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155. Nacht

Ich war schon groß, und fing an unter die Leute zu
kommen, als ich mich eines Tages mit meinem Vater und meinen Oheimen in der
großen Moschee in Mussul zum Mittagsgebet befand. Nach dem Gebet ging alles
fort, außer meinem Vater und meinen Oheimen, die sich auf den über den ganzen
Fußboden der Moschee verbreiteten Teppich setzten. Ich setzte mich zu ihnen,
und die Rede kam zufällig auf das Reisen. Sie priesen die Schönheiten und
Merkwürdigkeiten einiger Königreiche und ihrer Hauptstädte, aber einer meiner
Oheime sagte, dass, wenn man dem übereinstimmenden Bericht einer Menge von
Reisenden glauben wollte, auf der Erde kein schöneres Land, als ägypten, und
kein schönerer Fluss als der Nil, zu finden wäre, und was er davon erzählte,
gab mir einen so hohen Begriff, dass mich in diesem Augenblick die Lust ergriff,
hinzureisen. Alles, was meine anderen Oheime zu sagen wussten, um Bagdad und dem
Tigris den Vorzug zu geben, indem sie diese Stadt den wahren Sitz der
muselmännischen Religion und die Hauptstadt von allen Städten der Erde
nannten, machte nicht den mindesten Eindruck auf mich. Mein Vater unterstützte
die Meinung desjenigen seiner Brüder, der zu Gunsten ägyptens gesprochen
hatte, was mir viel Freude machte. „Was man auch sagen mag,“ rief er
aus, „wer ägypten nicht gesehen hat, hat das Merkwürdigste auf Erden
nicht gesehen. Die Erde ist dort ganz von Gold, das heißt, so fruchtbar, dass
sie ihre Bewohner bereichert. Alle Weiber sind bezaubernd, entweder durch ihre
Schönheit, oder durch ihr anmutvolles Wesen. Wo gibt es einen
bewundernswürdigeren Fluss, als den Nil? Welches Wasser war jemals leichter und
köstlicher? Selbst der Schlamm, den er bei seinem Austreten mit sich führt,
düngt er nicht die Felder, die ohne Arbeit tausendmal mehr, als andere, noch so
mühsam bearbeitete Erdstriche, hervor bringen? Hört, was ein Dichter, der
genötigt war, ägypten zu verlassen, den ägyptern sagte:

„Euer Nil überhäuft euch täglich mit Wohltaten,
nur euretwegen kommt er so weit her!
Ach! Indem ich mich von euch entferne,
gießen meine Tränen so reichlich, wie seine Wasser.
Ihr werdet seiner Süßigkeiten ferner genießen,
während ich verdammt bin, mich ihrer, wider Willen, zu berauben.“

„Wenn ihr,“ fuhr mein Vater fort, „von der
Seite der Insel, welche die beiden größten Arme des Nils bilden, euch
umschaut, welche Abwechslung des Grüns, welcher Schmelz aller Gattungen von
Blumen, welche wundersame Menge von Städten, Flecken, Kanälen und tausend
anderen angenehmen Gegenständen! Wenn ihr nun die Augen auf die andere Seite,
nach äthiopien zu, werft, wie viele andere Gegenstände der Bewunderung! Ich
kann das grün so vieler, von den verschiedenen Kanälen des Nils bewässerter
Felder mit nichts besser vergleichen, als mit glänzenden in Silber gefassten
Smaragden. Ist Kairo nicht die größte, bevölkertste und reichste Stadt der
Welt? Welche prächtige öffentliche und Privatgebäude! Wenn ihr bis zu den
Pyramiden geht, so wird euch ein Staunen ergreifen, ihr werdet bei dem Anblick
dieser Steinmassen von ungeheurer Größe, die sich bis an den Himmel erheben,
unbeweglich bleiben! Ihr werdet genötigt sein, zu gestehen, dass die Pharaonen,
die zu ihrer Erbauung so viel Reichtümer und Menschen verwendet haben, alle
nachfolgenden Monarchen, nicht nur in ägypten, sondern auf der ganzen Erde, an
Pracht und Erfindung durch Hinterlassung von Denkmälern, die ihres Andenkens so
würdig sind, übertroffen haben. Diese Denkmäler, welche so alt sind, dass die
Gelehrten über die Zeit ihrer Errichtung sich nicht einigen können, bestehen
noch heute, und werden noch so viele Jahrhunderte dauern, als sie schon gedauert
haben. Ich übergehe die Seestädte des Königreichs ägypten, als da sind,
Damiette, Rosette, Alexandrien, mit Stillschweigen, woselbst, ich weiß nicht
wie viele Völker tausend Gattungen von Getreide und Leinwand, und tausend
andere zum Nutzen und zur Lust der Menschen dienende Gegenstände holen. Ich
spreche aus Erfahrung. Ich habe dort mehrere Jahre meiner Jugend zugebracht,
welche ich, so lange ich lebe, für die angenehmsten meines ganzen Lebens halten
werde.“