Project Description

173. Nacht

„Mein Bruder,“ fuhr der Barbier fort,
„hatte fünf bis sechs Tage an diesen zwanzig Hemden für den Müller zu
arbeiten, der ihm hierauf ein anderes Stück Leinwand gab, um ihm daraus ebenso
viel Unterbeinkleider zu machen. Sobald sie fertig waren, trug sie Babbuk zu dem
Müller, der ihn fragte, was er ihm für seine Mühe schuldig sei? Mein Bruder
sagte, dass er sich mit zwanzig Silberdrachmen begnügen würde. Der Müller
rief sogleich seine junge Sklavin, und befahl ihr, ihm die Goldwaage zu bringen,
um nachzusehen, ob das Geld, welches er ihm geben wollte, auch wohl vollwichtig
sei. Die Sklavin, welche in die Verabredung eingeweiht war, sah meinen Bruder
zornig an, um ihm anzudeuten, dass er alles verderben würde, wenn er Geld
nähme. Er nahm die Sache nun für entschieden an, und weigerte sich, etwas
anzunehmen, obwohl er gar sehr Geld bedurfte, und sich sogar das Geld zu dem
Zwirn hatte borgen müssen, womit er die Hemden und Unterbeinkleider genäht
hatte. Beim Weggehen aus dem Haus des Müllers kam er zu mir und bat mich, ich
möchte ihm doch etwas zu seinem Lebensunterhalt leihen, wobei er mir zugleich
erzählte, dass man ihn gar nicht bezahle. Ich gab ihm etwas Geld, das ich grade
bei mir hatte, und davon lebte er dann einige Tage hindurch. Freilich lebte er
da bloß von Brei und aß sich selbst daran nicht einmal satt.

Eines Tages kam er in das Haus des Müllers, welcher eben
damit beschäftigt war, seine Mühle in Gang zu bringen, und in der Meinung, er
komme, sich das Geld zu holen, ihm sofort Bezahlung anbot. Doch die junge
Sklavin, die zugegen war, gab ihm nochmals ein Zeichen, welches ihn bewog,
nichts anzunehmen, sondern dem Müller zu sagen, er komme nicht deshalb, sondern
bloß, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Der Müller dankte ihm
dafür, und gab ihm noch obendrein ein Kleid zu machen. Babbuk brachte es ihm
schon den folgenden Tag. Der Müller zog seinen Geldbeutel. Die jungen Sklavin
sah in diesem Augenblick meinen Bruder bloß an. „Lieber Nachbar,“
sagte dieser sogleich zu dem Müller, „es drängt ja nicht. Wir können uns
ein andermal berechnen.“ – Somit ging denn der arme Narr, mit drei großen
Krankheiten behaftet, nach seinem Laden zurück, nämlich mit Liebe, Hunger und
Armut.

Die Müllerin war geizig und boshaft. Es war ihr nicht
genug, dass sie meinen Bruder um die schuldige Bezahlung gebracht hatte, sondern
sie reizte auch ihren Mann noch auf, Rache zu nehmen für die Liebe, die er zu
ihr hegte. Sie taten demnach folgendes. Eines Abends lud der Müller meinen
Bruder zum Abendessen ein, und nachdem er ihn sehr schlecht bewirtet hatte,
sagte er zu ihm: „Lieber Bruder, es ist für dich zu spät, um nach Hause
zu gehen. Bleibe nur hier.“ Mit diesen Worten führte er ihn an einen Ort,
wo ein Bett stand. Dort verließ er ihn und begab sich mit seiner Frau nach
ihrem gewöhnlichen Schlafgemach. Um Mitternacht kam der Müller und suchte
meinen Bruder auf. „Lieber Nachbar,“ sagte er zu ihm, „schläfst
du? Meine Mauleselin ist krank, und ich habe sehr viel Getreide zu mahlen. Du
würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du anstatt ihrer die Mühle drehen
wolltest.“ Babbuk, um sich ihm als einen gefälligen Mann zu zeigen,
antwortete ihm: Er sei bereit, ihm diesen Dienst zu leisten, sofern er ihm nur
zeigen wolle, wie er die Sache anzugreifen habe. Der Müller band ihn hierauf
mitten um den Leib, wie eine Mauleselin, um die Mühle in Umschwung zu bringen,
gab ihm hierauf einen tüchtigen Peitschenhieb über die Lenden und rief ihm
dabei zu: „Vorwärts, lieber Nachbar!“ – „Ei, was schlägst du
mich denn?“, erwiderte ihm mein Bruder. „Je nun, um dich
anzuspornen,“ antwortete der Müller, „denn ohne dergleichen mag mein
Esel niemals recht gehen.“ Babbuk war von dieser Behandlung sehr
überrascht, gleichwohl wagte er nicht, sich darüber zu beklagen. Als er etwas
fünf bis sechsmal die Runde gemacht hatte, wollte er ausruhen. Allein der
Müller gab ihm ein Dutzend derbe Peitschenhiebe und rief ihm zu: „Immer
rasch und munter, lieber Nachbar, bleibe ja nicht stehen, ich bitte dich, du
musst immerfort gehen, ohne dich zu verschnaufen, sonst verdirbt mir ja das Mehl
…“

Scheherasade hielt bei dieser Stelle inne, da sie sah,
dass es bereits Tag war. Die folgende Nacht nahm sie ihre Rede folgendermaßen
auf: