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154. Nacht

„Herr,“ sagte Scheherasade, „da der
jüdische Arzt den Sultan von Kaschghar geneigt fand, ihn zu hören, so nahm er
folgendermaßen das Wort:

Geschichte
vom jüdischen Arzt erzählt

„Herr, während ich zu Damask Arzneikunde studierte,
und diese edle Kunst mit einigem Rufe zu treiben begann, kam ein Sklave zu mir,
der mich zum Befehlshaber der Stadt holte, um einen Kranken zu besuchen. Ich
begab mich hin, und man führte mich in ein Zimmer, wo ich einen sehr
wohl gebildeten jungen Mann fand, der von dem übel, an welchem er litt, sehr
entkräftet war. Ich grüßte ihn und setzte mich zu ihm. Er erwiderte nichts
auf meine Begrüßung, aber er bezeugte mir durch ein Zeichen mit den Augen,
dass er mich verstände und mir dankte. „Herr,“ sagte ich zu ihm,
„ich bitte euch, mir euere Hand zu geben, damit ich euch an den Puls
fühlen kann.“ Anstatt mir jedoch die rechte Hand darzureichen, reichte er
mir die linke, was mich sehr in Erstaunen setzte. „Das ist,“ sagte ich
bei mir selbst, „eine große Unwissenheit, nicht zu wissen, dass man einem
Arzt die rechte und nicht die linke Hand reichen muss.“ Ich unterließ
jedoch nicht, ihm an den Puls zu fühlen, und nachdem ich ein Rezept geschrieben
hatte, entfernte ich mich.

Ich setzte meine Besuche neun Tage lang fort, und so oft
ich ihm an den Puls fühlen wollte, reichte er mir die linke Hand. Am zehnten
Tag schien es mir, dass er sich wohl befände, und ich sagte ihm, dass er nichts
weiter nötig hätte, als ins Bad zu gehen. Der Befehlshaber vom Damask, welcher
gegenwärtig war, ließ mich, um mir seine Zufriedenheit zu bezeigen in seiner
Gegenwart mit einem sehr reichen Oberkleid bekleiden, indem er mir sagte, dass
er mich zum Arzt des städtischen Hospitals und seines Hauses ernenne, wo ich,
wenn ich Lust hätte, täglich an seiner Tafel speisen könnte.

Auch der junge Mann benahm sich sehr freundschaftlich
gegen mich, und bat mich, ihn in das Bad zu begleiten. Als wir dort waren und
seine Leute ihn entkleidet hatten, sah ich, dass ihm die rechte Hand fehlte. Ich
bemerkte zugleich, dass sie ihm erst vor nicht langer Zeit abgehauen worden war:
Das war auch die Ursache seiner Krankheit, die man mir verschwiegen hatte, und
während die nötigen äußeren Heilmittel angewendet wurden, hat man mich
gerufen, damit das Fieber, welches er bekommen hatte, keine üblen Folgen haben
möchte. Ich war sehr erstaunt und betrübt, ihn in diesem Zustand zu sehen, was
ihm auch mein Gesicht zu erkennen gab.

„Doktor,“ sagte er zu mir, „verwundert euch
nicht darüber, dass mir die Hand abgehauen ist. Ich werde euch schon einmal die
Veranlassung dazu erzählen, und ihr werdet da eine erstaunliche Geschichte
hören.“

Nachdem wir aus dem Bad gekommen waren, setzten wir uns zu Tisch und
unterhielten uns nachher. Er fragte mich, ob er, ohne Nachteil für seine
Gesundheit, außerhalb der Stadt, in dem Garten des Befehlshabers, spazieren
gehen dürfte. Ich erwiderte, dass er es nicht nur dürfte, sondern dass sogar
die frische Luft sehr heilsam für ihn sein würde. „Wenn das ist,“
sagte er, „und ihr so gut sein wollt, mich zu begleiten, so will ich euch
draußen meine Geschichte erzählen.“ Ich erwiderte, dass ich den ganzen
übrigen Tag zu seinen Diensten wäre.

Hierauf befahl er seinen Leuten, etwas zum Imbiss
mitzunehmen, und wir machten uns auf den Weg, und begaben uns in den Garten des
Befehlshabers. Wir gingen dort zwei oder dreimal auf und nieder, und nachdem wir
uns auf einen Teppich gesetzt hatten, welchen seine Leute unter einem Baum
ausbreiteten, der einen angenehmen Schatten gab, erzählte mir der junge Mann
seine Geschichte in folgenden Worten:

Ich bin in Mussul geboren und meine Familie ist eine der angesehensten
dieser Stadt. Mein Vater war der älteste von zehn Kindern, welche mein
Großvater bei seinem Sterben alle am Leben und verheiratet hinterlassen hatte.
Aber von dieser großen Anzahl von Brüdern war mein Vater der einzige, der
Kinder hatte, oder vielmehr ein Kind, nämlich mich. Er gab mir eine sehr
sorgfältige Erziehung, und ließ mich in allem unterrichten, was ein Knabe
meines Standes lernen musste.