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165. Nacht

„Der Barbier,“ fuhr der Hinkende von Bagdad
fort, „brauchte viel Zeit, um seinen Barbiersack zu öffnen und seine
Messer heraus zu nehmen, und anstatt Wasser in sein Becken zu gießen, nahm er
ein sehr hübsches Astrolabium aus seinem Sack, ging aus meinem Zimmer und
stellte sich in die Mitte des Hofes, um die Sonnenhöhe zu messen. Er kam mit
derselben Ernsthaftigkeit wieder, und sagte zu mir: „Es wird euch sehr
angenehm sein, zu erfahren, dass wir heute Freitag, den 18ten Tag des Monats
Safar1) haben,
im Jahr 653 seit der Flucht2)
unseres großen Propheten von Mekka nach Medina, und des Jahres 73203)
der Epoche des großen, zweihörnigen Iskender; und dass die Konjunktion des
Mars und der Venus bedeutet, dass ihr keine bessere Zeit, euch barbieren zu
lassen, wählen könntet, als eben heute und eben jetzt. Aber anderseits ist
diese Konjunktion von übler Vorbedeutung für euch: Sie belehrt mich, dass euch
heute eine große Gefahr bevorsteht: Nicht gerade der Verlust eures Lebens, aber
ein übel, an welchem ihr euer ganzes Leben hindurch leidet. Ihr seid mir Dank
dafür schuldig, dass ich euch den Rat gebe, euch vor diesem Unglück zu hüten,
es würde mir sehr leid tun, wenn es euch träfe.“

Ihr könnt euch wohl denken, wie unwillig ich war, in die
Hände eines so geschwätzigen und närrischen Barbiers gefallen zu sein! Welch
verdrießliches Hindernis für einen Liebhaber, der sich zu einem Stelldichein
vorbereitet! Ich war sehr erbittert darüber. „Ich kümmere mich
wenig,“ sagte ich zornig zu ihm, „um eure Ratschläge und
Weissagungen. Ich habe euch nicht rufen lassen, um euch über Sterndeuterei zu
befragen. Ihr seid hier, um mich zu barbieren, also barbiert mich oder schert
euch fort, damit ich einen anderen Barbier kommen lasse.“

„Herr,“ erwiderte er mit einem Gleichmut, der
mich noch ungeduldiger machte, „was habt ihr für einen Grund, euch so zu
erzürnen? Wisst ihr wohl, dass kein anderer Barbier mir gleich kommt, und dass
ihr einen meines Gleichen nicht findet, und wenn ihr ihn ausdrücklich machen
ließet? Ihr habt nichts als einen Barbier verlangt, und ihr habt in meiner
Person den besten Barbier von Bagdad, einen erfahrenen Arzt, einen tief gelehrten
Chemiker, einen untrüglichen Astrologen, einen vollendeten Grammatiker, einen
vollkommenen Rhetoriker, einen feinen Logiker, einen in der Geometrie, in der
Arithmetik, in der Astronomie und in allen Feinheiten der Algebra ganz
bewanderten Mathematiker, einen der Geschichte aller Königreiche der Welt
höchst kundigen Historiker. Außerdem bin ich in allen Teilen der Philosophie
zu Hause, und weiß alle unsere Gesetze und Traditionen auswendig. Ich bin
Dichter, Architekt: Ach, was bin ich denn nicht! Für mich gibt’s in der ganzen
Natur nichts Verborgenes. Euer seliger Vater, dem ich den Zoll der Tränen
widme, so oft ich an ihn denke, war von meinen Diensten wohl überzeugt. Er
liebte mich, liebkoste mich, und hörte nicht auf, mich in allen Gesellschaften,
die er besuchte, als den ersten Menschen der Welt zu zitieren. Ich will aus
Erkenntlichkeit und Freundschaft für ihn mich zu euch halten, euch in meinen
Schutz nehmen und euch vor allen Gefahren sichern, mit welchen die Gestirne euch
bedrohen.“

Bei diesen Worten konnte ich mich, ungeachtet meines
Zorns, des Lachens nicht enthalten: „Werdet ihr nicht,“ sagte ich,
„bald ausgeschwatzt haben, ihr lästiger Schwätzer, und wollt ihr wohl
anfangen, mich zu barbieren?“ –


1)
Der Monat Safar (der Reisemonat) ist der zweite des muselmännischen Jahres. –
Das Jahr 653 der Hedschra ist das Jahr 1255 nach Christi Geburt. Man kann
hieraus schließen, dass diese Erzählungen um diese Zeit im arabischen
gedichtet, oder doch aus Persien, welches damals durch die Einfälle der
Mongolen verwüstet wurde, gekommen sind.