Project Description

121. Nacht

Agib hatte kaum das ihm vorgelegte Stück Sahnetorte
berührt, als er sich stellte, als ob er es nicht nach seinem Geschmack fände,
und es ganz liegen ließ; und Schaban1)
(dies ist der Name des Verschnittenen) tat dasselbe. Die Witwe des Nureddin-Ali
sah, wie wenig ihr Enkel sich aus ihrer Torte machte. „Nein, mein
Sohn,“ sagte sie zu ihm, „ist es möglich, dass du meiner Hände Werk
so verschmähst? Wisse, dass niemand auf der Welt im Stande ist, so gute Sahnetorten
zu machen, außer dein Vater Bedreddin, den ich es gelehrt habe.“ – „O
liebe Mutter,“ rief Agib aus, „erlaubt mir, euch zu sagen, dass, wenn
ihr keinen bessere machen könnt, es einen Pastetenbäcker in dieser Stadt gibt,
der euch in dieser Kunst übertrifft: Wir haben soeben bei ihm eine gegessen,
die besser war, als diese hier.“

Bei diesen Worten sah die Großmutter den Verschnittenen
scheel an und sagte zornig zu ihm: „Wie, Schaban, ist dir darum die Obhut
über meinen Enkel anvertraut worden, damit du ihn zu den Pastetenbäcker
führst und er dort wie ein Lump esse?“ – „Edle Frau,“ erwiderte
der Verschnittene, „es ist freilich wahr, dass wir uns einige Zeit mit
einem Pastetenbäcker unterhalten haben; aber wir haben nichts bei ihm
gegessen.“ – „Verzeiht,“ unterbrach ihn Agib, „wir sind in
seinen Laden gegangen und haben dort eine Sahnetorte gegessen.“

Die Dame, noch erzürnter auf den Verschnittenen als
vorher, stand heftig vom Tisch auf, und eilte in das Zelt des Schemseddin
Mohammed, dem sie die Schuld des Verschnittenen in Ausdrücken berichtete, die
geeigneter waren, den Wesir gegen den Schuldigen einzunehmen, als seinem Fehler
Verzeihung zu bewirken.

Schemseddin Mohammed, der von Natur heftig war, ließ eine
so schöne Gelegenheit, sich zu erzürnen, nicht ungenutzt vorübergehen. Er
begab sich sogleich in das Zelt seiner Schwägerin und sagte zu dem
Verschnittenen: „Wie, Unglücklicher, du hast die Dreistigkeit, das
Vertrauen zu missbrauchen, welches ich in dich gesetzt habe?“ Schaban,
obgleich durch das Zeugnis Agibs hinlänglich überwiesen, fuhr fort, die Sache
zu leugnen. Aber der Knabe blieb dabei, das Gegenteil zu behaupten.
„Großvater,“ sagte er zu Schemseddin Mohammed, „ich versichere
dir, dass wir beide, einer wie der andere, gegessen haben und das wir keines
Abendbrotes bedürfen; der Pastetenbäcker hat uns sogar mit einer großen Menge
Sorbet bewirtet.“ – „Nun, du abscheulicher Sklave,“ rief der
Wesir, indem er sich zu dem Verschnittenen wandte, „willst du nicht
eingestehen, dass ihr beide bei einem Pastetenbäcker gewesen seid und dort
gegessen habt?“ Schaban hatte die Unverschämtheit, immer noch zu leugnen.
„Du bist ein Lügner,“ sagte hierauf der Wesir; „ich glaube
meinem Enkel mehr, als dir. Wenn du jedoch von der Sahnetorte essen kannst, die
hier auf dem Tisch steht, so werde ich mich für überzeugt halten, dass du die
Wahrheit sagst.“

Obgleich sich Schaban bis an den Hals voll gegessen hatte,
so unterwarf er sich doch dieser Probe, und nahm ein Stück Sahnetorte; aber er
war genötigt, es vom Munde wegzunehmen: Denn ihm wurde übel. Er fuhr aber
dennoch fort zu lügen und sagte, er habe den Tag zuvor so viel gegessen, dass
ihm die Esslust noch fehle. Der Wesir, aufgebracht über alle diese Lügen des
Verschnittenen, und überzeugt, dass er schuldig sei, ließ ihn auf die Erde
legen, und befahl, ihm die Bastonade zu geben. Der Unglückliche stieß während
dieser Züchtigung ein heftiges Geschrei aus und bekannte die Torheit. „Es
ist wahr,“ rief er aus, „dass wir bei einem Pastetenbäcker eine Sahnetorte
gegessen haben, und sie war hundertmal besser, als die, welche hier auf dem
Tisch steht.“

Die Witwe des Nureddin-Ali glaubte, dass Schaban aus
ärger über sie und um sie zu kränken, die Sahnetorte des Pastetenbäckers so
lobte, deshalb sagte sie, sich zu ihm wendend. „Ich kann nicht glauben,
dass die Sahnetorten dieses Pastetenbäckers besser sind, als die meinigen. Ich
will mich darüber aufklären; du weißt, wo er wohnt, geh‘ und hole mir
sogleich eine Sahnetorte von ihm.“ Sie ließ dem Verschnittenen Geld geben,
um eine Torte zu kaufen, und er ging.

Als er in Bedreddins Laden kam, sagte er zu ihm:
„Guter Pastetenbäcker, hier ist Geld, gebt mir eine Sahnetorte; eine von
unseren Damen wünscht sie zu kosten.“ Bedreddin, der eben ganz warme
hatte, suchte die beste aus, gab sie dem Verschnittenen und sagte: „Nehmt
hier diese; ich stehe für ihre Trefflichkeit, und ich kann euch versichern,
dass niemand bessere machen kann, ausgenommen meine Mutter, wenn sie noch
lebt.“

Schaban eilte mit der Torte zu den Zelten. Er überreichte
sie der Witwe des Nureddin-Ali, die schnell danach griff. Sie brach ein Stück
ab, um es zu essen; aber kaum hatte sie es an den Mund gebracht, so stieß sie
einen lauten Schrei aus und sank ohnmächtig nieder. Schemseddin Mohammed,
welcher gegenwärtig war, erstaunte nicht wenig über diesen Unfall, spritzte
selbst seiner Schwägerin Wasser ins Gesicht und beeiferte sich, ihr
beizustehen. Sobald sie wieder zu sich gekommen war, rief sie aus: „O Gott,
mein Sohn, mein lieber Sohn Bedreddin muss diese Torte gebacken haben.“


1)
Den Namen Schaban geben die Morgenländer gewöhnlich den schwarzen
Verschnittenen.