Project Description

119. Nacht

Nachdem Schemseddin Mohammed seine Schwägerin von allem,
was in Kairo in der Hochzeitnacht seiner Tochter vorgefallen war, unterrichtet,
und ihr von dem Erstaunen erzählt hatte, in welches er durch das in den Turban
des Bedreddin gefundene Heft geraten war, stellte er ihr Agib und Dame der
Schönheit vor.

Als die Witwe des Nureddin-Ali, welche sitzen geblieben
war, wie eine Frau, die keinen Anteil mehr an dem Treiben der Welt nimmt, aus
dem ihr Erzählten vernahm, dass der liebe Sohn, den sie so betrauerte, noch am
Leben sein könnte, stand sie auf und umarmte sehr innig Dame der Schönheit und
Agib; und da sie in diesem letzten die Züge des Bedreddin erkannte, so vergoss
sie Tränen ganz anderer Art, als die bisher vergossenen, und sprach folgende
Verse:

„Willkommen ist mir der Bote, der mir eure Ankunft
meldet; denn von ihm vernehme ich dass Schönste, was ich jemals vernommen habe.
Wenn es ihm genügte, so gäbe ich ihm statt eines Ehrenkleides mein Herz, damit
er es am Tage nochmaliger Trennung zerreiße.“

Sie konnte nicht müde werden, den Knaben zu küssen, der
seinerseits ihre Umarmungen mit allen ihm möglichen Freudenbezeugungen erwiderte.

„Edle Frau,“ sagte Schemseddin Mohammed,
„es ist Zeit, eurem Schmerz Einhalt zu tun und diese Tränen zu trocknen:
ihr müsst euch bereit machen, mit uns nach ägypten zu ziehen. Der Sultan von
Balsora erlaubt mir, euch mitzunehmen, und ich zweifle nicht, dass ihr darein
willigt. Ich hoffe, dass wir endlich euren Sohn, meinen Neffen, wieder finden
werden, und wenn das geschieht, so wird seine Geschichte, die eurige, die meiner
Tochter und die meinige verdienen, der Nachwelt aufbewahrt zu werden.“

Die Witwe des Nureddin-Ali hörte diesen Vorschlag mit
Vergnügen, und ließ von Stund an die nötigen Vorbereitungen zu ihrer Reise
treffen.

Während dieser Zeit erbat sich Schemseddin Mohammed ein
zweites Gehör, und nachdem er vom Sultan Abschied genommen, und dieser ihn mit
Ehrenbezeigungen überhäuft und ihm ein ansehnliches Geschenk für den Sultan
von ägypten gegeben hatte, reiste er von Balsora ab, und nahm den Weg nach
Damaskus.

Als er in der Nähe dieser Stadt war, ließ er seine Zelte
vor dem Tor, durch welches er seinen Einzug halten sollte, aufschlagen, und
sagte, dass er dort drei Tage verweilen würde, um sein Gefolge ausruhen zu
lassen, und um einzukaufen, was er des Sultans von ägypten am meisten würdig
hielte.

Während er damit beschäftigt war, selbst die schönsten
Stoffe auszuwählen, welche ihm die angesehensten Kaufleute unter seine Zelte
gebracht hatten, bat Agib den schwarzen Verschnittenen, seinen Führer, ihn in
der Stadt herumzuführen, weil er die Dinge, die er im Vorübergehen nicht
hätte sehen können, gern sehen möchte, und weil er sich auch sehr darüber
freuen würde, etwas von dem Pastetenbäcker zu erfahren, den er mit dem Steine
geworfen hätte. Der Verschnittene willigte darin ein, und ging mit ihm nach der
Stadt, nachdem er die Erlaubnis dazu von seiner Mutter, Dame der Schönheit
erhalten hatte.

Sie gingen in die Stadt durch das Palasttor, welches den
Zelten des Wesirs Schemseddin Mohammed am nächsten lag. Sie durchstreiften die
großen Plätze, die bedeckten öffentlichen Märkte, auf welchen die reichsten
Waren verkauft wurden, und sahen die alte Moschee der Ommiaden1), gerade zu der
Zeit, in welcher man sich in ihr versammelte, um das Gebet zwischen Mittag und
Sonnenuntergang zu halten. Sie gingen hierauf an den Laden des Bedreddin-Hassan,
den sie wieder mit dem Backen von Sahnetorten beschäftigt fanden. „Ich
grüße euch,“ sagte Agib zu ihm, „seht mich an, erinnert ihr euch,
mich gesehen zu haben?“ Bei diesen Worten warf Bedreddin die Augen auf ihn,
und als er ihn erkannte, fühlte er dieselbe Bewegung, wie das erste Mal; er
wurde unruhig, und statt ihm zu antworten, konnte er lange Zeit kein einziges
Wort herausbringen. Als er jedoch seinen Geist wieder gesammelt hatte, sprach er
die folgenden Verse:

„Wie sehnte ich mich nach dem, was ich liebe! Und als
es mir zu Teil ward, verstummte ich, gleich als hätte ich weder Zunge noch
Auge.
Aus Ehrfurcht und Bescheidenheit blickte ich zur Erde, und bemühte mich, mein
Innerstes zu verbergen; doch das verbirgt sich nicht.
Viel hatte mein Herz zu sagen; aber beim Anblick des Ersehnten sprach ich kein
Wort.“

Hierauf sagte er zu ihm:

„Mein lieber junger Herr, erzeigt mir die Gunst,
nochmals mit eurem Hofmeister in meinen Laden zu treten; kommt und esst eine Sahnetorte.
Ich bitte euch sehr, mir die Besorgnis zu verzeihen, die ich in euch erregte,
als ich euch vor die Stadt folgte; ich war meiner nicht mächtig, ich wusste
nicht, was ich tat, und ich fühlte mich euch nachgezogen, ohne einer so süßen
Gewalt widerstehen zu können.“


1)
Ommiaden heißen die Kalifen von Damask, nach Ommiah, einem ihrer Ahnen.