Project Description

170. Nacht

Da ich alles gehört hatte, was der Barbier zu dem Kadi
sagte, so suchte ich einen Ort, um mich zu verbergen. Ich fand keinen anderen,
als eine große Kiste, in welche ich mich warf, und welche ich sodann zumachte.
Nachdem der Barbier überall herumgeschnüffelt hatte, kam er auch in das
Zimmer, in welchem ich mich befand. Er nahte sich der Kiste, öffnete sie, hob
sie, sobald er mich erblickt hatte, auf seinen Kopf, und trug mich von dannen.
Er stieg eine sehr hohe Treppe hinunter in einen Hof, durch welchen er schnell
hindurchging und endlich die Türe, welche auf die Straße führte, erreichte.
Während er mich so trug, öffnete sich unglücklicherweise die Kiste, und da
ich nun die Schmach nicht erdulden konnte, mich den Blicken und dem Gespötte
des Pöbels, welcher uns nachlief, ausgesetzt zu sehen, so sprang ich mit
solcher Eile auf die Straße, dass ich mir das Bein bedeutend verletzte, und
seitdem immer lahm geblieben bin. Ich fühlte mein ganzes übel nicht sogleich,
und stand auf, um mich dem Gelächter des Volkes durch eine schnelle Flucht zu
entziehen. Ich warf sogar mit wollen Händen Silber und Gold aus, womit mein
Beutel angefüllt war, und während das Volk es aufraffte, entwischte ich durch
abgelegene Straßen.

Aber der verdammte Barbier, der die List benutzte, deren
ich mich bediente, um mich von der Menge loszumachen, folgte mir, ohne mich aus
dem Gesicht zu verlieren, und rief mir aus Leibeskräften zu: „Haltet,
Herr, warum lauft ihr denn so? Wüsstet ihr nur, wie betrübt ich über die
schändliche Behandlung bin, die euch der Kadi hat widerfahren lassen, euch, der
ihr so großmütig seid, und dem ich und meine Freunde so vielen Dank schuldig
sind! Hab‘ ich’s euch nicht gesagt, dass ihr durch eure Halsstarrigkeit, mich
nicht mit euch nehmen zu wollen, euer Leben in Gefahr setztet? Da seht ihr nun,
was euch durch eure Schuld begegnet ist, und wenn ich nicht darauf beharrt
wäre, euch zu folgen, wo ihr auch hingingt, was würde aus euch geworden sein?
Aber wohin geht ihr denn, Herr? Wartet doch auf mich.“

So redete der unselige Barbier ganz laut auf der Straße.
Er begnügte sich nicht damit, in dem Viertel des Kadi’s einen solchen Lärm
veranlasst zu haben, die ganze Stadt sollte davon erfahren. Wütend, wie ich
war, hatte ich Luft, ihn zu erwarten, um ihn zu erdrosseln, aber ich würde
dadurch meinen Zustand nur noch auffallender gemacht haben. Ich ergriff ein
anderes Teil, da ich sah, dass sein rufen mich zum Schauspiel einer großen
Menge von Leuten machte, welche an den Türen und Fenstern erschienen, oder auf
den Straßen stehen blieben: Ich ging in einen Khan, dessen Aufseher ich kannte.
Ich fand ihn an der Türe, wohin der Lärm ihn gelockt hatte. „Ich bitte
euch um Gotteswillen,“ sagte ich zu ihm, „verhindert diesen Rasenden,
mir in den Khan zu folgen.“ Er versprach mir’s und hielt Wort, aber nicht
ohne Mühe, denn der starrköpfige Barbier wollte trotz seiner Abwehr
eindringen, entfernte sich erst, nachdem er ihm tausend Schimpfreden gesagt
hatte, und hörte, auf dem Weg nach Hause, nicht auf, allen denen, welchen er
begegnete, den großen Dienst, den er mir geleistet haben wollte, mit
übertreibungen zu erzählen.

Auf diese Weise befreite ich mich von einem so
beschwerlichen Menschen. Der Aufseher des Khans bat mich nun, ihm meine
Geschichte zu erzählen. Ich tat es. Hierauf bat ich ihn meinerseits, mir bis zu
meiner Genesung ein Zimmer zu vermieten. „Herr,“ sagte er zu mir,
„würdet ihr in eurer Wohnung nicht mehr Bequemlichkeit haben?“ –
„Ich will nicht in meine Wohnung zurückkehren,“ erwiderte ich ihm,
„dieser abscheuliche Barbier würde nicht unterlassen, mich dort
aufzusuchen. Ich würde täglich von ihm belästigt werden, und mich endlich
noch darüber zu Tode ärgern, dass ich ihn immer vor Augen hätte. übrigens
kann ich nach dem, was mir heute begegnet ist, mich nicht entschließen, länger
in dieser Stadt zu bleiben. Ich will hingehen, wohin mein Geschick mich führen
wird.“

Wirklich nahm ich, sobald ich genesen war, alles Geld,
dessen ich zum Reisen zu bedürfen glaubte, und machte von meinem übrigen
Vermögen eine Schenkung an meine Verwandten.

Ich bin danach von Bagdad abgereist und hierher gekommen.
Ich hatte Ursache, zu hoffen, dass ich diesen Unheil bringenden Barbier nicht in
einem von meinem Vaterland so fernen Land wieder finden würde: Und doch finde
ich ihn hier unter euch. Seid also über meinen Drang, mich zu entfernen, nicht
verwundert. Ihr könnt euch wohl denken, was für ärger mir der Anblick eines
Menschen verursachen muss, der Schuld an meiner Lahmheit und an der traurigen
Notwendigkeit ist, dass ich fern von meinen Verwandten, meinen Freunden und
meinem Vaterland leben muss.“

Nach diesen Worten stand der junge Lahme auf, und ging
fort. Der Herr vom Haus begleitete ihn bis an die Tür, indem er ihm sein
Missvergnügen bezeigte, ihm, wider sein wissen, eine solche Unannehmlichkeit
bereitet zu haben.

„Als der junge Mann sich entfernt hatte,“ fuhr
der Schneider fort, „waren wir alle über seine Geschichte sehr verwundert.
Wir richteten unsere Blicke auf den Barbier, und sagten ihm, dass er Unrecht
hätte, wenn das, was wir eben gehört hätten, wahr wäre. „Meine
Herren,“ erwiderte er uns, indem er sein Haupt erhub, welches er bis dahin
immer gesenkt hielt, „das Stillschweigen, welches ich beobachtet habe, so
lange der junge Mann mit euch gesprochen hat, beweist euch hinlänglich, dass er
nichts von mir erzählt hat, was ich nicht eingestehe. Was er euch aber auch
gesagt hat, ich behaupte dennoch, dass ich tun musste, was ich getan habe. Ihr
mögt selbst darüber richten. Hatte er sich nicht in die Gefahr begeben, und
wäre er ihr, ohne meinen Beistand, so glücklich entgangen? Er hat wohl von
Glück zu sagen, dass er mit einer so leichten Verwundung weggekommen ist. Habe
ich mich nicht einer größeren Gefahr ausgesetzt, um ihn aus einem Haus zu
schaffen, in welchem ich ihn misshandelt glaubte? Hat er also Ursache, sich
über mich zu beklagen, und mir so abscheuliche Beleidigungen zu sagen? Das hat
man davon, wenn man undankbaren Leuten dient. Er beschuldigt mich, ein
Schwätzer zu sein, das ist eine bloße Verleumdung: Von sieben Brüdern, die
wir waren, bin ich derjenige, welcher am wenigsten spricht und den meisten
Verstand besitzt. Um euch davon zu überzeugen, meine Herren, brauche ich euch
nur meine und ihre Geschichte zu erzählen. Gönnt mir, ich bitte euch, eure
Aufmerksamkeit.

Geschichte
des Barbiers

„Unter der Regierung des Mostanser Billah1),
eines Fürsten, der durch seine Freigebigkeit gegen die Armen so berühmt
geworden, machten zehn Räuber die Straßen um Bagdad unsicher. Der Kalif ließ
einige Tage vor dem Ba