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163. Nacht

Nachdem die alte Frau dies gesagt hatte, hielt sie inne,
um eine Antwort abzuwarten, aber obgleich ihre Worte auf mich einen großen
Eindruck gemacht hatten, so wagte ich es doch nicht, ihr den Grund meines
Herzens aufzudecken. Ich wandte mich nur nach ihrer Seite und seufzte tief, ohne
ihr etwas zu sagen. „Ist es die Scham,“ versetzte sie, „die euch
hindert, mit mir zu sprechen, oder fehlt es euch an Vertrauen? Zweifelt ihr an
der Erfüllung meines Versprechens? Ich könnte euch eine Anzahl von jungen
Leuten aus eurer Bekanntschaft anführen, welche eben solches Leid fühlten, wie
ihr, und denen ich geholfen habe.“

Kurz, die gute Alte sagte mir noch so viel andere Dinge,
dass ich mein Stillschweigen brach, ihr mein Leid anvertraute, ihr den Ort
bezeichnete, wo ich die Ursache meines übels gesehen hatte, und ihr alle
Umstände meines Abenteuers erzählte. „Wenn es euch gelingt,“ sagte
ich zu ihr, „und ihr mir das Glück verschafft, diese bezaubernde
Schönheit zu sehen und ihr von meiner glühenden Leidenschaft für sie sagen zu
können, so könnt ihr auf meine Erkenntlichkeit zählen.“ – „Mein
Sohn,“ erwiderte die Alte, „ich kenne die Person, die ihr meint. Sie
ist, wie ihr ganz richtig geschlossen habt, die Tochter des ersten Kadis in
dieser Stadt. Ich wundere mich nicht, dass ihr sie liebt, sie ist die schönste
und liebenswürdigste Jungfrau in Bagdad, aber es verdrießt mich, dass sie sehr
stolz und unzugänglich ist. Ihr wisst, wie streng unsere Gerichtspersonen auf
die Beobachtung der harten Gesetzte halten, welche den Frauen so lästigen Zwang
auferlegen. Sie selbst beobachten sie noch strenger in ihren eigenen Häusern,
und der Kadi, den ihr gesehen habt, hält noch viel schärfer darauf, als alle
die anderen zusammengenommen. Da sie ihren Töchtern immer vorpredigen, dass es
ein großes Verbrechen sei, sich den Männern zu zeigen, so sind diese
größtenteils so vollkommen davon überzeugt, dass sie auf den Straßen nur
Augen haben, um auf ihren Weg zu sehen, wenn die Notwendigkeit sie zum Ausgehen
zwingt. Ich will nicht geradezu behaupten, dass die Tochter des ersten Kadis
auch so gesonnen sei, aber das hindert mich nicht, zu fürchten, dass in
Hinsicht ihrer eben so große Schwierigkeiten zu überwinden sind, als in
Hinsicht ihres Vaters. Wollte Gott, ihr liebtet ein anderes Fräulein, ich
würde dann nicht so viele Schwierigkeiten finden, als ich hier voraussehe. Ich
werde jedoch mein ganzes Geschick anwenden, aber es wird Zeit kosten, bis wir
zum Ziel gelangen. Fasst jedoch Mut, und vertraut mir!“

Die Alte verließ mich, und durch die lebhafte Vorstellung
aller der Schwierigkeiten, von welchen sie mir vorgeredet hatte, und durch die
daraus hervorgehende Furcht, dass ihr Unternehmen nicht gelingen würde,
verschlimmerte sich mein übel.

Sie kam am nächsten Tag wieder, und ich las auf ihrem
Gesicht, dass sie mir nichts günstiges zu melden hatte. Auch sagte sie mir in
der Tat: „Mein Sohn, ich habe mich nicht betrogen, ich habe noch etwas
anderes zu überwinden, als die Wachsamkeit eines Vaters. Ihr liebt einen
unempfindlichen Gegenstand, der sich darin gefällt, allen, die sich von ihm
bezaubern lassen, eine glühende Liebe einzuflößen. Sie hat mich mit
Vergnügen angehört, so lange ich nur von dem übel erzählt habe, welches sie
euch verursacht hat. So wie ich aber nur den Mund geöffnet habe, um sie zu
bewegen, dass sie euch erlauben sollte, sie zu besuchen und zu sprechen, hat sie
mir einen schrecklichen Blick zugeworfen und gesagt: „Ihr seid sehr dreist,
mir solch einen Antrag zu machen, und ich verbiete euch, mich jemals
wieder zu sehen, wenn ihr solche Reden führen wollt.“

„Lasst euch dadurch nicht betrüben,“ fuhr die
Alte fort, „ich bin so leicht nicht abzuweisen, und wenn ihr nur nicht die
Geduld verliert, so hoffe ich doch noch zum Ziel zu kommen.“

Um meine Erzählung abzukürzen,“ fügte der junge
Mann hinzu, „will ich euch nur sagen, dass diese gute Unterhändlerin bei
der stolzen Feindin meiner Ruhe noch mehrere unnütze Versuche zu meinen Gunsten
machte. Der Kummer, welchen ich darüber empfand, trieb mein übel auf eine
Höhe, dass die ärzte mich gänzlich aufgaben. Ich wurde schon wie ein
Sterbender angesehen, als die Alte kam, um mir das Leben wiederzugeben.

Damit niemand es hörte, sagte sie mir ins Ohr:
„Denkt auf das Geschenk, welches ihr mir für die gute Nachricht, die ich
euch bringe, zu machen habt.“ Diese Worte brachten eine wunderbare Wirkung
hervor, ich erhob mich auf meinem Sitz und erwiderte ihr mit Entzücken:
„Am Geschenk soll’s nicht fehlen. Was habt ihr mir zu sagen?“ –
„Mein lieber Herr,“ versetzte sie, „ihr werdet nicht daran
sterben, und ich werde bald das Vergnügen haben, euch in vollkommener
Gesundheit und sehr zufrieden mit mir zu sehen. Gestern, Montags, ging ich zu
dem Fräulein, welches ihr liebt, und fand sie bei guter Laune. Ich machte ein
trauriges Gesicht, stieß im überfluss tiefe Seufzer aus und ließ einige
Tränen fließen. „Meine gute Mutter,“ sagte sie zu mir, „was
habt ihr, warum scheint ihr so betrübt?“ – „Ach, mein liebes und
verehrungswürdiges Fräulein,“ antwortete ich ihr, „ich komme von dem
jungen Herrn, von welchem ich neulich mit euch sprach: Mit dem ist’s vorbei. Er
wird aus Liebe zu euch das Leben verlieren. Es ist sehr Schade um ihn, das
versichere ich euch, und ihr seid wirklich sehr grausam gegen ihn.“ –
„Ich weiß nicht,“ erwiderte sie, „warum ihr mich zur Ursache
seines Todes machen wollt! Wie kann ich dazu beigetragen haben?“ –
„Wie?“, versetzte ich, „habe ich euch denn nicht neulich gesagt,
dass er eurem Fenster gegenüber saß, als ihr es öffnetet, um eure Blumen zu
begießen? Er sah dieses Wunder von Schönheit, diese Reize, die euer Spiegel
euch täglich zeigt: Seit diesem Augenblick verschmachtet er, und sein übel hat
sich so verschlimmert, dass er sich im kläglichsten Zustand befindet.