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164. Nacht

„Ihr erinnert euch wohl, wertes Fräulein, wie streng
ihr mich kürzlich behandeltet, als ich euch von seiner Krankheit erzählen und
euch ein Mittel vorschlagen wollte, ihn aus der Gefahr, in welcher er sich
befand, zu retten. Ich kehrte, nachdem ich euch verlassen hatte, zu ihm zurück,
und er bemerkte kaum, als er mich erblickte, dass ich ihm keine günstige
Antwort brachte, als sein übel sich verdoppelte. Seit dieser Zeit ist er dem
Tod nahe, und ich weiß nicht, ob ihr ihm noch, wenn ihr euch seiner erbarmt,
das Leben retten könnt.“

„So sprach ich zu ihr,“ fügte die Alte hinzu.
„Die Furcht vor eurem Tod erschütterte sie, und ich sah, wie ihr Gesicht
die Farben wechselte.“ – „Ist das,“ sagte sie, „was ihr mir
erzählt, auch gewiss wahr? Und ist er wirklich nur aus Liebe zu mir so
krank?“ – „Ach, edle Frau, das ist nur zu wahr! Wollte Gott, dass es
falsch wäre!“ – „Und glaubt ihr,“ versetzte sie, „dass die
Hoffnung mich zu sehen und mit mir zu sprechen, dazu beitragen könnte, ihn
seiner jetzigen Gefahr zu entreißen?“ – „Das ist wohl noch
möglich,“ sagte ich zu ihr, „und wenn ihr es mir befehlt, so werde
ich dieses Mittel versuchen.“ – „Nun wohlan,“ erwiderte sie
seufzend, „macht ihm also Hoffnung, mich zu sehen, aber er erwarte keine
andere Gunst von mir, am wenigsten trachte er danach, mich zu heiraten, und dass
mein Vater in unsere Heirat willige.“ – „Meine Gnädige,“ rief
ich aus, „ihr seid sehr gütig. Ich werde zu dem jungen Herrn gehen, und
ihm sagen, dass er das Vergnügen haben wird, euch zu sprechen.“ –
„Ich weiß,“ sagte sie, „keine bequeme Zeit, ihm diese Gunst zu
erweisen, als nächsten Freitag1), während des Mittagsgebetes. Er soll
aufpassen, bis mein Vater sich in die Moschee begibt, und, wenn er sich wohl
genug befindet, sich an der Haustüre zeigen. Aus meinem Fenster werde ich ihn
kommen sehen und herunter kommen, um ihm aufzumachen. Wir können uns während
der Dauer des Gebetes unterreden, und er muss sich vor der Rückkehr meines
Vaters entfernen.“

„Heute,“ fuhr die Alte fort, „ist Dienstag.
Ihr könnt euch bis Freitag erholen, und euch zu dieser Zusammenkunft
anschicken.“ Je mehr die gute Alte sprach, je mehr fühlte ich, dass mein
übel sich minderte, und am Ende ihrer Worte fühlte ich mich geheilt.

„Nehmt,“ sagte ich zu ihr, indem ich ihr einen
ganz vollen Beutel gab: „Euch allein verdanke ich meine Heilung, und ich
halte dieses Geld für besser angewendet, als das, was ich den ärzten gab, die
mich in meiner Krankheit nur gequält haben.“

Als die Alte mich verlassen hatte, fühlte ich mich
kräftig genug, um aufzustehen. Meine Verwandten, die höchst erfreut waren,
mich so wohl zu sehen, wünschten mir Glück dazu, und entfernten sich.

Freitag früh kam die Alte, als ich mich eben anzog, und
das schönste Kleid aus meinem Vorrat wählte. „Ich frage euch nicht,“
sagte sie, „wie ihr euch befindet, das, womit ich euch beschäftigt sehe,
gibt mir deutlich genug zu erkennen, was ich davon denken soll. Aber werdet ihr
euch nicht baden, ehe ihr zu dem ersten Kadi geht?“ – „Das
würde,“ erwiderte ich, „zu viel Zeit erfordern. Ich werde mich damit
begnügen, einen Barbier kommen und mir Kopf und Bart scheren zu lassen.“
Sogleich befahl ich einem meiner Sklaven, mir einen geschickten und schnellen
Barbier zu holen.

Der Sklave brachte mir hier diesen unglücklichen Barbier,
der, nachdem er mich gegrüßt hatte, zu mir sagte: „Herr, nach eurem
Gesicht zu urteilen, befindet ihr euch nicht wohl.“ Ich sagte ihm, dass ich
eben erst von einer Krankheit genesen wäre. „Ich wünsche,“ versetzte
er, „dass Gott euch von allen Arten von übeln befreien, und seine Gnade
euch immer und überall begleiten möge.“ – „Ich hoffe,“
entgegnete ich ihm, „dass er euren Wunsch, für welchen ich euch
schönstens danke, erhören wird.“ – „Weil ihr eben erst von einer
Krankheit genesen seid, so bitte ich Gott, dass er euch bei guter Gesundheit
erhalte. Sagt mir jetzt nur, was ich bei euch soll. Ich habe mein Schermesser
und meine Lanzetten mitgebracht: Soll ich euch barbieren oder Blut lassen?“
– „Ich habe euch,“ erwiderte ich, „gesagt, dass ich soeben erst
genesen bin, und ihr könnt euch wohl denken, dass ich euch nur des Barbierens
wegen habe kommen lassen: Sputet euch, und lasst uns keine Zeit mit Schwatzen
verlieren, denn ich habe es eilig, und werde zur Mittagsstunde pünktlich
erwartet.“


1)
Der Freitag ist der Feiertag der Muselmänner. An diesem Tag dürfen die
Gläubigen die gemeinschaftlichen Gebete in der Moschee nicht versäumen.