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169. Nacht

Der Barbier sang nun den Gesang und tanzte den Tanz des
Santout, und was ich ihm auch sagen mochte, um seine Narrenpossen ein Ende zu
machen, so hörte er doch nicht eher auf, als bis er alle diejenigen, welche er
genannt, nachgeahmt hatte.

Hierauf sagte er, sich zu mir wendend: „Herr, ich
lasse diese wackeren Leute zu mir kommen. Wisst ihr was, haltet mit uns, und
lasst eure Freunde, die vielleicht große Schwätzer sind, und euch nur durch
ihre langweiligen Reden betäuben, und euch eine schlimmere Krankheit, als die,
von welcher ihr jetzt genesen seid, verursachen werden, bei mir werdet ihr im
Gegenteil nur Vergnügen haben.“

Ungeachtet meines Zorns konnte ich mich nicht enthalten,
über seine Narrheit zu lachen. „Ich wollte,“ sagte ich, „ich
hätte kein Geschäft, ich würde dann euren Vorschlag annehmen und recht gern
mit euch gehen, um mich mit euch zu ergötzen. Aber ich muss euch bitten, mich
für heute davon zu entbinden. Ein andermal, wenn ich freier sein werde, wollen
wir diese Partie machen. Barbiert mich nur zu Ende, und macht, dass ihr nach
Hause kommt. Eure Freunde sind vielleicht schon dort.“ – „Herr,“
versetzte er, „schlagt mir meine Bitte nicht ab. Kommt und ergötzt euch
mit der angenehmen Gesellschaft, die ich bei mir haben werde. Wenn ihr einmal
mit diesen Leuten zusammen gewesen seid, werden sie euch so gefallen, dass ihr
ihretwegen euren Freunden entsagen werdet.“ – „Sprechen wir nicht
weiter davon,“ erwiderte ich, „ich kann nun einmal eurem Fest nicht
beiwohnen.“

Ich gewann durch Güte nichts. „Weil ihr also nicht
zu mir kommen wollt,“ sagte der Barbier, „so müsst ihr mir erlauben,
mich euch zu gehen. Ich werde, was ihr mir gegeben habt, zu mir schaffen, meine
Freunde werden, wenn’s ihnen gefällig ist, essen, und ich werde gleich
wiederkommen. Ich will nicht so unhöflich sein, euch allein zu lassen. Ihr
verdient wohl, dass ich euch diese Aufmerksamkeit erweise.“ –
„Himmel,“ rief ich aus, „werde ich mich denn heute von einem so
überlästigen Menschen nicht losmachen! Im Namen des großen, lebendigen
Gottes,“ sagte ich zu ihm, „endet eure lästigen Reden! Geht zu euren
Freunden, trinkt, esst, vergnügt euch, und lasst mir die Freiheit, zu den
meinigen zu gehen. Ich will allein gehen, und ich bedarf keiner Begleitung. Auch
muss ich euch gestehen, dass der Ort, wo ich hingehe, kein Ort ist, wo ihr
aufgenommen werden könntet. Man will dort nur mich. “ – „Ihr spottet,
Herr,“ entgegnete er, „wenn eure Freunde euch zu einem Fest eingeladen
haben, was für ein Grund kann euch hindern, mir zu erlauben, dass ich euch
begleite? Sie werden sich freuen, davon bin ich überzeugt, wenn ihr ihnen einen
Menschen zuführt, der, wie ich, lustige Einfälle hat, und eine Gesellschaft
angenehm zu unterhalten weiß. Was ihr mir auch vorredet, die Sache ist
beschlossen, ich begleite euch wider euren Willen.“

Diese Worte, meine Herren, setzten mich in große
Verlegenheit. „Wie soll ich diesen verdammten Barbier los werden,“
sagte ich zu mir selbst. „Wenn ich auf meinen Widerspruch beharre, so nimmt
unser Streit gar kein Ende.“ übrigens hörte ich, dass man schon zum
ersten Mal zum Mittagsgebet rief1),
und dass es Zeit war, zu gehen. Ich ergriff also das Teil, nichts zu sagen, und
mich anzustellen, als willigte ich in sein Mitgehen.

Er barbierte mich hierauf vollends und als dies geschehen
war, sagte ich zu ihm: „Nehmt einige meiner Leute, damit sie euch diese
Vorräte zu euch tragen helfen, und kommt wieder. Ich erwarte euch, und werde
nicht ohne euch weggehen.“

Er ging endlich, und ich zog mich vollends an. Ich hörte
zum letzten Mal zum Gebet rufen, und eilte, mich auf den Weg zu machen. Aber der
boshafte Barbier, der meine Absicht erraten hatte, war mit meinen Leuten nur so
weit gegangen, um sie in seine Wohnung gehen zu sehen, und hatte mein Haus nicht
aus dem Gesicht verloren. Er hatte sich an einer Ecke der Straße versteckt, um
mich zu beobachten und mir zu folgen. In der Tat gewahrte ich ihn, als ich bei
der Tür des Kadis angelangt war und mich umwandte, an dem Eingang der Straße,
worüber ich einen tödlichen Verdruss empfand.

Die Türe des Kadis war halb offen, und ich sah beim
Eintreten die alte Frau, welche mich erwartete, und welche, nachdem sie die Tür
wieder zugemacht hatte, mich in das Zimmer des jungen Fräuleins führte, in
welche ich verliebt war. Aber kaum fing ich an, mich mit ihr zu unterhalten, als
ein Geräusch auf der Straße hörten. Das Fräulein ging an das Fenster, und
sah durch das Gitter, dass es ihr Vater war, der von dem Gebet zurückkehrte.
Auch ich sah hinaus, und gewahrte den Barbier, der auf dem selben Fleck saß,
auf welchem ich gesessen hatte, als ich das Fräulein zum ersten Mal sah.

Ich fürchtete nun zwei Dinge, die Ankunft des Kadis und
die Gegenwart des Barbiers. Das Fräulein beruhigte mich über die erste, indem
sie mir sagte, dass ihr Vater nur selten in ihr Zimmer käme. Auch hätte sie,
in der Vermutung, dass dieser verdrießliche Vorfall stattfinden könnte, schon
auf ein Mittel gedacht, mich sicher fortzuschaffen: Aber die Unbesonnenheit des
unglücklichen Barbiers verursachte in mir eine große Unruhe, die, wie ihr
hören werdet, auch keineswegs grundlos war.

Sobald der Kadi im Haus war, gab er selbst einem Sklaven,
der sie verdient hatte, die Bastonade. Der Sklave stieß ein großes Geschrei
aus, welches man auf der Straße hörte. Der Barbier glaubte, ich wäre es, der
so schrie, und ich würde misshandelt. In dieser Voraussetzung fängt er endlich
zu schreien an, zerreißt seine Kleider, bestreut sein Haupt mit Asche, und ruft
die ganze Nachbarschaft um Hilfe an, die denn auch herbeieilt. Man fragt ihn,
was es gibt, und was für Hilfe er verlangt: „Ach,“ ruft er aus,
„man bringt meinen Herrn, meinen lieben Beschützer, ums Leben!“ Und
ohne etwas weiter zu sagen, läuft er zu mir nach Hause, indem er immerfort auf
dieselbe Weise schreit, und kommt in Begleitung aller meiner mit Stöcken
bewaffneten Bedienten zurück. Sie schlugen nun mit einer Wut, die nicht zu
beschreiben ist, an die Tür des Kadis, welcher einen Sklaven abschickte, um zu
sehen, was das für ein Lärm wäre. Dieser aber kommt ganz erschrocken zu
seinem Herrn zurück, und sagt: „Herr, mehr als zehntausend Menschen wollen
mit Gewalt bei euch eindringen, und fangen an, die Türe zu erbrechen.“

Der Kadi lief sogleich herzu, öffnete selbst die Tür,
und fragte, was man wollte. Seine ehrwürdige Gegenwart vermochte meinen Leuten
keine Achtung einflößen, und sie waren so unverschämt, zu ihm zu sagen:
„Verfluchter Kadi, Hund von Kadi, was habt ihr für einen Grund, unseren
Herrn umzubringen? Was hat er euch getan?“ – „Ihr guten Leute,“
antwortete ihnen der Kadi, „warum sollte ich euren Herrn umgebracht haben,
den ich nicht kenne, und der mich nicht beleidigt hat? Mein Haus ist offen,
kommt herein, seht und sucht.“ – „Ihr habt ihm die Bastonade
gegeben“ sagte der Barbier, „ich habe noch vor einem Augenblick sein
Geschrei gehört.“ – „Aber sagt mir nur,“ versetzte der Kadi,
„welche Beleidigung hätte mir euer Herr wohl antun können, um mich dahin
zu bringen, ihn so, wie ihr es sagt, zu misshandeln? Ist er in meinem Hause? Und
wenn er drin ist, wie ist er hereingekommen, oder wer kann ihn eingeführt
haben?“ – „Ihr werdet mir mit eurem großen Bart nichts weiß machen,
abscheulicher Kadi,“ versetzte der Barbier, „ich weiß wohl, was ich
sage. Eure Tochter liebt unsern Herrn, und hat ihm in eurem Hause während des
Mittagsgebetes ein Stelldichein gegeben. Ohne Zweifel hat man euch davon
benachrichtigt, ihr seid nach Hause gekommen, habt ihn überrascht, und ihm von
euren Sklaven die Bastonade geben lassen. Aber ihr sollt diese schändliche
Handlung nicht ungestraft begangen haben, der Kalif soll sie erfahren, und wird
gute und schnelle Gerechtigkeit üben. Lasst ihn heraus, und gebt ihn uns
sogleich wieder, wo nicht, so dringen wir hinein und entreißen ihn euch, euch
zur Schmach.“ – „Es ist unnütz, so viel zu schwatzen,“ versetzte
der Kadi, „und einen solchen Lärm zu machen. Wenn das, was ihr sagt, wahr
ist, so dürft ihr nur hereinkommen und ihn suchen, ich gebe euch dazu die
Erlaubnis.“

Der Kadi hatte kaum diese Worte geredet, als sich der
Barbier und meine Leute, gleich wütenden, in das Haus stürzten, und mich
überall zu suchen begannen.


1)
Es sind die Muessins, welche von der Höhe der Minaretts (Moscheen-Türme) die
Gläubigen zum Gebet rufen. Sie singen dann mit lauter Stimme einen Gesang,
welchen sie Ebsan nennen, und worin das muselmännische Glaubensbekenntnis
vorkommt: La Ilah ill‘ Allah wa Muhammed rassul allah! (Nur Allah ist Gott und
Muhammed ist sein Prophet).