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142. Nacht

Als der Polizeimeister den Beutel in seinen Händen hatte,
fragte er den Reiter, ob er ihm gehörte und wie viel Geld er hinein getan
hatte. Der Reiter erkannte ihn für den gestohlenen, und versicherte, dass er
zwanzig Zeckinen enthielte. Der Richter öffnete ihn, und nachdem er wirklich
zwanzig Zeckinen darin gefunden hatte, gab er ihn ihm zurück. Sogleich ließ er
mich vor sich kommen: „Junger Mann,“ sagte er, „gesteht mir die
Wahrheit. Habt ihr den Beutel dieses Reiters genommen? Wartet nicht, bis ich
euch foltern lasse, um euch zum Geständnis zu bringen.“ Indem ich hierauf
die Augen niederschlug, sagte ich zu mir selber: „Wenn ich auch die Sache
leugne, so wird mich doch der Beutel, den man bei mir gefunden hat, für einen
Lügner gelten lassen.“ Um also eine doppelte Züchtigung zu vermeiden,
erhub ich den Kopf und gestand, dass ich der Dieb wäre.

Kaum hatte ich dieses Geständnis gemacht, als der
Polizeimeister, nachdem er Zeugen aufgerufen hatte, mir die Hand abzuhauen
befahl. Der Urteilsspruch wurde auf der Stelle vollzogen. Was das Mitleid aller
Zuschauer erregte, und ich bemerkte sogar auf dem Gesicht des Reiters, dass er
nicht weniger gerührt war, als die anderen. Der Polizeimeister wollte mir noch
einen Fuß abhauen lassen, aber ich flehte den Reiter an, um Gnade für mich zu
bitten. Er tat es, und erhielt Gewährung.

Als der Richter seines Weges gegangen war, nahte sich mir
der Reiter. „Ich sehe wohl,“ sagte er zu mir, indem er mir den Beutel
darreichte, „dass die Notwendigkeit euch zu einer so schändlichen und
eines so wohl gebildeten jungen Mannes, wie ihr seid, ganz unwürdigen Handlung
getrieben hat. Nehmt also her diesen Unheil bringenden Beutel, ich schenke ihn
euch, und das euch widerfahrene Unglück tut mir sehr leid.“

Nach diesen Worten verließ er mich; und da ich durch das
verlorene Blut sehr geschwächt war, so hatten einige wackere Leute aus dem
Viertel die mitleidige Güte, mich in ihre Wohnung zu nehmen und mir ein Glas
Wein zu trinken zu geben. Sie verbanden auch mein Arm und hüllten meine Hand in
ein linnenes Tuch. Ich nahm sie, sie an meinen Gürtel hängend, mit mir.

Wäre ich in diesem traurigen Zustand in den Khan des
Mesrur zurückgekehrt, so würde ich dort nicht die nötige Hilfe gefunden
haben. Es war auch sehr gewagt, mich der jungen Dame zu zeigen.
„Vielleicht,“ sagte ich, „wird sie mich nicht mehr sehen wollen,
wenn sie meine Schande vernommen hat.“ Ich unterließ jedoch nicht, dieses
Teil zu ergreifen; damit aber die Leute, welche mich verfolgten, des Nachlaufens
müde würden, so ging ich durch viele abgelegene Gassen, und begab mich endlich
zu der Dame, bei welcher ich so schwach und ermüdet ankam, dass ich mich auf
das Sofa warf, den rechten Arm unter dem Kleid verbergend; denn ich hütete mich
wohl, ihn sehen zu lassen.

Inzwischen eilte die von meiner Ankunft und von meinem
übelbefinden benachrichtigte Dame herbei, und sagte zu mir, da sie mich so
blass und entstellt sah: „Was habt ihr denn, liebste Seele?“ Ich
verstellte mich. „Es ist,“ erwiderte ich, „ein heftiges Kopfweh,
was mich quält.“ Sie schien sehr betrübt darüber. „Setzt
euch,“ fuhr sie fort, (denn ich war aufgestanden, um sie zu empfangen).
„Sagt mir, wie euch das gekommen ist. Ihr befandet euch das letzte Mal, als
ich das Vergnügen hatte, euch zu sehen, so wohl! Es ist euch noch etwas, das
ihr mir verbergt. Sagt mir, was es ist.“ Da ich schwieg und, statt der
Antwort, Tränen aus meinen Augen flossen, sagte sie: „Ich begreife nicht,
was euch betrüben kann. Sollte ich euch unbewusst eine Veranlassung zur
Betrübnis gegeben haben? Und kommt ihr hierher um mir zu sagen, dass ihr mich
nicht mehr liebt?“ – „Das ist es nicht, meine Teuerste,“
entgegnete ich ihr seufzend, „und ein so ungerechter Verdacht vermehrt mein
Leiden noch.“ Ich konnte mich nicht entschließen, ihr dessen wahre Ursache
zu entdecken.

Als es Nacht geworden war, trug man das Abendessen auf.
Sie bat mich, zu essen; da ich mich aber nur der linken Hand bedienen konnte, so
bat ich sie, mich dessen zu überheben, indem ich mich damit entschuldigte, dass
ich keine Esslust hätte. „Sie wird sich einfinden,“ sagte sie,
„sobald ihr mir entdeckt, was ihr mir mit so vieler Halsstarrigkeit
verbergt. Eure Abneigung gegen das Essen kommt ohne Zweifle nur von der Mühe
her, die ihr euch gebt, um euch dazu zu zwingen.“ – „Ach, meine
Beste,“ versetzte ich, „ich muss mich wohl dazu zwingen.“ Kaum
hatte ich diese Worte gesprochen, als sie mir zu trinken einschenkte, und indem
sie mir die Schale reichte, sagte sie: „Trinkt, das wird euch Mut
einflößen!“ Ich streckte also die linke Hand aus und nahm die Schale.