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17. Nacht

In der folgenden Nacht verlangte der Sultan den Verfolg
der Abenteuer des Prinzen von Karisme zu hören, und die Sultanin fuhr
folgendermaßen fort:

„Der Prinz von Karisme sah wohl ein, wenn er diese Verbindung nicht
annähme, so würde der König der Samsaren, durch seine Weigerung gereizt,
nicht ermangeln, ihn töten zu lassen, und willigte endlich in diese Heirat. Er
vermählte sich also mit der Prinzessin. Sie hatte den schönsten Hundskopf auf
der ganzen Insel: gleichwohl konnte er sich nicht daran gewöhnen, und er hatte
einen vollkommenen Abscheu vor ihr; je mehr Liebkosungen sie ihm machte, je
abschreckender fand er sie.

Dieser Widerwille hätte für den Prinzen verdrießliche Folgen haben können;
aber der Engel des Todes kam ihnen zuvor, und nahte sich dem Bette der
Prinzessin, welche wenige Tage nach ihrer Verheiratung starb.

Der Prinz freute sich in sich selber, sich von einer so abscheulichen Frau
befreit zu sehen, als er vernahm, dass es Brauch war auf dieser Insel, so wie
auf der von Serendib1), den Wittwer mit seiner verstorbenen Frau lebendig zu
begraben, wie die Witwe mit dem verstorbenen Manne. Man sagte ihm, dass die
Könige ebenfalls diesem schrecklichen Gesetz unterworfen wären; dass die
Samsaren so daran gewöhnt wären, dass sie ohne Kummer den Tag ihres
Begräbnisses herannahen sähen; dass dieser Tag sogar ihnen vielmehr ein Tag
der Freude denn ein Tag der Traurigkeit schiene, indem die einer solchen
Beerdigung beiwohnenden Männer und Frauen dabei tanzten und Lieder sängen, die
mehr geeignet wären Freude als Trauer zu erregen.

Diese Nachricht verursachte dem Prinzen von Karisme einen unaussprechlichen
Schmerz: gleichwohl musste er der Notwendigkeit weichen. Man setzte ihn, wie
seine Frau, auf eine offene Bahre, mit einem Brot und einem Kruge Wasser, und
trug sie an den Ort des Begräbnisses.

Dieses war eine tiefe und weite unterirdische Höhle, welche man eigens dafür
auf dem Felde ausgegraben hatte. Zuvorderst ließ man die Prinzessin mit einem
Seile hinab. Hierauf teilten alle Personen des Leichengefolges sich in zwei
Reihen, zu tanzen und zu singen. Die Jünglinge mit ihren Geliebten stellten
sich auf die eine Seite, und auf die andere die Neuvermählten. Die ersten fassten
sich bei der Hand, tanzten im Reigen, während in ihrer Mitte einer der
Jünglinge folgende Persische Verse sang:

„Hier sind die Fesseln der Liebe ewige Fesseln: wenn der Engel der Ehe uns
mit unsern Geliebten verbindet, so schwören wir ihnen Treue bis in den Tod; und
aus Furcht, unser Gelübde zu brechen, begraben wir uns mit ihnen.“

Die Neuvermählten tanzten paarweise, das heißt, jeder Mann mit seiner Gattin,
und jede Frau sang abwechselnd diese Verse:

„Wollen wir nicht, geliebter Gatte, einer des andern Tod fürchten, so lass
uns einander beständig lieben; aber so zärtlich muss unsere Liebe sein, dass
wir einander nicht überleben können.“

Nach allen diesen Tänzen und Gesängen, welche den Prinzen von Karisme kein
sonderliches Vergnügen machten, ließ man ihn eben so, wie seine Frau, in die
Höhle hinab, deren öffnung man sogleich mit einem schweren Steine verschloss.

Als er sich in diesem entsetzlichen Abgrunde sah, rief er aus: „O mein
Gott! In welchen Zustand lassest du mich versinken? Ist dies das Los, das du
für einen Prinzen aufbehalten hast, der immerdar getreulich die Vorschriften
des Korans befolgt hat? Hast du mich nur den Bitten meines Vaters gewährt, um
mich dem grausamsten Tode zu weihen?“ Indem er also sprach, fing er
bitterlich an zu weinen.

Obwohl ohne Hoffnung, aus diesem verhängnisvollen Orte zu entkommen, unterließ
er jedoch nicht, sobald er sich auf dem Boden fühlte, aus dem Sarge
aufzustehen, und tappend längs einer Mauer hin zu gehen, die ihm aufstieß.

Er hatte noch nicht hundert Schritte gemacht, als seine Augen plötzlich durch
den Glanz eines Lichtes getroffen wurden, welches er vor sich erblickte; er
beschleunigte sogleich seine Schritte, und kam bald dem Lichte so nahe, dass er
bemerkte, dass es eine Frau war, die eine Wachskerze in der Hand hielt.

Er näherte sich ihr noch mehr; aber die Frau, sobald sie den Schall seiner
Tritte hörte, blies das Licht aus. „O Himmel!“ sagte darauf der
Prinz, „sollte ich mich getäuscht haben? Habe ich nicht wirklich ein Licht
gesehen? Sollte es nur ein Gespenst meines verwirrten Geistes gewesen sein? Ohne
Zweifel, es ist eine Täuschung. Ach, unglückseliger Prinz! Gib für immer die
Hoffnung auf, die Sonne wieder zu sehen. Da bist du nun in die ewige Nacht
hinab gestiegen, noch vor dem von der Natur gesetzten Ziele. O König von
Karisme! Unglücklicher Urheber meines Daseins, gib die Hoffnung meiner Heimkehr
auf. Ach! dein Sohn wird nicht die Stütze und der Trost deines Alters sein: er muss
hier auf die qualvollste Weise umkommen!“

als er diese letzten Worte aussprach, hörte er eine Stimme, welche zu ihm
sagte: „Tröstet euch, Prinz; da ihr der Sohn des Königs von Karisme seid,
so sollt ihr hier nicht eure Tage beschließen: ich will euch retten, unter der
Bedingung, dass ihr mir zuvor versprechet, mich zu heiraten.“ –
„Herrin,“ antwortete der Prinz, „es ist ohne Zweifel eine harte
Bestimmung, mit fünfzehn Jahren lebendig begraben zu sein: aber ich will lieber
alle Härte derselben erdulden, als euch dieses Versprechen tun, wenn ihr meiner
verstorbenen Frau ähnlich seid. Habt ihr, wie sie, einen Hundskopf, so ist es
mir unmöglich, euch zu lieben.“ – „Ich bin keine Samsarin,“ erwiderte
die Frau; „übrigens bin ich nur vierzehn Jahre alt, und ich glaube nicht, dass
mein Gesicht euch Furcht machen wird.“

Indem sie dieses sagte, zündete sie die Wachskerze wieder an, und ließ den
Augen des Prinzen ein Gesicht entgegen leuchten, dessen Schönheit ihn
erstaunte.

„Welche Reize!“ rief er mit Entzücken aus, „nichts ist mit dem
zu vergleichen, was ich erblicke. Aber um Himmels willen, schönes Fräulein,
saget mir, wer seid ihr; ihr müsst eine Fe sein, weil ihr mir gesagt habt, dass
ihr mich aus diesem Abgrunde ziehen könnet.“ –

„Nein, Herr,“ sagte das Fräulein, „ich bin keine Fee, ich bin
die Tochter des Königs von Georgien, und man nennt mich Dilaram2). Ich will
euch meine Geschichte ein andermal erzählen; gegenwärtig begnüge ich mich,
euch zu sagen, dass ich, durch einen Sturm an diese unselige Insel verschlagen,
und genötigt wurde, um dem Tode zu entgehen: einen samsarischen Herren zu heiraten:
er starb gestern, nach einer langen Krankheit; man begrub auch mich, nach dem
Landesgebrauche, mit einem Brot, und einem Kruge Wasser; aber vor meiner
Beerdigung verbarg ich unter meinem Rock einen Tschakmak3), samt Zunder und
Wachskerze. Sobald ich in diese Gruft hinab gekommen war, und bemerkte, dass man
die öffnung derselben verschlossen hatte, stieg ich aus meinem Sarge, und
zündete die Kerze an: ich empfand nicht ganz das Grauen, welches mich an diesem
schreckensvollen orte hätte ergreifen müssen; der Himmel, welcher meine
Erhaltung wollte, flößte mir ein Vertrauen ein, dem sich mein Herz, ohne zu
wissen warum, hingab. Ich verfolgte einen ziemlich schmalen Weg, der sich vor
mir zeigte, sowohl um mich von den tausend entsetzlichen Gegenständen, die mein
Auge beleidigten, zu entfernen, als um zu sehen, ob ich nicht irgend einen
Ausgang finden könnte. Kaum hatte ich hundert Schritte gemacht, als ich etwas
Weißes erblickte: es war ein großer Marmorstein, der sich meinen Augen
darstellte. Ich näherte mich ihm, und geriet in das äußerste Erstaunen, als
ich eine Inschrift bemerkte, in welcher auch mein Name vorkam. Kommet,
Prinz,“ fuhr Dilaram fort, „kommet und liest diese Inschrift; sie wird
euch nicht weniger überraschung verursachen, als mir.“

Indem sie dieses sprach, gab sie die Kerze dem Prinzen, welcher sich dem Steine
näherte, und auf demselben folgende Worte las:

„Wenn der Prinz von Karisme und die Prinzessin von Georgien hier
zusammenkommen, mögen sie diesen Stein aufheben und die Treppe darunter
hinabsteigen.“

„Aber wie,“ sagte der Prinz, „können wir diesen schweren Stein
emporheben? es würden mehr denn hundert Mann erfordert, um das zu
bewerkstelligen.“ – „Herr,“ sagte die Prinzessin, „wir
wollen doch immer unsere Kräfte versuchen; irgend ein Weiser ist bei unsern
Angelegenheiten im Spiele, und ich habe eine Vorahnung, dass wir uns von hier
aus befreien werden.“

Der Prinz gab die Kerze wieder an Dilaram, und schickte sich an, den Stein zu
lüften, aber er hatte nichts nötig, all seine Kräfte anzustrengen, denn
sobald er ihn nur berührte, schob er sich von selber weg, und darunter erschien
eine Treppe.

Beide stiegen sogleich hinab in eine andere Gruft, von wo sie in einen langen
Gang traten, der sie bis in eine am Fuß eines Berges ausgehauene Höhle
führte; durch diese traten sie wieder ans Licht, und befanden sich am Ufer
eines Flusses.

Als gute Moslemin4), wie sie waren, warfen sie sich nieder und beteten; und
nachdem sie Gott den schuldigen Dank gesagt, erblickten sie am Ufer des Flusses
eine kleine Barke, welche sie zuvor nicht bemerkt hatten. Sie zweifelten nicht, dass
es ein neues Wunder wäre, welches die göttliche Güte für sie gewirkt hatte.
Das verdoppelte ihre Freude über das Wiedersehen des Tage; und obschon die
Barke ohne Ruder und Matrosen war, so traten sie dennoch mit Vertrauen hinein.
„Diese Barke,“ sagte der Prinz, „wird ohne Zweifel von unserm
Schutzengel gesteuert, welcher dafür sorgen wird, uns an irgend einen bewohnten
Ort zu führen. Folgen wir dem Laufe des Stromes, und fürchten wir
nichts.“

Sie überließen sich der Strömung, deren Schnelligkeit im Fortgange immer
zunahm; denn der Fluss verengte sich allmählich immer mehr, um zwischen zwei
Bergen durchzudringen, deren Gipfel sich vereinigten, und ein unermessliches
Gewölbe bildeten, worin es sehr dunkel war, dass man weder Himmel noch Erde
sah. Die Barke wurde in dieses Gewölbe so gewaltig hineingezogen, dass der
Prinz und die Prinzessin sich schon verloren glaubten. Sie fingen an zu
fürchten, dass der Himmel nicht so viel Sorge für ihr leben trüge, als sie
sich eingebildet hatten. In der Tat, bald wurden sie hoch bis an das Gewölbe
empor gehoben, und bald schienen sie in den Abgrund hinab zu fahren. sie sparten
bei dieser Gelegenheit keine Gebete, und sie wurden erhört. die Barke trat
endlich aus dem Gewölbe hervor, und der Strom schob sie ans Ufer.

Sie stiegen sogleich ans Land; und wieder Muth fassend, schauten sie nach allen
Seiten in den Gefilden umher, ob sie nicht irgend ein Haus entdeckten, wo sie um
Erfrischungen bitten könnten. sie erblickten auf dem Abhange eines Berges einen
hohen Dom, welcher dem ähnlich war, den man Kubbay Chiramant5) nennt. Sie
richteten ihre Schritte nach demselben, und als sie sich ihm genähert hatten,
sahen sie, dass er sich in der Mitte eines prächtigen Palastes befand, auf
dessen Türe mehrere hieroglyphisch-kabalistische Figuren standen, mit dieser
Arabischen Inschrift:

„O du, der du in diesen reichen Palast einzutreten wünschest, vernimm, dass
du nicht hineinkommst, wenn du nicht von der Tür ein achtfüßiges Tier
opferst.“

„Da bin ich in meiner Erwartung betrogen,“ sagte die Prinzessin
Dilaram: „ich glaube schon, dass ich das Vergnügen haben würde, das
Innere dieses Palastes zu schauen.“ – „Prinzessin,“ sagte der
Prinz, „ich war von derselben Neugier getrieben; aber es ist unmöglich,
sie zu befriedigen, wir würden vergebliche Anstrengungen machen, um die Türe
zu öffnen. Diese Figuren, welche wir darauf sehen, bilden einen Talisman, der
es verhindert.“ – „Wohlan denn,“ sagte die Prinzessin von
Georgien; „setzen wir uns auf diesen Rasen nieder, um uns einen Augenblick
auszuruhen, und zu überlegen, was wir nun tun sollen.“ – „Meine
Prinzessin,“ erwiderte der Prinz von Karisme, „erzählet mir lieber
eure Geschichte, ich bin höchst ungeduldig, sie zu vernehmen.“

„Ich will sie euch mit wenigen Worten erzählen, Herr,“ antwortete
Dilaram. „Der König von Georgien, mein Vater, ließ mich in seinem Palast
mit aller Sorgfalt erziehen, deren nur ein Vater fähig ist, der seine Kinder
zärtlich liebt. Ein junger Prinz unsers Hauses, welcher die Freiheit hatte,
mich manchmal zu sehen, hegte für mich Empfindungen, die seiner Ruhe
gefährlich waren. Er leibte mich, und ich fing an, seine Liebe zu erwidern, als
der Großwesir eines benachbarten Königs an dem Hof von Georgien ankam, und
für seinen Herren um meine Hand warb. Mein Vater, dem diese Verbindung vorteilhaft
schien, willigte ohne Bedenken ein, und ich musste mich zur Abreise mit dem Wesir
anschickten. Der junge Prinz, der mich liebte, war so betrübt über meine
Abreise, dass er vor Schmerz starb, indem er mir Lebewohl sagte. Ich beweinte
seinen Tod auf eine Weise, die alle Welt überzeugen musste, dass ich ihn bei
seinem Leben nicht gehasst hatte; gleichwohl, da man wusste, dass ich meinen
Vater zärtlich liebte, täuschte man sich über die Quelle meiner Tränen, und
wähnte mich zärtlicher, als ich war. Indessen reiste ich mit dem Wesir ab. Wir
schifften uns in ein kleines Fahrzeug ein, um über einen Arm des Meeres zu
setzen, das wir durchschiffen mussten; da erhob sich plötzlich ein so wütender
Sturm, dass unsere Matrosen nicht mehr wussten, was sie tun sollten, und das
Schiff den Winden und Wellen preisgaben, welche uns an die Insel der Samsaren
warfen.

Diese Ungeheuer liefen, auf das Gericht von unserer Ankunft, sogleich an den
Strand, und bemächtigen sich der ganzen Schiffsmannschaft.

Das Folgende kann ich nicht ohne Grauen erzählen: sie fraßen den Wesir samt allen
Personen unsers Gefolges. Was mich betrifft, so gefiel ich einem alten samsarischen
Herrn, welcher mir sagte, wenn ich ihn heiraten wollte, so würde ich dasselbe
Schicksal vermeiden, dem ich sonst nicht entgehen könnte. Ich bekenne euch
aufrichtig, ich hatte eine solche Furcht, gefressen zu werden, obgleich sein
Hundskopf mich jedes Mal grauen machte, wenn ich ihn ansah. Zwei Tage nach
unserer Hochzeit ward er krank. Lange hatte seine Krankheit gedauert, bis
endlich gestern ihn der Tod …“

Der Prinz von Karisme unterbrach bei dieser Stelle ungestüm die Prinzessin,
weil er eine Tarantel auf sie zulaufen sah. „Nehmt euch in Acht,
Herrin,“ rief er aus, „ich sehe eine Tarantel auf euerm Kleide.“
Auf diese Warnung stieß Dilaram, welche wusste, wie gefährlich die Taranteln
sind, einen durchdringenden Schrei aus. Sie sprang schleunig auf, und
schüttelte ihr Kleid: die Tarantel fiel herab, und der Prinz trat mit dem Fuße
darauf, und zerquetschte sie.

Kaum hatte er sie getötet, als sie ein starkes Geräusch vom Palast her
hörten, dessen Pforte sich plötzlich von selber öffnete. Betroffen über
diese Erscheinung, sahen sie einander mit äußerster Verwunderung an. Sie
schlossen aber daraus, dass die Tarantel acht Füße haben müsste, und dass sie
das Tier wäre, dessen Opferung die Inschrift verlangte.

Erfreut über dieses Abenteuer, standen sie auf und gingen nach dem Schlosse.
Sie traten zuvorderst in einen großen Garten, wo Bäume von allen Arten aus
allen Weltteilen versammelt schienen. Die Zweige dieser Bäume schienen mit
reifen Früchten beladen; aber als der Prinz, von Hunger getrieben, sich nahte,
um welche abzubrechen, bemerkte er, dass sie von Gold waren. Mitten im Garten rieselte
ein Bächlein, dessen reines und klares Wasser auf dem Grunde zahllose
Edelsteine sehen ließ.

Nachdem sie den Garten mit aller ihm gebührenden Aufmerksamkeit betrachtet
hatten, gingen sie auf den Dom zu, welcher schon beim Aussteigen aus der Barke
ihre Blicke auf sich gezogen hatte. Er bestand ganz aus Bergkristall; sie gingen
durch denselben, und fürder durch mehrere überall von Gold, diamanten und
Rubinen strahlende Zimmer, ohne jemand zu begegnen. Endlich kamen sie an eine
silberne Türe, welche sie öffneten. Sie traten in ein prachtvolles Gemach, und
fanden darin auf einem Sofa einen Greis mit einer Krone von Smaragden auf dem
Haupte. Sein weißer Bart hing bis auf die Erde hinab, bestand aber nur aus
sechs langen, von einander abstehenden Haaren; ebenso bestand sein Schnauzbart
aus drei haaren auf jeder Seite, welche unter dem Kinne sich mit dem übrigen
Barte vereinigten; überdies waren die Nägel seiner Finger wenigstens eine Elle
lang.

Diese ehrwürdige Gestalt wandte die Augen auf den Prinzen und die Prinzessin,
und sagte zu ihnen; „Ihr jungen Leute, wer seid ihr?“ –
„Herr,“ antwortete der Prinz, „ich bin der Sohn des Königs von
Karisme, und diese schöne Prinzessin ist die Tochter des Königs von Georgien.
Wir wollen euch mit eurer Erlaubnis, unsere Abenteuer erzählen. Ich bin
überzeugt, ihr werdet Mitleid mit uns haben, und ich schmeichle mir, ihr werdet
großmütig genug sein, uns eine Zuflucht zu gewähren.“

„Ja, Prinz,“ erwiderte der Greis, „ich gebe sie euch; seid mir
eins wie das andere willkommen. Da ihr Königskinder seid, und glücklich genug
gewesen, den Eingang in diesen Palast zu finden, so kömmt es nur auf euch an,
meine Annehmlichkeiten zu teilen. bleibt hier bei mir, ihr werdet einer ewigen Glückseligkeit
genießen. Der Tod, welcher alle andere Menschen seine Macht fühlen lässt,
wird euch meiden.“

„Ich war einst König von China. die Länge meiner Nägel verkündigt euch
mein hohes Alter. Eine Umwälzung, die in meinen Staaten vorging, nötigte mich,
sie zu verlassen. Ich begab mich in diese Wüste, ich ließ hier einen Palast
erbauen, durch mehrere Geister, denen ich als Kabalist zu gebieten habe. Es sind
schon tausend Jahre, dass ich hier bin, und ich habe den Vorsatz, ewig zu leben;
denn ich besitze das Geheimnis des Steins der Weisen, und folglich bin ich
unsterblich. Ich will euch dieses wunderbare Geheimnis mitteilen, wenn ihr
einige Jahrzehnte bei mir zugebracht habt. – Meine Rede erstaunt euch,“
fügte er hinzu; „aber was ich euch sage, ist allerdings wahr. Ein Mensch,
der den Stein der Weisen zu bereiten versteht, kann nicht des natürlichen Todes
sterben. Er kann, ich gestehe es, ermordet werden; sein Geheimnis vermag ihn
nicht vor einem gewaltsamen Tode zu schützen: aber um die Gelegenheit dazu zu
vermeiden, darf er sich nur in eine unterirdische Wohnung zurückziehen, oder
sich in einer Wüste einen solchen Palast bauen lassen, wie dieser ist. Hier bin
ich in Sicherheit; Tollkühnheit und Nachstellung vermögen nichts gegen mich
auszurichten. Der Talisman, welchen ihr auf der Türe bemerkt habt, ist auf eine
solche weise zusammengesetzt, dass weder Räuber noch Bösewichte herein treten
können, und wenn sie auch tausend achtfüßige Tiere opferten. Wer ein solches
Tier tötet, muss ein tugendhafter Mensch sein, sonst öffnet sich die Tür ihm
nicht.“

Nachdem der alte König von China seine Rede geendigt hatte, erbot er dem
Prinzen und der Prinzessin seine Freundschaft, und beide entschlossen sich, bei
ihm in dem Palast zu bleiben.

Er fragte sie darauf, ob sie nicht Erfrischungen bedürften, und als sie ihm
dies bejahten, zeigte er ihnen mit dem Finger zwei Springbrunnen, welche sich in
goldene Becken ergossen. Der eine bestand aus köstlichem Wein, und der andere
aus unvergleichlicher Milch, welche, im Niederfallen gerinnend, zu einer Art von
köstlichem Wein, und der andere aus unvergleichlicher Milch, welche, im
Niederfallen gerinnend, zu einer Art von köstlichem Gallert ward. Der alte
König rief drei Geister, und befahl ihnen aufzutragen. Sie deckten sogleich
einen Tisch für drei Personen, und besetzten ihn mit drei Schüsseln der
geronnenen Milch6). Der Prinz von Karisme und die Prinzessin von Georgien aßen
davon mit großer Lust; und von Zeit zu Zeit reichten ihnen die Geister auch von
dem Weine in Schalen von Kristall. Der alte König aber, der Tisch, wegen der
übergroßen Länge seiner Nägel, seiner Hände nicht bedienen konnte, tat
nichts weiter, als den Mund zu öffnen, und einer der Geister gab ihm zu essen
und zu trinken, wie einem Kinde.

Gegen das Ende der Mahlzeit bat dieser gute alte König seine Gäste, ihm ihre
Geschichte zu erzählen; was sie auch, sowohl aus Zuneigung, als dem Rechte der
Gastfreundschaft zu Ehren, gern taten.

Nachdem sie die Erzählung ihrer Abenteuer vollendet hatten, nahm er das Wort,
und sagte zu ihnen: „Tröstet euch beide über eure vergangenen
Unglücksfälle. Ihr seid jung und liebenwürdig, und könnt euch hier, durch
das Gelübde gegenseitiger Treue, das angenehmste Leben bereiten.“

Der Prinz und die Prinzessin, welche sich schon ewige Liebe geschworen hatten,
erneuerten ihren Eid, und vermählten sich vor Seiner Chinesischen Majestät,
welche sie zum Zeugen ihres Bundes nahmen.

Gern hätten diese zärtlichen Gatten jeden Augenblick der Liebe geweiht; aber
aus Gefälligkeit für den alten König, opferten sie einen Teil des Tages, ihn
zu unterhalten, oder vielmehr, alle die Geschichten seiner Zeit anzuhören,
welche er nicht müde ward, ihnen zu erzählen.

Unterdessen ward die Prinzessin schwanger, und gebar gleich zwei kleine Prinzen,
schön von Angesicht wie der Mond. Sie nährte sie selber mit ihrer Milch, und
als sie fähig waren, Unterricht anzunehmen, lehrte sie einer der Geister
tausend wundersame Sache.

Schon waren sie zehn Jahre alt, als die Prinzessin, ihre Mutter, zu dem Prinzen,
ihrem Gemahle, sprach: „Mein teurer Herr, ich muss dir bekennen, dass ich
anfange in diesem Palast mich zu langweilen. Umsonst bietet er meinen Augen
tausend wunderbare Gegenstände dar. Der Zwang, für immer darin zu bleiben,
beraubt ihn für mich aller Reize. Mag der König von China uns immerhin
versichern, dass wir niemals sterben werden, diese Versicherung rührt mich
wenig. Sein Geheimnis schützt nicht vor dem Alter, und es ist vielmehr ein
Unglück, denn ein Glück, vom Alter beschwert zu leben. übrigens möchte ich
auch gern meinen Vater wieder sehen, wenn der Schmerz über meinen Verlust ihm
nicht das Leben geraubt.“

„Meine Königin,“ antwortete der Prinz, „bei dieser
Unsterblichkeit, welche man uns verheißen hat, habe ich kein anderes Vergnügen
im Sinne, als das, dich ewig lieben zu können. Der Himmel ist mein Zeuge, dass
auch ich das größte Verlangen trage, den König, meinen Vater, wieder zu sehen,
dessen Andenken mir oft Tränen entlockt: aber welchen Weg sollen wir
einschlagen, um nach Georgien zu gelangen.“ – „Herr,“ erwiderte
die Prinzessin, „unsere Barke steht noch auf dem Strande, an welchen die Fluten
sie geworfen haben: lass uns ihr zum zweiten Mal unser Schicksal anvertrauen,
und folgen wir dem Strome; er bringt uns vielleicht an irgend einen Ort, wo wir
eine Gelegenheit finden, an den Hof meines Vaters oder in die Staaten des deinen
zu gelangen.“

„Ich willige ein, meine Herrin,“ erwiderte der Prinz, „nur dir zu
gefallen ist all mein Bestreben. Wir wollen diesen Palast verlassen, weil du
dich darin langweilest, und mit den Prinzen, unsern Söhnen, die Barke
besteigen. Aber, ach! welche Betrübnis wird unsere Abreise dem Könige von
China verursachen! Er leibt uns, wie seine Kinder; er glaubt, dass wir ihn nie
verlassen werden: er wird untröstlich sein, wenn wir von ihm scheiden.“
„Lass uns hingehen und mit ihm reden,“ sagte die Prinzessin; „wir
wollen uns verstellen, und um seine Verzweiflung abzuwenden, ihn glauben machen,
dass wir nicht für immer von ihm scheiden wollen.“

Nach dieser Unterhaltung begaben sie sich zu dem alten Könige; sie stellten ihm
vor, dass sie eine so heftige Sehnsucht hätten, ihre Eltern wieder zu sehen, dass
sie ihr nicht wieder stehen könnten; sie baten ihn, in ihre Heimkehr in ihr
Vaterland zu willigen, und versicherten ihn, dass sie binnen einiger Jahre
wieder zu ihm kommen würden.

Auf diese Rede fing der König an zu weinen: „O meine Kinder!“ rief er
aus, „so soll ich euch denn verlieren! Ach! ich werde euch nimmer
wieder sehen,“ – „Herr,“ sagte der Prinz, „lasst uns den
antrieben des Blutes folgen: wenn wir ihnen genug getan haben, so werden wir in
diese Einsamkeit zurückkehren, um mit euch die Süßigkeit der Unsterblichkeit
zu genießen.“

Die Prinzessin wiederholte ihm dasselbe; aber sie mochten ihn immerhin ihrer
Wiederkehr versichern, da er die Wissenschaft Mekaschefa besaß, so las er im
Grunde ihres Herzens, und wusste wohl, dass sie nicht gesonnen waren, ihm ihr Wort
zu halten. Der Schmerz, diese von ihm so überaus zärtlich geliebten Personen
zu verlieren, machte im das Leben unerträglich. Er rief den Engel des Todes,
welchen er seit so vielen Menschenaltern durch die Geheimnisse seiner Kunst von
sich entfernt hielt; er gab die Sorgfalt auf, an welche er sich gewöhnt hatte,
um seine Tage zu verlängern, und ließ sich sterben.

Kaum hatte er den letzten Seufzer ausgehaucht, als seine Geister ihn
entrückten. Der Palast verschwand darauf auch plötzlich, und der Prinz mit
seiner Gattin und seinen Kindern, befanden sich mitten auf dem Felde. Sie
konnten sich nicht enthalten, zu weinen, wenn sie bedachten, dass sie die
Ursache des Todes des alten Königs wären; aber ihr Schmerz wich bald den
lockenden Vorstellungen, welche die Hoffnung, ihre Eltern wieder zu sehen, ihnen
eingab, und sie beschäftigten sich jetzt nur mit ihrer Abreise.

Sie brachen einige Früchte, welche, trotz der Unfruchtbarkeit des Bodens, die
gütige natur eigens für sie in dieser Wüste hervorgebracht zu haben schien.
Sie trugen dieselben in ihre Barke, welche an einen Pfahl gebunden, und noch in
demselben Stande war, in welchem sie sie verlassen hatten. Sie banden sie los,
stiegen alle viere hinein, und überließen sich dem Laufe des Stromes, welcher
eine Viertelmeile von dort sich in das Meer ergoss.

Ein Seeräuber, welcher vor der Mündung dieses Stromes kreuzte, entdeckte die
Barke, nahte sich ihr, und rief dem Prinzen zu, sich zu ergeben, wenn er dem
Tode entgehen wollte. Der Prinz war ohne Waffen, was konnte er da gegen eine so
große Zahl Bewaffneter ausrichten? Anstatt sich unnütz zu verteidigen,
übergab er sich den Händen des Seeräubers, indem er ihn bei allem, was heilig
ist, beschwur, seiner Gattin nicht die Ehre und seinen Kindern nicht das Leben
zu rauben.

Der Räuber, nachdem er sie an Bord genommen hatte, segelte nach einer Insel, wo
er den Prinzen von Karisme aussetzen ließ. Darauf suchte er wieder das Weite,
und nahm die Prinzessin und ihre beiden Söhne mit sich.

Es ist unmöglich, den Jammer des Prinzen und seiner Dilaram zu schildern, als
sie sich also getrennt sahen. So lange der Prinz das Schiff noch sehen konnte,
hörte er nicht auf, dem Räuber nachzurufen. „Ha, Bösewicht!“ schrie
er ihm zu, „wähne nicht, daß Gott deine Schandtat unbestraft lassen wird.
In welchen Winkel der Erde du dich auch verbergen magst, du wirst nicht der
Strafe entgehen, welche seine Gerechtigkeit dir bereitet.“ Darauf sich gen
Himmel richtend, fuhr er fort: „O du gerechter Himmel! Der du mich bisher
immer beschützt, hast du mich jetzo verlassen? Hast du es zulassen können,
dass man mir meine Gattin und meine Kinder entriss? Wehe mir! Wenn du nicht ein
neues Wunder tust, um mir diese so teuren Gegenstände wiederzugeben, so habe
ich mich über deine bisherige Gnade mehr zu beklagen, als glücklich zu
preisen. Warum hast du mich aus so viel Gefahren gerettet? Schobest du mein
Verderben nur auf, bis ich alle Bekümmernisse eines Vaters und Gatten
empfände?“

Während er solche Reden ausstieß, sah er mehrere Leute auf sich zukommen,
welche ihm sehr seltsam schienen. Sie hatten einen Leib wie andere Menschen,
waren aber ohne Kopf: sie hatten ein weites Maul in der Brust und ein Auge an
jeder Schulter. Diese Ungeheuer bemächtigten sich seiner, und führten ihn zu
ihrem Könige.

„Herr,“ sagten sie zu ihm, „hier ist ein Fremdling von sehr
üblem Aussehen, welchen wir auf dem Strande gefunden haben. Er könnte wohl ein
Kundschafter unserer Feinde sein.“ – „Wohlan,“ antwortete der
König, „man bereite einen Holzstoß und verbrenne ihn darauf, nachdem ich
ihn befragt habe. Junger Mensch,“ fuhr er fort, indem er sich zu dem
Prinzen wandte, „wer bist du? Woher kömmst du? Und was führte dich her
auf diese Insel?“

Der Prinz verschwieg ihm nicht seine Abkunft, und machte ihm eine lange und
umständliche Erzählung seiner Abenteuer.

Der König verwunderte sich darüber, und sagte zu ihm: „Prinz, ich sehe
wohl, dass der Himmel euer Leben in besondere Obhut genommen hat. Wenn die
seltsamen Abenteuer, welche ihr mir erzählt habt, es mir nicht bewiesen, so
würden die Regungen des Mitleids, welche sie mir einflößen, mich nicht
länger daran zweifeln lassen. Ich folge diesem Antriebe: ja, ihr sollt leben,
ich gebe euch eine Zuflucht an meinem Hofe, und ich schmeichle mir, dass ihr mir
in dem Kriege, welchen ich mit einem benachbarten König führe, nicht unnütz
sein werdet. Ich will euch die Ursache dieses Krieges sagen. Er und seine Untertanen
sind nicht solche Menschen ohne Kopf, wie wir, sondern sie haben große
Vogelköpfe, und wenn sie sprechen, so gleicht ihre Stimme dermaßen der
Vogelstimme, dass wir, sobald einer von ihnen auf unserer Insel ankömmt, ihn
für einen Strandvogel nehmen, und ihn verzehren. Das missfällt nun ihrem
Könige, welcher, um sich zu rächen, von Zeit zu Zeit eine Flotte ausrüstet,
und hier Landungen versucht. Er hat deren schon mehrere gemacht, die ihm misslungen
sind. Indessen gibt er die Hoffnung nicht auf, uns alle zu vertilgen; und wir
unsererseits hoffen nicht minder, ihn samt seinen Untertanen zu fressen.“

„Das ist der Stand meiner Angelegenheiten,“ fuhr der König der
kopflosen Menschen fort. „Wir sind auf unserer Hut vor überfällen, und
bisher haben wir noch immer die Oberhand über unsere Feinde behalten.“

Der Prinz von Karisme bot dem Könige seinen Arm an, und dieser machte ihn zum
Befehlshaber seines Heeres. Der junge Feldheer säumte nicht, sein Amt
auszuüben, und zu zeigen, dass er dessen nicht unwürdig wäre.

Es erschien bald darauf an der Küste eine große Anzahl von Schiffen. Es war
der König von der Insel der vogelköpfigen Menschen, welcher mit dem
erlesensten Teile seines Volkes eine neue Landung versuchte. Der Prinz von
Karisme ließ ihm Zeit, die hälfte der Truppen auszuschiffen; dann aber griff
er sie mit den Seinen ungestüm an, brachte sie in Unordnung, und zwang sie,
wieder auf ihre Schiffe zu fliehen. Viele von ihnen wurden getötet, eine große
Menge ertrank, und der vogelköpfige König ward gezwungen, mit den übrigen
sich zurückzuziehen.

Niemals hatte der König der kopflosen Menschen einen so glänzenden Sieg
davongetragen. Der Prinz hatte alle Ehre davon; die Soldaten gestanden, dass sie
noch niemals waren so gut geführt worden, und dass keiner ihrer Feldherren,
selbst der berühmteste nicht, so viel Geschicklichkeit gezeigt hatte.

Diese Lobeserhebungen schmeichelten dem jungen Helden, welcher, um sie noch
besser zu verdienen, dem Könige vorschlug, auch seinerseits eine Flotte
auszurüsten und seinen Feinden daheim Schrecken einzujagen. Der König
genehmigte diesen Vorschlag; und eine furchtbare Flotte segelte nach der Insel
der vogelköpfigen Menschen, unter dem Befehle des Prinzen von Karisme.

Er bewerkstelligte seine Landung in der Nacht, und stellte ohne Lärmen seine
Leute in Schlachtordnung, und mit Anbruch des Tages rückte er gegen die Stadt
vor, und überfiel die Einwohner, welche sich eines solchen Angriffs nicht
versahen. Er tötete alles, was ihm widerstand tat. Er nahm den König mit
seinem ganzen Hofe gefangen, und kehrte siegreich nach der Insel der kopflosen
Menschen zurück.

Hier wurde er unter dem Zujauchzen des daheim gebliebenen Volkes empfangen, und
es wurden Freudenfeste angestellt, welche einen Monat lang dauerten. Man
verteilte die Gefangenen unter den Einwohnern, welche sie mit allen den Brühen
verspeisten, womit man Strandvögel zu speisen pflegt. Der besiegte König
selber entging nicht eben dieser Todesart: bei einem Feste wurde er der ganzen
königlichen Familie der kopflosen Menschen aufgetischt.

Nach diesem Feldzuge, welcher den Krieg vollständig beendigte, begann der Prinz
von Karisme ein müßiges Leben zu führen. Er blieb neun Jahre am Hof des
kopflosen Königs, welcher ihn so lieb gewann, dass er eines Tages zu ihm sagte:

„Prinz, ich bin alt, und habe keinen männlichen Erben: ich will euch meine
Krone hinterlassen, unter der Bedingung, dass ihr sie mit meiner Tochter teilt.
Obwohl ihr eine sehr seltsame und gar lächerliche Gestalt habt, so will ich
euch doch gern zu meinem Schwiegersohn annehmen.“

Der Prinz wich diesem Antrage sehr geschickt aus, aber der König kam immer
wieder darauf zurück, und als er bemerkte, dass der Prinz diese Heirat
verabscheute, begann er wieder, mit verändertem Tone: „Prinz,“ sprach
er zu ihm, „es steht euch fein an, die Ehre auszuschlagen, welche ich euch
antun will! Wisset, dass alle Dienste, welche ihr mir geleistet habt, euch nicht
schützen werden, meinen Zorn zu empfinden, wenn ihr noch länger zögert, mir
zu gehorchen! Ihr möget es wohl bedenken: ihr müsst morgen meine Tochter
heiraten, oder ich lasse euch diese Kugel abschlagen, welche sich unaufhörlich
auf euren Schultern dreht und ein sehr schnödes Ansehen macht.“

Diese Worte wurden mit einer Miene ausgesprochen, welche dem Prinzen zu erkennen
gab, dass er sich entschließen musste, die Prinzessin zu heiraten oder zu
sterben. In dieser peinlichen Verlegenheit rief er traurig aus:
„Unglückseliges Gestirn, unter welchem ich geboren bin, kann ich denn
nimmer deinen bösen Einfluss erschöpfen? Es ist noch nicht genug, eine Frau
mit einem Hundskopf gehabt zu haben, ich muss mich jetzt auch noch mit einem
andern Ungeheuer verbinden. O Dilaram! Reizende Dilaram, deren Andenken mir
einen Schmerz erregt, welchen die Zeit nie abstumpfen wird, wie kann ein Prinz,
der euer bild so heilig in seinem Herzen bewahrt, mit einem Weibe leben, dessen
Augen sich an die Schultern verirrt haben, und die in der Brust einen Mund hat,
der mehr gemacht ist, einen Mann zu verschlingen, als seine Küsse zu
empfangen.“

Ungeachtet dieses Widerwillens unterließ er jedoch nicht, sich zu dieser Heirat
zu entschließen, welche mit allem Pompe gefeiert wurde, welcher der Geburt der
beiden sich vermählenden Personen angemessen war.

In der ersten Hochzeitnacht führte man den Prinzen in ein Gemach, wohin die
Braut schon zuvor geführt war, und ließ hier beide allein. Sie näherte sich
ihm zuerst, und er bebte vor Entsetzen: Er wähnte, dass sie hingerissen von
ihrer Begierde und berechtigt durch den Namen der Gattin, seine ersterbende Glut
anfachen wollte; aber sie hielt ihm eine Rede, welche ihm seine Ruhe wiedergab,
indem sie ihn aus dem Irrtum zog.

„Ich weiß wohl, Herr,“ sprach sie zu ihm, „dass ein Mensch, wie
ihr, eine Frau hassen muss, die mir gleicht. Ich urteile von euren Empfindungen
nach den meinigen, ich habe eben so viel Abscheu vor euch, als ihr nur immer vor
mir haben könnt. Wir betrachten uns beide als Ungeheuer, und wir finden uns
beklagenswert, dass wir gezwungen sind, uns miteinander zu verbinden, ihr, um
dem Tode zu entgehen, und ich, um dem König, meinem Vater, zu gehorchen. Ich
muss euch bei alledem sagen, dass, wenn ihr als zartfühlender Mann auf die
Rechte des Ehegatten verzichten wollt, ich euer Glück machen kann.“

„Ach, gnädige Frau,“ antwortete der Prinz, „ich verzichte darauf
von ganzem Herzen, weil ihr von mir dies Opfer verlangt: aber ich bitte euch,
sagt mir, auf welche Weise könnt ihr mich glücklich machen?“ –
„Wisset,“ fuhr sie fort, „dass ich einen Geist liebe, welchem ich
eine heftige Leidenschaft eingeflößt habe. Sobald er vernimmt, dass mein Vater
mich verheiratet hat, wird er nicht säumen zu kommen, um mich zu entführen.
Ich werde ihn bitten, euch in euer Land zu bringen; und ich bezweifle nicht,
dass er, hoch erfreut über eure Ehrerbietung gegen mich, alles tun werde, was
ihr wünscht.“ – „Wohlan, schöne Prinzessin,“ erwiderte der
Prinz von Karisme, entzückt von der Hoffnung, welche ihm gegeben wurde,
„ich willige ein, und trete eurem beglückten Geist alle die Schätze ab,
welche diese Hochzeit mir bestimmte; willig überlasse ich ihm den Besitz
davon.“

Nachdem er dies gesagt hatte, legte er sich auf ein Sofa und schlief ein; und
die Prinzessin tat das Gleiche.

Während sie beide so schliefen, erschien der Geist, welcher die junge Frau
liebte, nahm sie beide unter die Arme, und führte sie durch die Luft davon. Er
hielt auf einer Insel, die nicht weit von der Insel der kopflosen Menschen
entfernt war, legte hier den Prinzen auf den Rasen nieder, und entführte dann
die Prinzessin in eine unterirdische Wohnung, welche er eigens für sie erbaut
hatte.

Der Prinz war bei seinem Erwachen verwundert, sich auf einer unbekannten Insel
zu finden. Er dachte wohl, dass während seines Schlafes der in die kopflose
Prinzessin verliebte Geist ihn hierher versetzt hatte, aber es deuchte ihn, dass
dieser Geist nicht so erkenntlich wäre, als sie ihn gerühmt hatte, weil er
ihn, anstatt ihn in die Heimat zu bringen, auf einer Insel aussetzte, welche
vielleicht von eben so abscheulichen Leuten bewohnt war, als die Samsaren.

Er war beunruhigt von allem, was dieser Gedanke Schreckliches mit sich führte,
als er am Ufer des Meeres einen alten Mann erblickte, welcher die Abwaschung zu
verrichten schien. Er stand schleunigst auf und lief zu ihm hin, und fragte ihn,
ob er ein Muselmann wäre. „Ja, ich bin es,“ antwortete der Greis;
„und ihr, junger Mann, wer seid ihr? Nach eurem edlen Anstand zu urteilen,
seid ihr nicht von gemeinem Herkommen.“ – „Ihr täuscht euch nicht in
eurer Vermutung,“ erwiderte der Prinz, „denn ich bin ein
Königssohn.“ – „Und welcher König ist euer Vater?“ fragte der
Greis. „öffnet mir euer Herz: ich schwöre bei unserm großen Propheten,
dass keine Arglist hinter meinen Worten steckt; ich bin geeigneter, euch zu
dienen, als euch zu schaden: redet ohne Rückhalt.“

„Weil ihr denn meinen Namen zu wissen wünscht,“ erwiderte der Prinz,
„so sage ich euch, dass ich der Prinz von Karisme bin.“ – „O
Gott!“ unterbrach ihn der Greis, „ist es möglich, dass ihr dieser
unglückliche Prinz seid, der durch einen europäischen Seeräuber fortgeführt
wurde?“ – „Wer hat euch von diesem Ereignis unterrichten
können?“ fragte der Prinz. – „Ich muss es wohl wissen, Herr,“
antwortete der Greis; „ich bin in den Staaten des Königs, eures Vaters
geboren. Ihr seht in mir einen der Sterndeuter, welche euer Horoskop stellten;
und um euch von dem zu benachrichtigen, was euch angeht, sage ich euch, dass
euer Vater sich eure Entführung so zu Herzen nahm, dass er wenige Tage danach
starb. Sein Volk, dessen Wonne er war, beweinte ihn lange Zeit, und die Hoffnung
aufgebend, euch je wieder zu sehen, setzte es einen Prinzen eures Geblüts auf den
Thron. Dieser neue König versammelte die Sterndeuter, und befahl uns, die
Sterne über seine Regierung zu befragen. Wir verkündigten ihm Dinge, welche
ihm missfielen. Er hielt sich an uns wegen der Unfälle, womit der Himmel ihn
drohte, und beschloss, uns alle töten zu lassen. Wir aber entdeckten
vermittelst der Geheimnisse unserer Kunst diesen Anschlag, wir verließen unser
Vaterland, und jeder begab sich nach dem Winkel der Erde, den er sich zum
Aufenthalt wählte. Ich habe mehrere Länder der Erde durchwandelt, und habe
mich endlich auf dieser Insel niedergelassen, welche von einer so guten Königin
beherrscht wird, dass es kein so glückliches Volk mehr gibt, als ihre
Untertanen sind.“

Während der Astrologe also sprach, weinte der Prinz von Karisme bitterlich. Die
Nachricht von dem Tode seines Vaters verursachte ihm eine so tiefe Betrübnis,
dass der Greis genötigt war, seine Rede zu unterbrechen, um ihn zu trösten.
„Herr,“ sprach er zu ihm, „wenn ich euch so traurige Nachrichten
hinterbringe, so habe ich auch sehr erfreuliche euch anzukündigen. Ich erinnere
mich noch wohl aller unserer Beobachtungen; der Himmel verheißt euch ein
glückliches Los nach dem dreißigsten Jahre. Ihr zählt jetzo einunddreißig,
und folglich ist all euer Unglück vorüber. Folget mir, wenn’s euch beleibt,
ich will euch zu dem Großwesir führen, welcher ein tugendhafter Mann ist. Er
wird euch der Königin vorstellen, welche euch den gebührenden Empfang bereiten
wird, sobald sie von eurem Stande unterrichtet ist.“

Der Prinz und der Sterndeuter begaben sich beide zu dem Wesir, welcher nicht
sobald den Namen des Prinzen vernommen hatte, als er mit allen Zeichen des
höchsten Erstaunens ausrief: „O mein Gott, es ist dir allein vorbehalten,
solche Wunder zu tun! – Kommt, Herr,“ fuhr er fort, indem er sich zu dem
Prinzen von Karisme wandte, „und geht mit mir zu der Königin; ihr werdet
die Ursache meines Erstaunens erfahren.“

Indem er dieses sagte, führte er ihn zu dem Palast, und als sie in die
Gemächer der Königin kamen, bat er ihn, einen Augenblick zu verziehen, weil es
gut wäre, die Fürstin zuvor zu benachrichtigen, damit sie sich auf den Empfang
eines solchen Prinzen vorbereitete.

Der Wesir blieb ziemlich lange bei der Königin, welche endlich in das Zimmer
trat, worin der Prinz war. Sie sah ihm ins Gesicht, und erkannte ihn: „O
mein Gemahl,“ sagte sie, indem sie ihm die Arme entgegenstreckte,
„gibt es noch eine solche Freude auf der Welt, als die meine ist, dich
wieder zu sehen?“

Der Prinz betrachtete sie ebenfalls und erkannte in ihren Zügen seine geliebte
Dilaram wieder, und ganz entzückt vor Erstaunen, Liebe und Freude rief er aus:
„O meine Königin, ist es möglich, dass ich dich wieder finde! Wie groß
auch die Unglücksfälle sind, welche der Himmel mich hat bestehen lassen, so
bekenne ich doch, dass seine Güte seine Strenge übertrifft, weil er dich
meiner Zärtlichkeit wiederschenkt.“

Sie umarmten sich beide zu wiederholten malen, mit einem Entzücken, das sich
leichter empfinden als ausdrücken lässt. Hierauf fragte der Prinz nach seinen
Kindern. „Die wirst du bald sehen, Herr,“ antwortete die Fürstin;
„sie sind auf die Jagd gegangen und werden bald zurückkommen.“ –
„Aber, wie bist du Königin der Insel geworden, Herrin?“, fragte der
Prinz. „Ich will deine Neugier sogleich befriedigen,“ antwortete
Dilaram; „höre, wie ich auf diesen Thron gelangt bin, welchen ich gleich
morgen verlasse, um dir zu folgen, wenn mein Volk nicht einwilligt, dass ich ihn
mit dir teile.

Sobald der Seeräuber, welcher uns gefangen nahm, dich auf der Insel ausgesetzt
hatte, stach er er wieder in See, wie du weißt; aber wir hatten noch nicht
sechs Meilen gemacht, als ein furchtbarer Sturm sich erhob, und trotz der
Geschicklichkeit und den Anstrengungen der Matrosen wurde das Schiff mit solchem
Ungestüm gegen die Felsen dieser Küste geworfen, dass es in tausend Stücke
brach. Einige Matrosen erreichten durch Schwimmen das Ufer; die übrigen, samt
dem Hauptmann, wollten sich ebenso retten, gingen aber zu Grunde. Was mich
betrifft, ohne den Himmel um die Erhaltung meines so unglücklichen Lebens zu
bitten, umarmte ich meine Söhne, um mit ihnen zu sterben, und schon wollten die
fluten uns verschlingen, als mehrere Leute von der Insel, welche von weitem
unsern Schiffbruch angesehen, und sich in Boote geworfen hatten, um uns zu Hilfe
zu eilen, noch zur rechten Zeit herankamen. Sie zogen uns halb tot aus dem
Wasser, und als sie bemerkten, dass wir noch atmeten, trugen sie uns in ihre
Häuser, und brachten uns vollends ins Leben zurück.

Als der König der Insel von unserm Schiffbruche hörte, war er neugierig, uns
zu sehen. Er war ein Mann von neunzig Jahren, und so geliebt von seinen
Untertanen, als er es verdiente. Ich verschwieg ihm nichts, sondern sagte ihm
meinen Stand und erzählte ihm meine Geschichte. Er war gerührt von meinen
Unglücksfällen, und begleitete mit seinen Tränen die meinen, welche ich bei einigen
Stellen meiner Geschichte nicht zurückhalten konnte. Endlich, nachdem er mir
mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, nahm er das Wort, und sagte zu mir:
„Meine Tochter, man muss die Unfälle mit Standhaftigkeit ertragen; es sind
die Proben, auf welche der Himmel unsere Tugend setzt: wenn wir ungeduldig
leiden, so lässt er fast immer Freuden auf unsere Leiden folgen. Bleibt bei
mir, ich will für die Prinzen, eure Kinder, sorgen.“

In der Tat, und wenn sie seine eigenen Söhne gewesen wären, so hätte er nicht
mehr Liebe für sie haben können; und seine Hochachtung und Ehrerbietung für
mich konnte nicht größer sein. Er begnügte sich nicht, mich mit
Ehrenbezeugungen zu überhäufen, er zog mich auch über Staatsangelegenheiten
zu Rate; er ließ mich an seinem Staatsrate Teil nehmen, und um mich zu
überzeugen, in welchem Maße er für mich eingenommen war, erhob er mit großen
Lobe alles, was ich sagte, wenn es nur irgend passend war.

Ich verlebte fünf Jahre auf diese Weise, nach deren Verlauf er eines Tages zu
mir sagte: „Prinzessin, es ist Zeit, euch einen Vorsatz zu entdecken,
welchen ich gefasst habe: ich will, dass ihr nach meinem Tode meinen Thron
einnehmt, und um ihn euch zu versichern, muss ich euch heiraten. Alle meine
Völker, von euren Tugenden eingenommen, werden meiner Wahl Beifall geben und es
mir guten Dank wissen, euch zu meiner Erbin gemacht zu haben.“

Der Vorteil meiner Söhne bestimmte mich, in diese Verbindung zu willigen,
welche unter großem Beifall meiner Völker vollzogen wurde. sie bezeigten nicht
minder Freude und Zufriedenheit, als sie nach seinem Hintritt, welcher sehr nah
auf unsere Hochzeit folgte, vernahmen, dass er in seinem letzten Willen ihnen
befahl, mich als ihre Gebieterin anzuerkennen. Seit dieser Zeit herrschte ich
über sie; und ich darf wohl sagen, dass es mein einziges Bestreben ist, sie
glücklich zu machen.“

Als die Königin diese letzten Worte gesprochen hatte, sah sie die beiden
Prinzen von der Jagd zurückkommen. „Eilt Prinzen,“ rief sie ihnen
entgegen, „eilt, euren Vater zu umarmen, welchen der Himmel euch erhalten
hat!“ Die Stimme des Blutes, welche sich in ihnen vernehmen ließ, ließ
sie nicht länger an diesem Wunder zweifeln. Sie liefen zu dem Prinzen von Karisme
hin, welcher ihnen die Arme entgegenstreckte, und sie einen nach dem andern auf
die Augen küsste.

Nachdem diese vier von den zärtlichsten Regungen der Natur bewegten Personen
sich tausend Zeichen ihrer Zärtlichkeit gegeben hatten, versammelte der
Großwesir das ganze Volk, erzählte ihnen die Geschichte des Prinzen von
Karisme, und ermahnte sie darauf, diesen Prinzen für ihren König anzuerkennen.
Das Volk willigte einstimmig ein, und rief den Prinzen von Karisme zum König
aus.

Dieser regierte mit seiner geliebten Prinzessin von Georgien auf eine solche
Weise, dass ihre Regierung die glücklichste Regierung genannt wurde.

„Ich habe diese Geschichte erzählt, Herr,“ fuhr
der neunte Wesir des Kaisers von Persien fort, „um Euer Majestät zu
zeigen, dass die Kinder der Könige ihrem Unstern ebenso unterworfen sind, wie
die andern. Während ein feindseliges Gestirn seine Einflüsse auf uns ausübt,
würde das Gold in unserer Hand sich in schwarze Erde und der Theriak in unserm
Munde sich in Gift verwandeln. Der Prinz Nurgehan befindet sich in diesem
unglücklichen Fall, alles muss er fürchten, alles wird ihm feindselig, sein
eigener Vater ist sein Feind geworden.“

Die Erzählung dieser Geschichte, und vor allem die Anwendung, welche der Wesir
davon machte, machten den Kaiser betroffen, und trotz dem Versprechen, welches
er der Sultanin gegeben hatte, schob er die Hinrichtung des Prinzen auf.

Als am Abend der Sultan zurückkam in seinen Palast, beklagte die Königin sich
abermals über den neuen Aufschub der Bestrafung seines Sohnes; und um dem
König zu zeigen, wie weit ein junger Mensch seine Bosheit treiben kann,
erzählte sie ihm die folgende Geschichte.

Der
Schuster und die Königstochter

Es war einmal zu Kasbin ein junger Schuster, Namens
Hassan, welcher mit Not von dem Ertrag seiner Arbeit lebte. Eines Tages, als er
in seinem Laden war, sah er einen Derwisch vorübergehen, dessen Pantoffeln
zerrissen waren. „Guter Derwisch,“ sagte er zu ihm, „euer
Schuhzeug ist in schlechtem Zustand; tretet bei mir ein, und ich will es euch
ausbessern.“ Der Derwisch folgte dieser Einladung, setzte sich, und aß von
einigen Speisen, welche der Schuhflicker ihm vorsetzte.

Als die Pantoffeln fertig waren, sagte Hassan: „zum Lohne für meine Arbeit
bitte ich euch um Rat. Ich habe Lust zu reisen, und ihr könnt besser als jeder
andere mir einen guten Rat dazu geben.“ – „Mein Sohn,“ antwortete
der Derwisch, „ich will dir drei Lehren geben, deren ganze Wichtigkeit ich
aus Erfahrung kenne:

Erstens, begib dich nie auf den Weg, ohne einen guten Reisegefährten; denn der
Prophet (mit dem alles Heil sei!) sagt: „Suche dir erst einen Gefährten,
und dann begib dich auf den Weg7).“ Zweitens, verweile nie an einem Orte
wo Wasser mangelt. Endlich, drittens, geh nie in eine Stadt nach
Sonnenuntergang.“

Kurze Zeit darauf, nachdem Hassan gute Reisegefährten gefunden hatte, begab er
sich auf den Weg. nach Verlauf einiger Tage kommen sie zusammen an die Tore
einer großen Stadt. Seine Gefährten gingen hinein: Er aber, eingedenk der
Lehren des Derwisches, blieb draußen am Ufer eines Stromes; und da er in der
Nähe einen Totenacker fand, so hielt er fürs ratsamste, die Nacht darin
zuzubringen.

Es war drei Stunden nach Mitternacht, als er zwei Männer bemerkte, welche über
die Stadtmauer etwas hinab ließen, das er nicht erkennen konnte, und das sie in
eins der nächsten Gräber trugen.

Kaum hatten diese Leute sich entfernt, so eilte Hassan nach dem Orte, wo sie
ihre bürde abgelegt hatten. Er trat hinein, nahm sein Feuerzeug, und bei dem
Lichte, das er sich anschlug, erblickte er einen Sarg, aus welchen von allen
Seiten das Blut hervorrieselte.

Sogleich bemüht er sich, den Deckel aufzuheben, und findet darin eine Frau von
außerordentlicher Schönheit, ganz in ihrem Blut gebadet, in ein Leichentuch
gewickelt. Er hielt sie für tot, und hob die Leinwand auf, welche sie
umhüllte, als er folgende Worte mit schwacher Stimme aussprechen hörte:
„Um Gottes willen, beraubt mich nicht meiner Kleider.“ Da erkannte er,
dass noch einiges Leben in ihr war, zerriss seinen Kaftan, und verband ihre
Wunden.

Am folgenden Morgen ließ er sie in die Karawanserei der Stadt tragen, und gab
sie für seine Schwester aus, welche er in einem lebhaften Augenblick selber so
verwundet hätte. Hier widmete er ihr zwei Monate hindurch die allerzärtlichste
Sorgfalt.

Nach Verlauf dieser Zeit war die junge Unbekannte gänzlich hergestellt, und
ging aus der Karawanserei ins Bad. Als sie zurückkam, forderte sie Feder, Tinte
und Papier, schrieb ein paar Worte und sagte zu Hassen: „Nehmt diesen
Brief, und tragt ihn nach dem Basar8) zum Wechsler Dakub; und nehmt in Empfang,
was er euch geben wird.“

Hassan begab sich in aller Eile zu dem Wechsler. sobald dieser den Brief
geöffnet hatte, küsste er ihn, legte ihn auf sein Haupt, und händigte dem
überbringer eine Börse mit fünfhundert Zeckinen ein. Unser Reisender war ganz
erstaunt, in seinem Leben hatte er keine so große Summe gesehen; und er
erkannte aus der Ehrfurcht, welche der Wechsler dem Brief bezeigte, dass
diejenige, die ihn geschrieben hatte, nicht von gemeiner Herkunft wäre.

Bei der Rückkehr in die Karawanserei legte er die Börse furchtsam vor seiner
Gefährtin hin, welch ein seinen Augen alle die Neugier las, welche ihn quälte.
sie hielt es noch nicht für ratsam, sie zu befriedigen, und begnügte sich, ihm
zu sagen, er möchte das Geld nehmen, um sich anständige Kleider und eine
schickliche Wohnung zu verschaffen.

Hassan befolgte ihre Befehle; und vermittelst ansehnlicher summen, welche der
Wechsler niemals versagte, ihr zu senden, kauften sie Sklaven, und lebten beide
einige Zeit im Schoße des überflusses.

Eines Tages gab die Unbekannte dem Hassan eine Börse in die Hand, und sagte zu
ihm: „Es kommt darauf an, mir einen Dienst zu leisten, auf welchen ich hohe
Wichtigkeit lege. Geht auf den Basar, dort werdet ihr leicht den Laden
Abdallahs, des Seidenhändlers, auffinden. Lasst euch ein Stück Atlas
vorzeigen, und wie hoch auch der Preis desselben sei, kauft es, ohne zu
handeln.“

Hassan erkannte sehr bald das Warenlager des jungen Kaufmanns, er trat ein,
ließ sich ein Stück Atlas vorlegen, und kaufte es für den Preis, der ihm
abgefordert wurde. Den ihm erteilten Aufträgen zufolge, kehrte er mehrmals zu
demselben Kaufmann zurück, und machte seine Sache so gut, dass zwischen ihnen
eine Verbindung entstand, die vertraulich genug war, um ihn zu einem Mittagsmahl
einzuladen, welche Einladung er auch annahm.

Nach der Vorschrift der Unbekannten, wurde gegenseitig Abdallah eingeladen,
welcher auch sehr verbindlich die Ehre annahm, welche ihm ein so reicher Herr
erwies, als Hassan zu sein schien.

„Wie seltsam auch die Dinge sein mögen, deren ihr Zeuge sein werdet,“
sagte die Unbekannte zu Hassen, „verwundert euch nicht darüber.“ Und
zu gleicher Zeit ließ sie ein glänzendes Mittagsmahl bereiten.

Zur bestimmten Stunde stellte sich Abdallah ein, mit der größten Pracht
gekleidet. Hassan empfing ihn sehr höflich; man trank bis tief in die Nacht;
aber als von der Trennung die Rede war, und Abdallah von seinem Wirt Abschied
nehmen wollte, gab dieser es nicht zu: „Wie?“, sagte er, „ich
sollte euch zu dieser Stunde gehen lassen! Nein, ich kann es nicht: Ihr müsst
hier schlafen; ich werde euch ein Lager bereiten lassen.“

Als der Kaufmann sah, dass es vergeblich wäre, länger zu widerstehen, ließ er
es sich gefallen, und legte sich nieder.

Um Mitternacht, als er im tiefen Schlafe lag, näherte die Unbekannte, welche
während des ganzen Mahles nicht zum Vorschein gekommen war, sich ihm, und
stieß ihm einen Dolch ins Herz.

Hassan, von dem Geräusch aufgeweckt, lief herbei: „Großer Gott!“,
rief er aus, indem er den Abdallah den letzten Seufzer aushauchen sah, „von
welcher Gräueltat habt ihr mich zum Mitschuldigen gemacht! Ich verlasse euch
auf der Stelle; ich will nicht länger in diesem abscheulichen Hause bleiben:
Ich will euch selbst alles zurückgeben, was ihr mir geschenkt habt.“

„Beruhige dich, Hassan,“ antwortete die Prinzessin, „ich habe nur
einen Verräter gerechterweise bestraft: Ich bin die Tochter des Königs. Der,
den du gegenwärtig tot hingestreckt siehst, hatte mir eine heftige Leidenschaft
eingeflösst; durch Vermittlung meiner Amme, und durch Bestechung der zu meiner
Bewachung bestellten Personen, brachte ich es dahin, ihn in den Harem9)
einzuführen; mehr als einmal ging ich sogar, unter dem Schutz der Verkleidung,
zu ihm, und überhäufte ihn mit Wohltaten.“

„Eines Tages besuchte ich ihn zu einer Stunde, wo er mich nicht erwartet
hatte: Denke dir mein Erstaunen und meine Wut, als ich ihn bei einer
Nebenbuhlerin sitzen fand. Ich machte ihm die lebhaftesten Vorwürfe, ich ließ
mich sogar so weit hinreißen, die zu schlagen, die bei ihm war.“

„Da ging das Ungeheuer hin, und holte zwei junge Wüstlinge, und sei es
nun, dass er die folgen meines Zornes fürchtete, oder dass er seine Geliebte
rächen wollte, – mit ihrer Hilfe versetzte er mir mehrere Messerstiche, und
mich tot wähnend trug er mich auf den Gottesacker, wo du mich gefunden hast.
Jetzt, da ich gerächt bin, eile hin, dem König, meinem Vater zu verkündigen,
dass seine Tochter noch lebt, und zeige ihm meinen Aufenthalt an.“

Der ganze Hof war voll Freuden, als man vernahm, dass die Prinzessin
wieder gefunden war. Der König umarmte sie mit weinenden Augen; und als er
hörte, dass Hassan ihr Retter war, gab er sie ihm zur Frau.

„Ihr erseht aus dieser Geschichte,“ fügte die
Königin Chansade hinzu, „welcher Gräueltaten die jungen Leute fähig
sind,“ und sie forderte von neuem den Tod Nurgehans. Der König versprach
auch, ihr Verlangen zu erfüllen.


1)
Serendib ist die Insel Ceylon.