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118. Nacht

Gegen Ende der Nacht sagte Scheherasade, das Wort an den
Sultan von Indien richtend; „Der Großwesir setzte folgendermaßen die
Geschichte des Bedreddin-Hassan fort:

„Bedreddin,“ sagte er, „fuhr fort, sein
Handwerk als Pastetenbäcker in Damaskus zu treiben; und sein Onkel reiste drei
Tage nach seiner Ankunft von dort ab. Er nahm seinen Weg nach Emesa, von wo er
sich nach Hamasch1)
begab, und von dort nach Aleppo, woselbst er zwei Tage verweilte. Von Aleppo
ging er über den Euphrat, zog nach Mesopotamien, und nachdem er Mardin, Mussul,
Sengira, Diarbekir2)
durchzogen hatte, kam er endlich in Balsora an, wo er den Sultan um ein Gehör
bat, der es ihm, sobald er von seinem Rang unterrichtet war, auch sogleich
gewährte. Er nahm ihn sogar sehr gnädig auf, und fragte ihn, weshalb er nach
Balsora gekommen wäre. „Herr,“ erwiderte der Wesir Schemseddin
Mohammed, „ich bin gekommen, um Nachrichten von dem Sohn des Nureddin-Ali
einzuziehen, der die Ehre gehabt hat, Euer Majestät zu dienen.“ – „Es
ist schon lange her,“ erwiderte der Sultan, „dass Nureddin-Ali tot
ist. Was seinen Sohn betrifft, so ist alles, was ich euch von ihm zu sagen
weiß, dass er ungefähr zwei Monate nach dem Tod seines Vaters plötzlich
verschwunden ist, und dass ihn seit dieser Zeit niemand gesehen hat, was ich mir
auch für Mühe gegeben habe, ihn aufsuchen zu lassen. Aber die Mutter, welche
die Tochter eines meiner Wesire ist, lebt noch.“ Schemseddin Mohammed bat
ihn um die Erlaubnis, sie besuchen und mit nach ägypten nehmen zu dürfen. Da
der Sultan darein willigte, so wollte er dieses Vergnügen nicht auf den
folgenden Tag verschieben; er erkundigte sich nach der Wohnung dieser Frau, und
begab sich sogleich mit seiner Tochter und seinem Enkel zu ihr.

Die Witwe des Nureddin-Ali wohnte noch immer in dem Hause,
in welchem ihr Gemahl bis zu seinem Tod gewohnt hatte. Es war ein sehr schön
gebautes, mit Marmorsäulen geschmücktes Haus; aber Schemseddin Mohammed hielt
sich nicht dabei auf, es zu bewundern. Er küsste die Türe und eine
Marmorplatte, auf welcher der Name seines Bruders mit goldenen Buchstaben
eingegraben war, und sprach folgende Verse:

„Ich bin nun in dem Hause, in welchem ich sonst Tage
und Nächte zubrachte, und nun küsse ich vor Freude bald diese, bald jene Wand;
doch nicht die Liebe zum Hause erfüllt mein Herz, sondern die Liebe zu dessen
Bewohnern.“ –

Hierauf fügte er noch folgendes Gedicht hinzu:

„So oft die Sonne aufgeht, erkunde ich mich bei ihr
um Nachrichten von euch; so oft der Blitz leuchtet, wird er von mir euretwegen
befragt.
Von Sehnsucht gepeinigt, durchwache ich die Nächte; doch beklage ich mich
nicht.
Ach, ihr Geliebten, sollte eure Abwesenheit noch länger dauern, so würde mich
die Trennung von euch zermalmen.
Doch solltet ihr mich jetzt einmal durch euer Erscheinen beglücken, so würde
ich diese Gunst höher empfinden, als ich zu jener Zeit euren Besitz zu
schätzen verstand.
Glaube nicht, dass andere Gegenstände mein Herz beschäftigen; mein Herz hat
keinen Raum für die Liebe zu einem anderen.
Habt Mitleid mit einem Liebenden, den die Sehnsucht quält, und der seit eurer
Abwesenheit in seinem Innersten zerstört ist.
Wenn mich aber einst mein Geschick durch euren Augenblick begünstigt, so werde
ich ihm all mein Leben lang dankbar bleiben.
Möge Gott nie den gedeihen lassen, der unsre Trennung wünschen sollte; möge
sein Fuß ihm seinen Dienst versagen, wenn er ihn brauchen wollte, um unsre
Trennung zu verlängern!“ –

Er verlangte, mit seiner Schwägerin zu sprechen. Die
Diener sagten ihm, dass sie sich in einem kleinen Kuppel-Gebäude befände,
welches sie ihm in der Mitte eines sehr geräumigen Hofes zeigten. Wirklich
hatte diese zärtliche Mutter die Gewohnheit, den größten Teil des Tages und
der Nacht in diesem Gebäude zuzubringen, welches sie hatte erbauen lassen,
damit es das Grab des Bedreddin-Hassan bedeute, den sie für tot hielt, nachdem
sie ihn so lange vergeblich erwartet hatte. Sie beweinte eben diesen teuren
Sohn, und Schemseddin Mohammed fand sie in tödliche Trauer begraben und
folgende Verse hersagend:

„O Grab, o Grab! Haben seine Tugenden aufgehört zu
sein? Sollte die Freude aller, die ihn gesehen, erloschen sein? O Grab, du bist
doch kein Himmel und kein Wasser!“

Er begrüßte sie, und nachdem er sie gebeten hatte, ihren
Tränen und Seufzern Einhalt zu tun, sagte er ihr, dass er die Ehre hätte, ihr
Schwager zu sein, und was ihn veranlasst, von Kairo nach Balsora zu reisen.


1)
Hims, Hems, Homs (ehemals Emesa), und Hamasch, Hamath, Aman (ehemals Epiphania),
zwei Städte am Orontes, jetzt in dem türkischen Paschalik Damask in Syrien
gelegen.