wollten meinen Bruder anhalten, aber kaum hatte die Alte mit ihnen
gesprochen, so ließen sie ihn auch gehen. Sie wendete sich hierauf zu meinem
Bruder und sagte zu ihm: „Vergiss nicht, dass die junge Frau, zu der ich
dich führe, die Freundlichkeit und Zurückhaltung liebt und keinen Widerspruch
verträgt. Wenn du ihr hierin Genüge leistest, so kannst du darauf rechnen,
dass du von ihr alles erlangen wirst, was du nur irgend wünschst.“ Alhedar
dankte ihr für diesen guten Rat, und versprach, ihn zu benutzen.

Hierauf ließ sie ihn in eine Reihe schöner Zimmer
treten. Sie bildeten ein großes Viereck, welches der Pracht des Palastes
vollkommen entsprach. Eine Galerie lief rings herum, und in der Mitte sah man
einen sehr schönen Garten. Die Alte hieß ihn auf einem sehr schön
überzogenen Sofa Platz zu nehmen und sagte ihm, er möchte einen Augenblick
warten, bis sie die junge Dame von seiner Ankunft benachrichtigt haben würde.

Mein Bruder, der noch niemals einen so glänzenden Ort betreten hatte, fing
jetzt an, alle die Schönheiten, die sich seinem Auge darboten, zu betrachten,
und indem er von der Pracht, die er da sah, auf großen Reichtum schloss, hatte
er Mühe, seine Freude zu unterdrücken. Er hörte alsbald ein großes
Geräusch, welches von einem Trupp lustiger Sklavinnen herrührte, die mit
lautem Gelächter auf ihn zukamen. In ihrer Mitte bemerkte er eine junge Frau
von außerordentlicher Schönheit, die durch die Achtung, die man ihr erwies,
sich als ihre Gebieterin leicht kenntlich machte. Alhedar, der sich auf eine
Privatunterhaltung mit der Schönen gefasst gemacht hatte, war außerordentlich
überrascht, als er sie in so zahlreicher Gesellschaft kommen sah. Indes die
Sklavinnen, als sie sich ihm näherten, nahmen eine ernsthafte Miene an, und
sobald die junge Schöne dem Sofa nahe gekommen war, stand mein Bruder auf und
machte ihr eine tiefe Verbeugung. Sie nahm den Ehrenplatz ein, bat ihn dann,
sich auf seinen Ort zu setzen, und sagte lächelnd zu ihm: „Es freut mich,
dich zu sehen, und ich wünsche dir alles mögliche Gute, was du dir nur selber
wünschen magst.“ – „Gnädige Frau,“ erwiderte Alhedar, „ich
kann mir wohl nicht Größeres wünschen, als die Ehre, die ich heute habe, vor
euch zu erscheinen.“ – „Ihr scheint mir guter Laune zu sein,“
erwiderte sie, „und zu wünschen, dass wir die Zeit miteinander angenehm
hinbringen.“

Sie befahl einen Imbiss aufzutragen. Augenblicklich
besetzte man eine Tafel mit mehreren Körbchen voll Früchte und Konfekt, und
sie nahm mit meinem Bruder und ihren Sklavinnen daran Platz. Da er ihr
gegenüber saß, so bemerkte sie, als er den Mund beim Essen öffnete, dass er
Zahnlücken habe, und machte sogleich auch ihre Sklavinnen darauf aufmerksam,
welche nebst ihr von Herzen darüber lachten. Alhedar, der von Zeit zu Zeit den
Kopf emporhob, um sie anzusehen, und sie lachen sah, dachte, dies geschähe vor
Freuden über seine Ankunft, und schmeichelte sich mit der Hoffnung, dass sie
sehr bald ihre Sklavinnen entfernen würde, um mit ihm ohne Zeugen zu sein. Sie
merkte, dass er diesen Gedanken hatte, und machte sich ein Vergnügen daraus,
ihn in einer so angenehmen Täuschung zu erhalten. Sie sagte ihm viele
Artigkeiten und legte ihm eigenhändig von dem Besten vor, was es da gab.

Als der Imbiss genossen war, stand man von Tisch auf. Zehn
Sklavinnen nahmen Instrumente und fingen an zu spielen und zu singen, während
andere sich zum Tanz anschickten. Mein Bruder tanzte, um sich angenehm zu
machen, ebenfalls mit, und selbst die junge Schöne mischte sich da hinein.
Nachdem man eine Weile getanzt hatte, setzte man sich, um wieder zu Atem zu
kommen. Die junge Dame ließ sich ein Glas Wein geben und sah meinen Bruder
lächelnd an, als heute sie ihm an, dass sie jetzt auf seine Gesundheit trinken
würde. Dieser stand sogleich auf und blieb, während sie trank, in seiner
stehenden Stellung. Als sie getrunken hatte, ließ sie, anstatt das Glas
zurückzugeben, es wieder füllen, und reichte es sodann meinem Bruder, damit er
ihr Bescheid tun möchte.“

Scheherasade wollte in ihrer Erzählung fortfahren, da sie
indes bemerkte, dass es schon Tag sei, so hörte sie auf. Die folgende Nacht
nahm sie wieder das Wort und sagte zu dem Sultan von Indien: