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172. Nacht

„Die Müllerin hatte kaum die Gefühle meines Bruders
erkannt, als sie auch, anstatt darüber böse zu werden, beschloss, ihren Scherz
damit zu treiben. Sie sah ihn mit einer lächelnden Miene an. Mein Bruder sah
sie gleichfalls an, aber mit einer so possierlichen Gebärde, dass die Müllerin
schnell das Fenster zumachte, aus Furcht, darüber laut auflachen zu müssen,
und dadurch meinem Bruder zu erkennen zu geben, dass sie ihn höchst lächerlich
finde. Der gutmütige Babbuk legte dies indes zu seinem Vorteil aus, und
unterließ nicht, sich zu schmeicheln, dass man ihn mit Vergnügen betrachtet
habe.

Die Müllerin fasste nun den Entschluss, mit meinem Bruder
ihren Scherz zu treiben. Sie hatte in Stück schönen Seidenstoff, woraus sie
sich schon längst hatte ein Kleid machen lassen wollen. Sie wickelte dies nun
in ein schön gesticktes Tuch ein, und schickte es ihm durch eine junge Sklavin
zu, die sie im Haus hatte. Die Sklavin, welche von allem gut unterrichtet war,
kam zu dem Laden des Schneiders, und sagte zu ihm: „Meine Gebieterin lässt
dich grüßen und bittet dich, ihr aus dem Stück Stoff, welches ich dir hier
bringe, ein Kleid zu machen, und zwar nach dem beifolgenden Muster. Sie wechselt
oft mit den Kleidern, und sie ist überhaupt ein Kunde, mit welchem du sehr
zufrieden sein wirst.“ Mein Bruder zweifelte jetzt gar nicht mehr daran,
dass die Müllerin wirklich ihn ihn verliebt sei. Er glaubte dass sie bloß
darum so unmittelbar nach dem neuesten Vorfall ihm Arbeit sende, um ihm zu
zeigen, dass sie im Innern seines Herzens gelesen, und ihn von dem Glück zu
versichern, welches er in ihrem Herzen gemacht habe. Von dieser günstigen
Meinung befangen, trug er der Sklavin auf, ihrer Gebieterin zu sagen, dass er um
ihretwillen alles übrige liegen lassen, und dass das Kleid den folgenden Morgen
fertig sein würde. Auch arbeitete er wirklich so emsig, dass er das Kleid noch
denselben Tag fertig machte.

Den folgenden Tag kam die junge Sklavin, um nachzusehen,
ob das Kleid fertig sei. Babbuk gab es ihr gut zusammengelegt, mit den Worten:
„Es liegt mir zu viel daran, deiner Gebieterin Genüge zu leisten, als dass
ich ihr Kleid nachlässig gemacht haben sollte. Ich möchte sie gern durch meine
Sorgfalt einladen, künftig bloß bei mir arbeiten zu lassen.“ Die junge
Sklavin tat einige Schritte, um wegzugehen, drehte sich dann um und sagte ganz
leise zu meinem Bruder: „Ach, ich hätte beinahe vergessen, einen Auftrag
auszurichten. Meine Gebieterin lässt dich grüßen und fragen, wie du die
vergangene Nacht geschlafen hast. Die arme Frau liebt dich so unaussprechlich,
dass sie kein Auge hat zutun können.“ – „Sag ihr nur,“ erwiderte
mein einfältiger Bruder, „ich hätte zu ihr eine so heftige Zuneigung
erfasst, dass ich schon seit vier Nächten kein Auge zugeschlossen.“ Nach
diesem Gruß von Seiten der Müllerin, glaubte er hoffen zu dürfen, dass sie
ihn nicht lange mehr nach ihren Gunstbezeugungen würde schmachten lassen.

Es war kaum eine Viertelstunde verflossen, dass die
Sklavin meinen Bruder verlassen hatte, als er sie schon wieder mit einem Stück
Atlas kommen sah. „Meine Gebieterin,“ sagte sie zu ihm, „ist mit
dem Kleid sehr zufrieden. Es steht ihr ganz vortrefflich. Allein, da es so
schön ist, und da sie es nur mit neuen Unterbeinkleidern tragen will, so lässt
sie dich bitten, ihr wenigstens ein Paar von diesem Stück Atlas zu
machen.“ – „Ganz wohl,“ antwortete Babbuk, „es wird heute
noch fertig gemacht werden, ehe ich aus meinem Laden fortgehe. Du darfst es nur
gegen den Abend abholen.“ Die Müllerin zeigte sich oft am Fenster, und
verschwendete alle ihren Liebreiz, um meinem Bruder Mut zu machen. Es war ein
angenehmer Anblick, ihn arbeiten zu sehen. Die Unterbeinkleider waren sehr bald
gemacht. Die Sklavin holte sie ab, brachte ihm aber weder Geld für die
gemachten Auslagen zum Kleid und zu den Unterbeinkleidern, noch den Macherlohn
für seine Arbeit. Unterdes hatte dieser unglückliche Liebhaber, mit dem man,
ohne dass er es merkte, einen Scherz trieb, den ganzen Tag über nichts
gegessen, und musste sich endlich etwas Geld borgen, um zu Abend essen zu
können. Als er am folgenden Tag eben seinen Laden geöffnet hatte, meldete ihm
die junge Sklavin, dass der Müller ihn zu sprechen wünsche. „Meine
Gebieterin,“ fügte sie hinzu, „hat ihm deine Arbeit gezeigt und so
viel Gutes von dir gesagt, dass er jetzt auch bei dir arbeiten lassen will. Sie
hat dies absichtlich getan, damit die Verbindung, welche sie zwischen dir und
ihm einzuleiten gedenkt, auch zur Erreichung des Zieles beitrage, wonach ihr
beide gleich sehnlich trachtet.“ Mein Bruder ließ sich überreden und ging
mit der Sklavin in die Mühle. Der Müller empfing ihn sehr gut, und
überreichte ihm ein Stück Leinwand, indem er sagte: „Ich brauche Hemden,
hier ist Leinwand dazu. Ich wünschte, dass du mir zwanzig Stück machst. Sollte
etwas davon übrig sein, so kannst du mir es ja zurückgeben …“

Bei diesen Worten wurde Scheherasade durch die Tageshelle
überrascht, welche in das Zimmer Schachriars hineinzuleuchten begann, und
schwieg daher plötzlich still. In der folgenden Nacht fuhr sie in der
Geschichte Babbuks folgendermaßen fort: