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113. Nacht

Nach Verlauf einiger Tage fühlte die Tochter des Wesirs
Schemseddin Mohammed, dass sie schwanger wäre, und wirklich kam sie nach neun
Monaten mit einem Knaben nieder. Man gab dem Kind eine Amme und andere Frauen
und Sklaven zu seiner Bedienung, und nannte ihn Agib1).

Als der junge Agib das Alter von sieben Jahren erreicht
hatte, schickte ihn der Wesir Schemseddin Mohammed, statt ihn zu Hause im Lesen
unterrichten zu lassen, in eine Schule zu einem Lehrer, der einen großen Ruf
hatte, und zwei Sklaven mussten ihn täglich hin und zurück begleiten. Agib
spielte mit seinen Schulgesellen. Da sie alle von niedrigerem Stande waren, als
er, so hatten sie viel Nachgiebigkeit gegen ihn, und sie richteten sich hierin
nach ihrem Schulmeister, der dem Agib viele Sachen durchließ, die er ihnen
nicht verzieh. Diese blinde Gefälligkeit, die man gegen Agib hatte, verdarb
ihn; er wurde stolz und unverschämt, wollte, dass seine Gesellen alles von ihm
leiden sollten, und litt doch nicht das geringste von ihnen. Er befahl überall;
und wenn einer so dreist war, sich seinem Willen zu widersetzen, sagte er ihm
tausend Beleidigungen und trieb es selbst bis zu Schlägen. Kurz, er machte sich
allen Schülern unerträglich, die sich über ihn beim Schulmeister beklagten.
Anfangs ermahnte er sie, Geduld zu haben; da er aber sah, dass sie dadurch die
Ungeduld des Agib nur noch mehr reizten, und da er selbst der Plage, die der
Knabe ihm machte, müde war, sagte er zu den Schülern: „Meine Kinder, ich
sehe wohl, dass Agib ein kleiner Unverschämter ist; ich will euch ein Mittel
lehren, ihn so zu kränken, dass er euch nicht mehr plagen wird; ich glaube
sogar, er wird nicht wieder in die Schule kommen. Wenn er morgen kommt und ihr
miteinander spielen wollt, so stellt euch um ihn her, und Einer von euch sage
ganz laut: „Wir wollen spielen; aber unter der Bedingung, dass jeder von
uns seinen und seiner Eltern Namen nenne. Wir werden die, welche sich dessen
weigern, als Bastarde betrachten, und nicht leiden, dass sie mit uns
spielen.“

Der Schulmeister gab ihnen zu verstehen, in welche
Verlegenheit sie den Agib durch dieses Verfahren setzen würden, und sie ginge
voll Freude nach Hause.

Als sie am folgenden Tag alle beisammen waren,
unterließen sie nicht zu tun, was ihr Lehrer sie gelehrt hatte; sie umgaben den
Agib, und einer nahm das Wort und sagte ganz laut: „Wir wollen ein Spiel
spielen; aber unter der Bedingung, dass der, welcher seinen und seiner Eltern
Namen nicht nennen kann, nicht mitspielen darf.“ Sie antworteten alle, und
auch Agib, dass sie darein willigten. Hierauf fragte der, welcher gesprochen
hatte, einen nach dem anderen, und alle genügten der Bedingung, ausgenommen
Agib, welcher erwiderte: „Ich heiße Agib, meine Mutter heißt Dame der
Schönheit, und mein Vater Schemseddin Mohammed, Wesir des Sultans.“

Bei diesen Worten riefen alle Knaben: „Agib, was
sagst du? Das ist ja nicht der Name deines Vaters, sondern deines
Großvaters.“ – „Gott verdamme euch!“, rief er zornig aus.
„Wie? Ihr wagt es zu sagen, dass der Wesir Schemseddin Mohammed nicht mein
Vater sei?“, die Schüler versetzten mit großem Gelächter: „Nein,
nein, er ist nur dein Großvater, und du darfst nicht mit uns spielen; wir
werden uns sogar hüten, dir nahe zu kommen.“

Indem sie dies sagten, entfernten sie sich spottend von
ihm, und fuhren fort, untereinander zu lachen. Agib war durch ihre Spöttereien
sehr gekränkt, und fing an zu weinen.

Der Schulmeister, der auf der Lauer stand und alles
gehört hatte, kam nun zum Vorschein, und sagte zu Agib: „Weißt du noch
nicht, dass der Wesir Schemseddin Mohammed nicht dein Vater ist? Er ist dein
Großvater, Vater deiner Mutter, Dame der Schönheit. Wir wissen ebenso wenig
als du den Namen deines Vaters. Wir wissen nur, dass der Sultan deine Mutter mit
einem seiner Stallknechte, der bucklig war, hat verheiraten wollen, dass aber
ein Geist bei ihr schlief. Das ist verdrießlich für dich, und muss dich
lehren, deine Gefährten mit weniger Stolz, als du bisher getan hast, zu
behandeln.“


1)
Agib bedeutet im arabischen wunderbar.