Project Description

161. Nacht

Der Befehlshaber von Damask sagte, indem er fort fuhr, sich
an den jungen Mann aus Mussul zu wenden: „Wisst also, mein Sohn, dass die
erste Frau, welche die Unverschämtheit gehabt hat, euch in eurer Wohnung
aufzusuchen, die älteste von allen meinen Töchtern ist. Ich hatte sie in Kairo
an einen ihrer Vettern, den Sohn meines Bruders, verheiratet. Ihr Mann starb,
und sie kehrte zu mir zurück, verdorben durch tausend Nichtswürdigkeiten,
welche sie in ägypten gelernt hatte. Vor ihrer Ankunft war ihre jüngere
Schwester, welche auf eine so beklagenswerte Weise in euren Armen gestorben ist,
sehr sittsam, und ihr Betragen hatte mir nie Veranlassung zu irgend einer Klage
gegeben. Die älteste knüpfte einen engen Freundschaftsbund mit ihr, und machte
sie nach und nach eben so schlimm, als sie selbst war. Da ich den Tag nach dem
Tod der Jüngeren sie nicht sah, als ich mich zu Tisch setzte, so erkundigte ich
mich nach ihr bei der ältesten, welche nach Hause gekommen war, aber anstatt
mir zu antworten, fing sie an, so bitterlich zu weinen, dass ich daraus nichts
Gutes weissagte. Ich drang in sie, mir zu sagen, was ich wissen wollte.
„Mein Vater,“ entgegnete sie mir schluchzend, „ich weiß euch
nichts anderes zu sagen, als dass meine Schwester gestern ihr schönstes Kleid
anzog, ihr schönes Perlenhalsband anlegte, und sich seitdem nicht wieder hat
sehen lassen.“ Ich ließ meine Tochter in der ganzen Stadt suchen, konnte
aber von ihrem traurigen Schicksal nichts erfahren. Inzwischen hörte die
älteste, die ohne Zweifel ihre eifersüchtige Wut bereute, nicht auf, sich zu
betrüben, und den Tod ihrer Schwester zu beweinen. Sie enthielt sich sogar
aller Nahrung, und machte dadurch ihrem beklagenswerten leben ein Ende.
Das,“ fuhr der Befehlshaber fort, „ist das Los der Menschen! Das sind
die Unglücksfälle, denen sie ausgesetzt sind! Aber, mein Sohn,“ fügte er
hinzu, „da wir alle beide unglücklich sind, so lasst uns unsere Leiden
vereinen und uns voneinander nicht mehr trennen. Ich gebe euch meine dritte
Tochter zur Frau, sie ist jünger als ihre Schwestern, und gleicht ihnen durch
ihre Aufführung keineswegs. Sie ist sogar schöner, als sie waren, und ich kann
euch versichern, dass sie einen Charakter besitzt, der ganz geeignet ist, euch
glücklich zu machen. Mein Haus wird das eurige, und nach meinem Tod sollt ihr
und meine Tochter meine einzigen Erben sein.“

„Herr,“ sagte ich zu ihm, „eure viele Güte
verwirrt mich, und ich werde nie im Stande sein, euch dafür die gebührende
Erkenntlichkeit zu bezeigen.“ – „Lassen wir das,“ unterbrach er
mich, „und verschwenden wir die Zeit nicht mit unnützen Reden.“ Er
ließ hierauf Zeugen kommen, und ich heiratete seine Tochter ohne weitere
Feierlichkeit.

Er begnügte sich nicht mit der erwähnten Bestrafung des
Juwelenhändlers, der mich fälschlich angeklagt hatte, sondern ließ noch, zu
meinem Vorteil, sein sehr beträchtliches Vermögen in Beschlag nehmen. Kurz,
ihr habt, seit ihr bei dem Befehlshaber aus- und eingeht, selbst sehen können,
in welchem Ansehen ich bei ihm stehe. Ich muss euch außerdem noch sagen, dass
ein Mann, den meine Oheime ausdrücklich nach ägypten geschickt haben, um mich
dort aufzusuchen, bei seiner Durchreise dahinter gekommen ist, dass ich mich
hier befinde, und mir gestern einen Brief von ihnen überbracht hat. Sie melden
mir den Tod meines Vaters, und laden mich ein, seine Hinterlassenschaft in
Mussul in Empfang zu nehmen. Da mich aber die Verwandtschaft und Freundschaft
des Befehlshabers an ihn fesseln, und mir nicht erlauben, mich von ihm zu
entfernen, so habe ich den Boten mit einer Vollmacht zurückgeschickt, um mir
alles, was mir gebührt zukommen zu lassen. Nachdem, was ihr nun von mir gehört
habt, werdet ihr mir hoffentlich die Unhöflichkeit verzeihen, die ich mir,
während des Laufes meiner Krankheit, gegen euch habe zu Schulden kommen lassen,
indem ich euch die linke Hand statt der rechten bot.“

„Dies,“ so sagte der jüdische Arzt zu dem
Sultan von Kaschghar, „erzählte mir der junge Mann aus Mussul. – Ich blieb
in Damask, so lange der Befehlshaber lebte, und da ich nach seinem Tod noch in
der Blüte meines Lebens war, so ging ich auf Reisen. Ich durchstrich Persien,
ging dann nach Indien, und habe mich nun endlich in eurer Hauptstadt
niedergelassen, wo ich mit Ehren das Gewerbe eines Arztes treibe.“

Der Sultan von Kaschghar fand diese letzte Geschichte
recht ergötzlich. „Ich gestehe,“ sagte er zu dem Juden, „was du
erzählt hast, ist außerordentlich. Aber, aufrichtig gesagt, die Geschichte des
Buckligen ist noch außerordentlicher und erstaunlicher. Also hoffe nicht, dass
ich dir und den anderen das Leben schenke. Ich werde euch alle vier hängen
lassen.“

„Habt, o Herr, die Gnade, noch zu warten,“ sagte
der vortretende und sich zu den Füßen des Sultans werfende Schneider. „Da
Euer Majestät ergötzliche Geschichten liebt, so wird euch die, welche ich euch
zu erzählen habe, nicht missfallen.“ – „Ich will auch wohl dich
anhören,“ sagte der Sultan zu ihm. „Aber schmeichle dir nicht, dass
ich dich leben lasse, wenn du mir nicht ein noch unterhaltenderes Abenteuer, als
das des Buckligen erzählst.“

Hierauf nahm der Schneider mit Vertrauen, und so, als ob
er seiner Sache gewiss wäre, das Wort, und erzählte wie folgt:

Geschichte,
welche der Schneider erzählte

„Herr, vor zwei Tagen erzeigte mir ein Bürger dieser
Stadt die Ehre, mich zu einem Fest einzuladen, welches er gestern früh seinen
Freunden gab. Ich begab mich bei guter Zeit zu ihm, und fand ungefähr zwanzig
Personen beieinander.

Wir erwarteten niemand mehr, außer dem Herrn vom Haus,
der eines Geschäftes wegen ausgegangen war, als wir ihn, begleitet von einem
Fremden, sehr wohl gekleideten und wohl gebildeten, aber lahmen jungen Mann kommen
sahen. Wir standen alle auf, und um dem Hausherrn Ehre zu machen, baten wir den
jungen Mann, sich zu uns auf das Sofa zu setzen. Er war bereit, es zu tun, als
er plötzlich, bei dem Anblick eines zu unserer Gesellschaft gehörigen
Barbiers, zurückfuhr und hinausgehen wollte. Der Herr vom Haus, über dieses
Benehmen erstaunt, hielt ihn zurück. „Wohin geht ihr?“, fragte er
ihn. „Ich nehme euch mit mir, um einem Fest beizuwohnen, das ich meinen
Freunden gebe, und kaum seid ihr gekommen, so wollt ihr schon wieder
gehen!“ – „Herr,“ erwiderte der junge Mann, „ich bitte euch
inständig, mich nicht zurückzuhalten, und mir zu erlauben, dass ich gehen
darf. Ich kann ohne Schrecken diesen abscheulichen Barbier nicht sehen, obgleich
er in einem Land geboren ist, in welchem alle Menschen weiß sind, so gleicht er
doch einem äthiopier, aber seine Seele ist noch schwärzer und scheußlicher,
als sein Gesicht.“